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Telematik: Smartphone auf Rädern

29.09.2015 06:00 Uhr
Telematik: Smartphone auf Rädern
Vernetzte Fahrzeuge: Die Datenpools sind für Hersteller, Fuhrparkbetreiber, Werkstätten, Strafverfolgungsbehörden und weitere von großer Bedeutung
© Foto: Sashkin/Fotolia; Markus Kämpfer/Fotolia [M] Autoflotte

Sensoren, SIM-Card im Auto ab 2017/2018 und Telematiksysteme: Es werden eine Vielzahl von Daten im Auto gesammelt. Wem gehören sie, wozu dürfen sie genutzt werden?

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_"Pay As You Drive" oder "Pay How You Drive" - über eine Telematik-Box im Kfz werden Daten zum Fahrverhalten abgefragt und zur Grundlage fahrverhaltensbasierter Versicherungs-Tarife gemacht. Eine Win-win-Situation: Der Halter bekommt finanzielle Anreize für risikoarmes Fahren, die Versicherer regulieren weniger Schäden. Doch die unerwünschten Nebenwirkungen sind beträchtlich: Fahrzeuge werden bei mangelnder Sicherheit der Telematik-Systeme von Dritten unkontrolliert fernsteuerbar, wie in den vergangenen Monaten gleich mehrfach bewiesen. Und es entstehen Datenpools zu Fahrzeugen und Fahrern, die für Hersteller, Fuhrparkbetreiber, Werkstätten und Strafverfolgungsbehörden von großer Bedeutung sind.

Stand der Technik

Moderne Fahrzeuge haben eine Vielzahl von Sensoren, die Insassen und Umgebung erfassen und auswerten. Sie sollen intelligent sein, um autonom im Straßenverkehr zu agieren. Zugleich sollen sie sich mit ihrer Umgebung zum Informationsaustausch vernetzen.

Mit der Einführung von eCall spätestens in 2017/2018 sind alle neuen Kraftfahrzeuge mit einer Mobilfunkkarte (SIM) ausgestattet. Hierüber können Hersteller und Dritte neben dem automatischen Notrufsystem auch Zusatzdienste anbieten. Zudem lassen sich Fahrzeuge mit Telematik-Systemen ergänzen, die über eine Verbindung zum Fahrzeug oder autonom Daten erfassen. Simples Beispiel hierfür ist das Smartphone: Über App und Dongle am Fahrzeug werden Informationen erfasst und ausgewertet.

Telematik

Telematik ist abstrakt die Verknüpfung mindestens zweier Informationssysteme mittels eines Telekommunikationssystems und eines Datenverarbeitungsprogramms. Beim Fahrzeug führt das zur Kommunikation"Car to Car" (C2C),"Car to Infrastructure" (C2I), "Car to Pedestrian" (C2P) oder "Car to Anything" (C2X), selbstverständlich auch in die andere Richtung zum Fahrzeug.

Die technische Infrastruktur hierfür wird als Intelligente Verkehrssysteme (IVS) durch das Gesetz über Intelligente Verkehrssysteme (IVSG) geregelt, das insbesondere eine Interoperabilität verschiedener Systeme europaweit verlangt. Die praktische Bedeutung des IVSG ist bislang sehr gering, noch wird der Markt von Insellösungen der Hersteller und Zulieferer dominiert.

Eigentum an Daten

Ungeklärt ist, wem die Daten aus dem Kraftfahrzeug gehören. Eigentum an Daten gibt es in Deutschland nicht. Ausnahmen sind aber denkbar, etwa wenn Daten als Bestandteil einer nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) schutzfähigen Datenbank oder als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse monopolisiert werden.

Hier setzen die Betreiber der Systeme an: Hersteller, Zulieferer, Versicherer, Fuhrparkbetreiber und Arbeitgeber betrachten die Daten aus ihren Systemen als ihr Eigentum und teilen diese gar nicht oder nur gegen Entgelt. Die Telematik-Informationen sind Handelsware, beliebig kombinierbar und mittels Big Data auswertbar.

Datenschutz und Datensicherheit

Ein "Kfz-Datenschutzgesetz" gibt es nicht. Für Datenschutz und Datensicherheit gelten die all gemeinen Regelungen im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), gegebenenfalls ergänzt durch das Telekommunikationsgesetz (TKG) bei Nutzung der im Auto eingebauten Mobilfunkkarte oder das Telemediengesetz (TMG) bei Nutzung von Online-Diensten im Fahrzeug.

Erhebliche Schwierigkeiten bereitet die Feststellung, wann Datenschutzrecht überhaupt anwendbar ist. Geschützt sind nach § 3 Abs. 1 BDSG nur personenbezogene Daten. Das sind nach der Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 24.11.2011, Az. C-70/10) und den deutschen Aufsichtsbehörden alle Informationen, die ein beliebiger Dritter irgendwie einer natürlichen Person zuordnen kann.

Der VDA ist in einer "Muster-Information über Datenspeicher im Fahrzeug" 2012 noch davon ausgegangen, dass die im Auto anfallenden Informationen regelmäßig keine personenbezogenen Daten sind, das Datenschutzrecht also nur in besonderen Ausnahmefällen gilt. Das gilt aber nur so lange, wie zu den Informationen nicht durch das Fahrzeug selbst oder einen Dritten weitere Angaben gespeichert werden, etwa die Fahrzeug-Identifikationsnummer (FIN) oder ein Kennzeichen. Lässt sich darüber ein Eigentümer, Halter oder Fahrer - und sei es auch nur über Umwege - ermitteln, ist das Datenschutzrecht anwendbar.

