Von Michael Gebhardt
In der Bahn, im Flugzeug oder im Großraumbüro: Immer häufiger sieht man Menschen mit Kopfhörern auf den Ohren, die der Welt ein Stück weit entrückt erscheinen. Das Geheimnis der Entspannung und Ruhe an geschäftigen Orten sind allerdings keine speziellen Kräutertees, sondern eine Technik namens Active Noise Cancellation, kurz ANC. Das Prinzip dahinter ist simpel, im Grunde macht man sich das alte Mathe-Prinzip "Minus mal Minus ergibt Plus" zu nutze. Auf Schall übertragen bedeutet es, dass Geräusche durch eine exakt gegenläufige Schallwelle eliminiert oder zumindest reduziert werden können. Bildlich gesehen trifft dabei auf einen "Schall-Berg" ein künstlich erzeugtes "Schall-Tal" und umgekehrt. Statt eines besonders lauten Lärms hört man schließlich im besten Fall nichts mehr; in der Praxis bleibt allerdings meistens ein leises, kaum störendes Rauschen des Gegenschalls.
Damit die Active Noise Cancellation funktioniert, benötigt sie einen Lautsprecher und Mikrofone. Die erkennen die störenden Geräusche in der Umgebung, zum Beispiel das Brummen der Flugzeugturbine oder das Gerede der Kollegen. Der Computer errechnet den benötigten Gegenschall, der schließlich vom Lautsprecher erzeugt wird. Im Ohr treffen der störende Schall und der neu erzeugte Gegenschall aufeinander und heben sich quasi auf. Dem erwünschten Schall, zum Beispiel der Lieblingsmusik, wird dagegen der Einlass ins Ohr gewährt – allerdings kann die Qualität darunter etwas leiden. Das hängt vor allem davon ab, wie aufwendig, und in der Regel teuer, das System ist.
Im Kopfhörer funktioniert das aufgrund der geringen Abstände bereits sehr gut, vor allem tiefe Störfrequenzen lassen sich gut herausfiltern. Inzwischen hat aber – neben anderen – auch die Autoindustrie die Technik für sich entdeckt und mehrere Hersteller setzen die Active Noise Cancellation bereits in Serienfahrzeugen ein. Dazu werden im Innenraum mehrere Mikrofone und Lautsprecher verteilt. Vorrangiges Ziel dabei: Die Geräusche von Motor, Getriebe oder Klimaanlage sollen reduziert werden.
Individueller Antischall für jeden Sitzplatz
Die Forscher gehen inzwischen aber schon einen Schritt weiter und wollen mit der sogenannten RNC "Road Noise Control" zum Beispiel auch Abrollgeräusche der Räder oder das Rumpeln des Fahrwerks beseitigen. Neben zahlreichen Mikrofonen sollen hier unter anderem auch die Daten von Beschleunigungssensoren zum Einsatz kommen, um etwa Aussagen über die Entwicklung des Geräusches treffen und den nötigen Gegenschall möglichst präzise und möglichst schnell berechnen zu können. Im Idealfall könnte für jeden Sitzplatz ein individueller Antischall erzeugt werden.
Das wiederum bietet der Industrie weitere, neue Möglichkeiten: Lassen sich störende Geräusche durch ANC oder RNC reduzieren, könnte eventuell auf Dämmmaterial, das Geld kostet und Gewicht ins Auto bringt, verzichtet werden. Außerdem ist es vielleicht schon in naher Zukunft möglich, dass Fahrer und Beifahrer unterschiedliche Musik hören können, ohne dass einer dafür Kopfhörer aufsetzen muss. Erste Prototypen können schon heute überzeugen und in wenigen Jahren dürfte die Technik wohl in Serie gehen.