_ Schon die Zulassungsbescheinigung offenbart das vorrangigste Talent dieser beiden Testtransporter: "Mehrzweckfahrzeug" ist als Bezeichnung der Klasse vermerkt.
Damit empfehlen sich der Mercedes-Benz Vito Tourer und der Ford Transit Custom Kombi beispielsweise für Fahrdienste oder für den Solobetrieb. Im normalen Alltag als Familienkutsche eingesetzt, lassen sie sich durch Klappen, Wickeln oder Ausbauen der Sitze im Fahrgastraum schnell zum Transporter umfunktionieren - falls mal Auftragsspitzen abgearbeitet werden müssen oder ein anderer Transporter des Fuhrparks ausfällt.
Schweißtreibend
Wobei das mit dem schnellen Aus- und vor allem Wiedereinbauen relativ ist. Schwer und sperrig sind die Sitze sowohl im Stuttgarter wie im Kölner - für die Zweiersitzbänke sind auf jeden Fall zwei kräftige Personen notwendig.
Die Befestigungsmimik des Transit erweist sich beim Einbau aber als praxistauglicher. Hier müssen die Sitze nur auf die Haltepunkte gewuchtet werden und einrasten. Beim Mercedes halten sich die Einzelsitze zusätzlich an der nebenstehenden Sitzbank fest. Um hier alle erforderlichen Befestigungspunkte ohne Verkanten zu treffen, braucht es Fingerspitzengefühl und vor allem viel Geduld. Ebenfalls unschön und dem knapp 46.000 Euro teuren Vito-Testwagen wenig würdig: Wird die letzte Sitzbank nach vorn geklappt, schaben die Sitzlehnen an denen der vorderen Bank. So dauert es nicht lange, bis hässliche Kratzer im Kunststoff entstehen. Der Punkt für Variabilität und Nutzbarkeit geht deshalb an den Ford.
Aber der Vito will sowieso mehr Pkw als Transporter sein. Schließlich ist er, erst recht in der höheren"Pro"-Ausstattung, die Vorstufe zur luxuriösen V-Klasse, die über die gleiche Karosserie verfügt. Und die baut kompakter als die des Transit. Der Daimler ist außen knapp sechs Zentimeter schmaler und fast neun Zentimeter flacher als der Ford-Testwagen. Dass Letzterer den Mercedes-Benz auch bei der Länge deutlich überragt, liegt aber nur daran, dass der Kölner mit verlängertem Radstand zum Test antrat.
Legt man das Normalmodell zugrunde, wäre der Schwabe knapp zehn Zentimeter länger. Dann ergäben sich auch beim Raumvolumen kaum Unterschiede, das bei beiden knapp sechs Kubikmeter beträgt - ohne die jeweils demontierten Sitze wohlgemerkt.
Tiefe Sitzposition
Auch hinter dem Lenkrad unterstreicht der Daimler seinen Pkw-Anspruch, nicht nur wegen des sportlichen Dreispeichenvolants. Der niedrige Einstieg und die tiefe Sitzposition erinnern eher an C-Klasse und Co. als an einen Transporter. Dazu passt das dank einzeln aufgehängter Räder an der Hinterachse komfortbetonte, wenn auch recht weiche Fahrwerk, das Insassen und Fracht sänftengleich über Fahrbahnunebenheiten hinwegträgt. Allenfalls die etwas synthetisch wirkende elektrische Lenkung dürfte nicht jedem gefallen und trübt die Gala-Vorstellung leicht.
Im Ford wird die Steuerung noch nicht durch Elektronik unterstützt, weshalb der Kontakt zur Straße direkter ausfällt. Das Transit-Fahrwerk ist zudem härter - was keinesfalls von Nachteil, aber eben nutzfahrzeugtypisch ist. Selbst plötzliche Lastwechsel bringen den Transit nicht aus der Ruhe und der Federungskomfort leidet dabei nicht über Gebühr.
Stimmige Verarbeitung
Auch daran, dass man im Vergleich zum Vito eher "auf" als "im" Fahrzeug sitzt, gewöhnt man sich schnell. Bei beiden Kombis liegen Verarbeitung und Wertigkeit der Kunststoffe und Materialien auf ähnlich hohem Niveau.
Gut tat dem Ford der letztjährige Wechsel auf den neuen TDCI-Vierzylinder mit zwei Litern Hubraum, der mit hoher Elastizität und Laufruhe punktet. Ganz so harmonisch wie die schwächeren Einstellungen präsentiert sich die 170 PS und 405 Newtonmeter Drehmoment starke Top-Einstellung allerdings nicht. Ab 1.700 Touren stellt er urplötzlich einen brachialen Schub bereit, bei dem die angetriebenen Vorderräder schon mal die Bodenhaftung verlieren können. Dann kommt man mit dem Schalten über das Ford-typisch knackige Sechsganggetriebe kaum nach.
Das Schalten entfiel beim Vito-Testwagen, denn er verfügte über die 7-G- Tronic-Wandlerautomatik (2.143 Euro Aufpreis). Zusammen mit dem bekannten und ausreichend elastischen 2,1 Liter großen Vierzylinder mit 163 PS ergibt sich eine harmonische Kombination. Lediglich bei hohen Drehzahlen wird der CDI etwas brummig. Gewöhnen muss man sich an die "Gedenksekunde", die der Wandler auch beim beherzten Tritt aufs Gas benötigt, um sich zu sortieren. Übrigens hätte auch Ford mittlerweile eine Sechsgang-Automatik für den Custom im Programm (1.650 Euro).
Verbrauch und Nutzlast
Eine Pattsituation ergibt sich beim Verbrauch nach 223 Kilometern über die standardisierte Testrunde. Lediglich 0,2 l/100 km, die sicher auch auf das Konto der längeren L2-Karosserie des Ford gehen, trennten die beide Kontrahenten zugunsten des Mercedes-Benz.
Gleiches gilt beim Gewicht. Satte 2.490 Kilo brachte der top ausgestattete Transit-Testwagen auf die Waage. Ergibt magere 650 Kilo Nutzlast. Und der kürzere Mercedes liegt hier mit 2.380 Kilo (Nutzlast: 670 Kilo) nur wenig besser. Da gilt es, bei Vollbesetzung nur mit leichtem Gepäck zu reisen. Irgendwo stößt eben auch jedes Multitalent an seine Grenzen.
- Ausgabe 07/2017 Seite 42 (315.6 KB, PDF)