Die Sonne brennt ohne Gnade vom wolkenlosen Himmel und es ist quälend heiß an diesem Vormittag im späten April in San Francisco. Doch plötzlich wird es erfrischend schattig, die Temperatur fällt ein paar Grad und hinter der dunklen Brille wird die Sicht fast schon düster. Denn vor die Sonne schiebt sich ein Koloss von Auto, neben dem selbst die allgegenwärtigen Geländewagen wie Spielzeuge aussehen: Vorhang auf und Bühne frei für den Toyota Tundra, die asiatische Antwort auf amerikanische Dauerbrenner wie den Ford F-150 oder den Chevrolet Silverado und zugleich das imposanteste Auto aus dem Imperium der Japaner, das man mit einem Pkw-Führerschein noch fahren darf. Und eines, das pro Euro obendrein mehr Eindruck schindet als jeder andere Toyota. Denn für Preise, die umgerechnet bei fast schon lächerlichen 36.000 Euro beginnen, kann sich damit jeder fühlen wie der "King oft he Road".
Auf den ersten Blick wirkt der Tundra hier wie zwar ein Saurier, der aus dem Jurassic Park geflohen ist. Schließlich rühmen sich San Francisco und im Silicon Valley als Schaufenster zur Zukunft und nirgends in den USA ist die neue Mobilität so präsent wie hier. Doch auch wenn Tesla hier seinen Siegeszug begonnen hat, wenn hier die ersten autonomen Shuttle-Fahrzeuge getestet werden und sie in Sunnyvale oder Mountain View am Infotainment von Übermorgen tüfteln, hat der große Pick-up auch auf den Straßen der Bay Area noch immer einen gewaltigen Anteil. Nicht umsonst werden in den USA jedes Jahr mehr als zwei Millionen dieser Full-Size-Trucks verkauft, von denen immerhin gut 100.000 von Toyota kommen. Und damit das auch so bleibt, haben die Japaner den vermeintlichen Saurier mit reichlich Frischzellen aufgespritzt und so behutsam in die Zukunft geholt.
Toyota Tundra (2022)
BildergalerieDie Grundkonstruktion des Tundra ist zwar seit dem Debüt von 2007 unverändert, was den Pritschenwagen nicht nur in den Augen der Klimakritiker, sondern auch nach den Maßstäben der Autobauer zu einem Saurier stempelt. Doch bei seinem großen Auftritt an diesem April-Tag in der Sonne von San Francisco ist ihm das nicht anzumerken: Schließlich ist die Karosserie seit letztem November komplett neu, hat noch mehr Ecken und Kanten und zwischen den markanten Scheinwerfern vor allem einen noch größeren Grill, den Toyota in einem halben Dutzend Varianten vom bitterbösen Darth Vader-Look bis zum chromfunkelnden Glanzstück anbietet.
Dazu gibt’s in der Kabine, die groß ist wie ein Wohnzimmer ein komplett neues Cockpit, das an den Maschinenraum eines Kraftwerks erinnert: Massive Schalter und Hebel für kräftige Pranken statt für zierliche Hände, Ablagen und Halter für Literweise Kaffee und Coke, digitale Instrumente und über allem thront ein 14-Zoll-Bildschirm groß wie ein Laptop. Wer dort trotz der einfachen und eingängigen Bedienung keine Fingerabdrücke hinterlassen will, der kann sich mit dem Tundra auch unterhalten: "Hey Toyota" reicht, dann meldet sich die Sprachsteuerung zu Wort. Von Wegen Steinzeit-Technik!
Das merkt man nicht zuletzt unter der Haube. Schließlich folgt Toyota dort dem Geist der Zeit und hat nicht nur den lieb gewordenen V8 ausgemustert, sondern bietet den nagelneuen V6-Benziner obendrein sogar erstmals als Hybrid an. Wer mit den 389 PS des 3,5 Liters im Basismodell nicht zufrieden ist, der bekommt deshalb dazu noch einen 48 kW / 64 PS starken E-Motor, der wie eine zusätzliches Burger-Patty im Sandwich der 10-stufigen Automatik integriert ist. Zusammen ergibt das eine Systemleistung von 321 kW / 437 PS und vor allem wirken jetzt 790 Nm über den zuschaltbaren Allradantrieb auf die riesige Walzen, die auf den 20 Zöllern stecken.