Verbot mit Erlaubnisvorbehalt

Greift das Datenschutzrecht, gilt nach § 4 Abs. 1 BDSG ein strenges Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Personenbezogene Daten dürfen nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn eine gesetzliche Erlaubnis vorliegt oder der Betroffene eingewilligt hat.

Die Einwilligung scheitert aber meist daran, dass der Betroffene nicht ermittelbar ist; bei erlaubter privater Nutzung eines Dienstwagens kann Betroffener jeder Fahrer, Familienangehörige und sonstige Mitfahrer sein. Auch die von § 4a Abs. 1 BDSG verlangte "Bestimmtheit" und "Informiertheit" der Einwilligung lässt sich oft nicht herstellen: Offenbart der Hersteller aus Sicherheitsgründen nicht, welche Daten zu welchem Zweck erhoben werden, kann hierüber nicht informiert werden.

So bleibt nur der Rückgriff auf die sehr vagen gesetzlichen Erlaubnistatbestände, etwa bei einem "berechtigten Interesse" an einer "erforderlichen" Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten, wenn dadurch "überwiegende schutzwürdige Interessen" der Betroffenen nicht beeinträchtigt werden. Das kann alles und nichts sein, fehlen doch bislang konkrete Auslegungshilfen und verbindliche Hinweise der Aufsichtsbehörden.

Telematik-Tarife

Telematik-Tarife werden in Deutschland sehr zurückhaltend angeboten. Die besondere Gefahr liegt in den mit der fortlaufenden Protokollierung des Fahrverhaltens entstehenden Verhaltens- und Bewegungsprofilen, die zum "gläsernen Fahrer" führen. Technisch ist es ein Leichtes, Fahrstrecke und Fahrgeschwindigkeit mit einer Karte der Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Daten vorausfahrender und nachfolgender Fahrzeuge abzugleichen und so Verkehrsverstöße zu ermitteln.

Gelöst wird dies über eine Trennung von Datenerhebung und Datennutzung. Die personenbezogenen Daten zum Fahrverhalten erlangt ein Dienstleister, der diese aggregiert und in Score-Werte umrechnet. Die Versicherung erhält die Score-Werte, aus denen sie Rückschlüsse auf das Fahrverhalten zieht und den Tarif ermittelt. Beim Dienstleister werden hiernach die Daten anonymisiert, sodass eine Profilbildung ausgeschlossen ist.

Weitere Anwendungsfälle

Telematik lässt sich zur Verkehrssteuerung nutzen. Erlangen die Systeme Kenntnis von einem Unfall oder einer anderen Störung, zum Beispiel einer Öllache, kann der Verkehr dynamisch umgeleitet werden. Das leisten gute Navigationssysteme heute schon. Denkbar wäre etwa auch das schnelle "Entleeren" von Parkplätzen und Städten nach Großereignissen.

Ebenso gut lässt sich Telematik zur Einsatzplanung und Verhaltenssteuerung nutzen. Weiß der Arbeitgeber, wo sich seine Fahrzeuge aufhalten, kann er immer bestmöglich reagieren, seine Flotte optimal nutzen und Fahrstrecken geschwindigkeits- oder ressourcenoptimiert vorgeben. Auffällige Fahrer sind identifizierbar und über Fahrtrainings oder Zwangsmaßnahmen beeinflussbar. Der nächste Schritt ist dann die Fernsteuerung des Fahrzeugs durch den Arbeitgeber.

Werkstätten und Dienstleister könnten sich frühzeitig über einen Zugang zu Telematik-Daten für Wartung, HU oder die Behebung von Unfallschäden in Position bringen. Der"Erstzugriff" auf das Fahrzeug sichert dann die wirtschaftliche Existenz. Und schließlich könnten Polizei und Staatsanwaltschaft bei Unfällen oder zur Aufklärung anderer Straftaten Daten aus Telematik-Systemen beschlagnahmen. Der Grundsatz, sich durch eigene Aussagen nicht selbst belasten zu müssen ("nemo tenetur"), wäre dann über die Aussage des Fahrzeugs vollständig ausgehebelt.

Herausforderungen

Wer Telematik-Systeme einsetzen will, muss viele Fragen klären:

- Welche (personenbezogenen) Daten fallen in welchem System zu welchem Zweck an?

- Wer sind die Betroffenen?

- Welche technischen und organisatorischen Maßnahmen (§ 9 BDSG) müssen zum Schutz der Systeme und Daten vor Missbrauch getroffen werden?

- Sind Betriebsrat, Datenschutzbeauftragter oder Compliance-Abteilung zu beteiligen?

- Was passiert mit dem Auskunftsverlangen von Polizei und Staatsanwaltschaft?

Gefordert sind dabei neben dem Anwender auch die Hersteller. Diese müssen für die notwendige Transparenz für einen rechtskonformen Einsatz ihrer Systeme sorgen.

Erste Schritte in diese Richtung sind erfreulicherweise bereits unternommen. Die Pkw-Hersteller informieren auf Websites und in Bedienungsanleitungen über ihren Umgang mit Daten aus dem Fahrzeug und der VDA hat im November 2014 Datenschutz-Prinzipien für vernetzte Fahrzeuge aufgestellt.

Zur Person

Sascha Kremer

Sascha Kremer ist Gründungspartner der Login Partners Rechtsanwälte und Fachanwalt für IT-Recht, externer Datenschutzbeauftragter sowie Datenschutzauditor. Er berät insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, Finanzdienstleister, kirchliche Einrichtungen und Startups im IT-Recht, Datenschutzrecht und Fuhrparkrecht.

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