Die Vollsperrung auf der A8 kam überraschend und völlig unvermutet", erklärt die Fahrerin aus dem Transportgewerbe, als die Navi-Warnung gegen Mittag kurz vor der Ausfahrt Heimsheim aufpoppte - "plus 23 Minuten" hieß es plötzlich. Aber wegen 23 Minuten einen Umweg fahren mit geladenem Auflieger, das war keine Option. Kurz danach kam alles komplett zum Stehen. "Man recherchiert nach, und siehe da, der ADAC bringt als Einziger die Meldung: Vollsperrung bis 13:30 Uhr. Um 13:30 Uhr kam dann die Durchsage: Ende der Vollsperrung circa 15:30 Uhr." Pech gehabt - könnte man sagen.
Doch in der folgenden Woche, so erklärt die Fahrerin, hätte ein anderer Fahrer trotz aktueller Technikanbindung wieder keine Chance gehabt: Wegen einer mutmaßlichen Geiselnahme waren beide Fahrspuren auf der A9 bei Greding vier Stunden dicht und der Zeitplan damit hinüber.
Echtzeitdaten - kein Allheilmittel
Die minutengenaue Stauansage hätte in Bayern genauso versagt wie die im SWR 3 eine Woche zuvor. Viel Rauch um nichts - aber in der heutigen digitalisierten Welt und ihren Datenströmen, die in Echtzeit Unfälle und Hindernisse melden, sind solche fehlenden Infos gerade für Dienstreisende unverständlich und können zu mehr als purer Aufregung führen.
Routenplanungen in Telematiksystemen arbeiten wie alle Pkw-Systeme mit Floating Car Data (FCD) und sind auch wegen der Fahrzeugmaße anders programmiert, da Umgehungen eingeplant werden müssen. "Generell haben aber all diese Datenquellen einen ähnlichen Ursprung", erklärt Robert Stuhlmüller, Leiter Mobile Mehrwert-Dienste des ADAC. Da sich der Automobilclub dabei auf die DACH-Region beschränkt, nutzt man für bestimmte Produkte wie deren Spritpreis-App auch Daten anderer Anbieter. Etwa von Here, Inrix oder von Tom Tom Traffic, die freilich auch bei vielen Herstellern von Telematiksystemen unter Vertrag stehen.
Neue Verbreitungswege
Sie machen Tempo, sorgen beim Nutzer hinter dem Lenkrad für gesicherte Informationen und Handlungsfreiheit: Mit sendenden Fahrzeugdaten arbeitet der ADAC bereits seit gut zehn Jahren. Auch die Polizei tut das.
"Die Verkehrsmeldestelle Bayern verwendet zur Erstellung das gängige RDS/ TCM, das etwa 35 Millionen Navigationsgeräte verarbeiten können. Aber unsere aktuelle Software kann auch den neuen Verbreitungsweg TPEG für DAB+-fähige Radios oder mobiles Internet bedienen", berichtet Michael Bungert vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd.
Im Bayerischen Rundfunk (BR) wurde ein Pilotprojekt mit Floating Car Data 2017 abgeschlossen. Damals sprach man noch von einer bundesweiten Meldeflotte von 100.000 gewerblichen Fahrzeugen. Inzwischen verarbeitet der Datenzulieferer ADAC deutlich mehr."Pro Tag sind es aktuell durchschnittlich 600 bis 800 Millionen FCD-Punkte", rechnet Stuhlmüller vor.
Auch KI ist längst gefragt
Nicht nur mehr Infos, auch die Qualität soll besser werden, betont aber der ADAC. Auch weil die Geschäftspartner dies erwarten - ob öffentliche Hand oder private Unternehmen. "Daher arbeiten wir mit Infralytics aus Greven zusammen, die auch für KI-Unterstützung unserer eigenen Floating Car Data sorgen soll", so der Datenexperte. Allerdings, räumt er ein, müsse erst eine Bedarfsanalyse zeigen, wo und wie man daraus Produkte generieren könne. Etwa ob Logistikunternehmen diese Unterstützung eher für die letzte Meile oder im Fernverkehr benötigen. Das ist ähnlich, aber anders als große IT-Firmen, die den Telematikanbietern zuliefern. Auch anders als Google Maps, wo zur Vorhersage von Routen schon länger mit KI-gestützten Systemen experimentiert wird.
