Hochfliegende Pläne brauchten Bodenhaftung. Graf Ferdinand von Zeppelin hat in Friedrichshafen am Bodensee das Zeppelin-Dorf während des ersten Zeppelinbooms in den Jahren 1914 bis 1919 erbaut. Die Siedlung gibt es bis heute – und wurde nahezu komplett unter Denkmalschutz gestellt. Der Grund für diese bodenständige Idee eines Flugunternehmens: Es war schlicht zu wenig Wohnraum in dieser schön gelegenen Urlaubsregion, in der 1823 die königliche Familie von Württemberg die Sommerfrische verbrachte. Und genau diese Idee von Werkswohnungen wird nun wieder frisch.
Wachsende Städte durch wachsende Arbeitgeber
Es ist nur eines von vielen Beispielen der Industrialisierung, der schnell wachsenden Unternehmen in naturgemäß immer langsamer hinterherwachsenden Infrastrukturen der Mobilität und Immobilien.
Die Idee war bestechend: Verdichtete Städte haben verdichtete Probleme bei Wohnraum und Staus beim Pendeln. Werks- und Dienstwohnungen in der unmittelbaren Nähe beim Arbeitgeber erleichterten Zuzug von neuen Mitarbeitenden und ersparten Mobilität. Noch vor Zeppelin wurden Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Werkswohnungen von Zechen errichtet. Stahlunternehmen wie Krupp und Chemiekonzerne wie BASF folgten. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm ihre Bedeutung noch einmal deutlich zu. Das waren die goldenen Zeiten der praktischen Shuttle-Busse und günstigen Wohnungen.
Die Werkswohnungen blicken also auf eine sehr lange, soziale wie wirtschaftliche Erfolgsgeschichte zurück. Die Zahl der Arbeiterwohnungen nahm nach der Wiedervereinigung stark ab: Waren es bis Ende der Siebzigerjahre noch 450.000 Werkswohnungen, sind es Ende 2012 nur noch 100.000 gewesen. Nun zeichnet sich eine Renaissance ab – gut 170 Jahre nach den Vorreitern und 100 Jahre nach den Vorfliegern wie Zeppelin.
Fachkräfte- und Wohnraum-Mangel treibt Werkswohnungen
Wohnraum vor allem in teuren Großstadtlagen wird gerade in Phasen steigender Zinsen Mangelware bleiben. Nun vergeben immer mehr Städte kommunale Grundstücke an Arbeitgeber, die Werkswohnungen bauen. Vorteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer:
- steuerliche Begünstigung seit 2020
- Mitarbeitergewinnung und Mitarbeiterbindung von Fachkräften
- Schaffung von Identität und Loyalität sowie eine Gemeinschaft
- Bau von Werkswohnungen ist niemals ein Verlustgeschäft – im Zuge der hohen Planungssicherheit spielen die Mieten meist Gewinne ein
- und ein Vorteil für Fuhrparkmanager: kein bzw. wenig Pendeln, also Mobilitätsvermeidung
- Werkswohnungen und Mobilität: Vorreiter Mobilitätswirtschaft?
Wird die Mobilitätswirtschaft zum Vorreiter? Beispiel VW
Der überzeugendste Beleg, dass hier nicht mehr ideologische Grabenkämpfe zwischen ländlichem und urbanem Raum oder öffentlichem Nahverkehr (ÖPNV) und Autoverkehr vorliegen, kann darin gesehen werden, dass gerade die Mobilitätswirtschaft selbst zur mobilitätsvermeidenden Werkswohnung beiträgt: Volkswagen und ihre Immobilien-Tochter haben nach langen Jahren der Bestandswohnungsverwaltung nun neue Wohnsiedlungen für VW-Mitarbeiter in der Realisation. Auch weitere Mobilitätswirtschaftsunternehmen gehen konsequent diesen Weg, wie der Flughafen München (auch als Personalhotel mit Apartments), die Deutsche Bahn, die Wohnraum für Mitarbeitende als eigenen Schwerpunkt im Personalressort betreibt. Auch die Kölner Verkehrsbetriebe oder Stadtwerke wie in Köln oder München sind hier seit einigen Jahren Vorreiter – und nicht selten Vorradler. Aufgrund der Nähe.