Klar, elektrisch kommt der Tundra damit nicht weit, zumal man schon einen sehr zarten Gasfuß braucht, wenn man mit gerade mal 64 PS einen Koloss von drei Tonnen bewegen will. Doch dafür schaufelt der E-Motor reichlich eigenes Drehmoment ins Turboloch und wirkt beim Kickdown wie ein Energy-Shot. Als hätte man ihm Red Bull in den Tank gekippt, brennt der Tundra deshalb bei abgekoppelter Vorderachse zwei dicke schwarze Streifen auf den Asphalt, bevor er in weniger als sechs Sekunden auf Tempo 100 schnellt und danach mächtig weiter stürmt, bis die Elektronik bei 160 Sachen die Reißleine zeiht.
Neue Federn und überraschend präzise Lenkung
Dem V8 trauert man deshalb nicht lange hinterher. Nicht auf dem Highway 280, wenn man zwischen Palo Alto und Mountain View immer mal wieder die Spuren wechselt und sich am Vordermann vorbei schiebt. Und erst recht nicht auf dem Skyline Boulevard in den Santa Cruz Mountains, wo es bisweilen ganz schön steil wird. Dort fällt auch noch etwas auf an diesem Koloss: Mit neuen Federn an der Hinterachse und einer überraschend präzisen Lenkung ist der Gigant gar nicht einmal so sperrig, wie man es meinen würde. Klar, zum Wenden braucht man ein bisschen Platz. Und in den Straßen von San Francisco möchte man sich mit diesem Koloss nicht unbedingt trauen – erst recht nicht auf die korkenziehergleich gewundene Lombard-Street. Doch beweist die Fahrt nach Half Moon Bay, dass es nicht immer die Prärie oder zumindest der Highway sein muss für einen großen Pick-Up, sondern dass der sich selbst auf kleinen Nebenstraßen wohl fühlt.
Sogar wohler als die Sportwagen, mit denen die Tech-Millionäre aus dem Silicon Valley hier gerne durch die Berge brettern. Denn während die schon so manche teure Leichtbaufelge aus geschmiedetem Alu in den knöcheltiefen Schlaglöchern eingebüßt haben, bügelt der Tundra über den schartigen Asphalt wie eine Dampfwalze – und bettet seine Insassen dabei mit einer optionalen Luftfeder im Heck Wolken.
Und weil er schließlich nicht der einzige Pick-Up ist, gibt es auch immer und überall ausreichend große Parkplätze. Auch unten am Hafen in El Granada, wo es heute besonders voll ist, weil alle die Frühlingssonne am Strand genießen wollen.
Pick-up-Segment im Umbruch
Natürlich steht auch das Pick-Up-Segment vor einem Umbruch, und selbst wenn Teslas Cyber Truck noch auf sich warten lässt, bricht sich die Elektrifizierung hier mit dem Rivian und mit dem F-150 Lightning längst Bahn. Doch auf der Runde rund um die Bay wächst einem der neue Tundra schnell ans Herz wie ein alter Kumpel, dem man sich blindlings anvertraut und mit dem man jedes Abenteuer durchstehen möchte.
Genau, wie beim Satellitenradio nicht nur die neuesten Hits laufen, sondern es einen Sender für die 70er oder die Achtziger gibt, für Greatful Dead und Bruce Springsteen, so hat auch der japanische Gigant aus Texas seine Daseinsberechtigung und lässt die guten Zeiten rollen. Bis Modelle wie der Rivian oder der F150 Lightning den Pick-Up in die Zukunft gebeamt haben, wird es schließlich noch ein bisschen dauern. Und so ganz hat sich ja auch er Tundra dem technologischen Wandel nicht verschlossen: Er wird jetzt auch mit Hybrid-Antrieb verkauft – und klingt damit im übertragenen Sinne wie die Supremes auf Spotify. Alt, bewährt – und trotzdem ein bisschen hip.