Wie schätzt der Rundfunk die Entwicklung ein? Wird KI die Arbeit verbessern? Daniela Rembold, Koordinatorin Verkehr vom BR, winkt ab. "KI-gestützte Systeme tendieren in die Richtung individuelle Routenplanung. Unsere Stärke liegt darin, Verkehrsmeldungen journalistisch zu bearbeiten - wir können gewichten, einordnen, auch zusammenfassen. Auf Google Maps ist ein dunkelroter Strich und eventuell noch zu sehen, dass eine Sperrung vorliegt. Wir können melden, dass dort ein Tanklastzug umgestürzt ist und die Sperre aufgrund der Bergungsarbeiten noch stundenlang dauern wird."
Frau Rembold, wie kooperiert der BR aktuell mit Polizei, dem ADAC und anderen Staumeldern?
Im Redaktionsalltag läuft die Kooperation meist auf technischem Weg ab. Die Meldungen fast aller unserer Quellen laufen über unser Verkehrsredaktionssystem Flow ein, werden von uns in diesem System verarbeitet und an alle Ausspielwege weiterverbreitet. Über dieses System sind wir an die Verkehrsmeldestelle der Polizei angeschlossen. Die Polizei ist nach wie vor unsere wichtigste Quelle, was ereignisbasierte Meldungen angeht, wie etwa Informationen über Unfälle, Baustellen und dergleichen, und natürlich auch was Gefahrenmeldungen betrifft wie Falschfahrermeldungen, Leute, die Gegenstände von Brücken werfen, oder gefährliche Hindernisse, die auf den Straßen liegen. Darüber hinaus telefonieren wir regelmäßig mit der Verkehrsmeldestelle, aber auch mit den einzelnen Polizeipräsidien, wenn es darum geht, zu besonderen Verkehrsereignissen oder Verkehrslagen zusätzliche Informationen für unsere Hörer und Nutzer zu recherchieren.Auch die Meldungen des ADAC laufen über eine Schnittstelle in unser Redaktionssystem ein. Hier nutzen wir vor allem die FCD-basierten Informationen. Ebenso wie mit dem ADAC haben wir einen Vertrag über die Nutzung der Verkehrsflussdaten mit Tom Tom, die für uns als primäre Quelle für Staus, stockenden Verkehr und den daraus resultierenden Zeitverlust eine große Rolle spielen. Mit allen oben genannten Akteuren stehen wir in regelmäßigem Austausch zur Verbesserung der Zusammenarbeit auf technischer wie auf redaktioneller Ebene. An Google kommen wir natürlich nicht vorbei. Wir nutzen die Google-Karte als Übersicht und haben außerdem die Möglichkeit, uns für bestimmte Strecken, auf denen wir Meldungen vorliegen haben, dynamisch den Zeitverlust anzeigen zu lassen.
Wie gehen Sie beim Zusammenführung und Datenabgleich vor?
Was die Ereignismeldungen wie Unfälle und Baustellen angeht, sind die Meldungen, die wir über die Verkehrsmeldestelle beziehen, sehr verlässlich. Diese Daten reichern wir dann mit den Informationen an, die wir über unsere Verkehrsflussquellen erhalten, oder werfen auch einmal einen Blick auf die Verkehrskameras, deren Standbilder das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr zur Verfügung stellt.Dabei spielen oft auch Erfahrungswerte unserer Redakteure eine Rolle, die alle bereits mehrere Jahre bei uns tätig sind. Stellen wir in diesem Abgleich Ungereimtheiten oder Widersprüche fest, recherchieren wir, um der Sache auf den Grund zu gehen.
- Ausgabe 07/2022 S.39 (392.2 KB, PDF)