Das hat zwei erfreuliche Konsequenzen: mitunter Einsparung von Parkraum (Stellplatznachweise müssen mit Kommune/Bezirk im Rahmen eines Mobilitätskonzeptesgegebenenfalls neu verhandelt werden) und Einrichtung von Mobilitätsstationen beim Arbeitgeber und Wohnareal für flexiblere Mobilität aller.
Weitere Treiber: CSRD, GHG und ESG
Wenn die Welt komplexer wird, bekommen wir mehr Abkürzungen. Was beim Verkehr gut klingen mag, ist hier eine Abkürzung für mehr Aufwand und Achtsamkeit im Bereich des Reportings und der Finanzierung. Konkret:
Die »Corporate Sustainability Reporting Directive« (CSRD) wurde im April 2021 von der Europäischen Kommission als Teil des »Sustainable Finance Package« und damit Ersatz der »Nonfinancial Reporting Directive« (NFRD) vorgeschlagen. Ziel ist die Kompatibilität mit dem »European Green Deal«, dem europäischen Rechtsrahmen zur »Disclosures- und Taxonomie-Verordnung«. Damit sollen eine Reduktion von Komplexität und das Vermeiden doppelter Berichterstattung realisiert werden – für alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und über 40 Millionen Euro Umsatzbeziehungsweise 20 Millionen Euro Bilanzsumme. Ende Juni 2022 kam die vorläufige Einigung des EU-Rates, des EU-Parlaments und der EU-Kommission. Damit gilt es ab 2024 für das Geschäftsjahr 2023. Die Richtlinie verpflichtet dazu, die durch die betriebliche Mobilität in den Verkehr gebrachten Emissionen auszuweisen. Hierunter fällt vor allem die Pendler-Mobilität, Geschäftsreisen, geleaste Fahrzeuge und der eigene Fuhrpark. Verfügt ein Unternehmen über keine eigene Datengrundlage, werden statistische Werte angenommen, die zumeist auf Verbrennermobilität angesetzt werden.
Weiterhin gibt es das sogenannte »Greenhouse Gas Protocol« mit seinen Standards und den vier Bereichen (sogenannte Scopes), denen Emissionen zugeordnet werden können:
- Scope 1: alle direkten, das heißt aus Quellen innerhalb der Grenzen stammenden Emissionen.
- Scope 2: indirekte Emissionen aus außerhalb erzeugtem und eingekauftem Strom und Dampf, aus außerhalb erzeugter und eingekaufter Wärme und Kälte.
- Scope 3: alle sonstigen indirekten Emissionen, darunter die aus der Herstellung, dem Transport eingekaufter Güter oder der Verteilung und Nutzung der eigenen Produkte oder der Entsorgung von Abfällen. Hierzu gehören auch Emissionen aufgrund von betrieblicher Mobilität.
- Scope 4: definiert als Emissionsminderungen, die durch ein Unternehmen ermöglicht wurden. Hier setzen Werkswohnungen und Mobilitätsvermeidung an und führen zahlreiche Fuhrpark-Abteilungen wie auch Personalabteilung zur Renaissance der Werkswohnung.
ESG in der »Taxonomie-Verordnung«: Dieses EU-Gesetz, das im Juli 2020 in Kraft getreten ist, schafft einen Rahmen für die Einstufung der Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Tätigkeiten. Unter ESG versteht man die Berücksichtigung von Kriterien aus den Bereichen Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) beim Wirtschaften.Während das „E“ immer genauer ausgearbeitet wird, bleibt das „S“, also die Sozial-Taxonomie, auch aufgrund der wissenschaftlich nicht vergleichbar scharf möglichen Definitionen noch weitgehend unberücksichtigt. Man kann nach einer vertikalen und einer horizontalen Dimension unterscheiden, also einerseits danach, Menschen einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen (Wasser, Lebensmittel, medizinische Versorgung, Bildung und feste Unterkunft), und andererseits danach, positive Effekte auf bestimmte Personengruppen, vor allem auf Arbeitnehmer, zu fördern oder negative Auswirkung zu vermeiden.
Fazit: Alle neuen Gesetze, Verordnungen und auch für die Finanzmärkte relevant werdenden Taxonomien zeigen eine klare Richtung: nachhaltig und sozial. Dazu tragen erschwingliche Werkswohnungen und die eingesparten Emissionen durch reduzierte Pendlermobilität sehr wesentlich bei – gerade für Dienstleistungsunternehmen, die kaum andere Hebel für CO2-Einsparungen haben.