Fahrzeugschein im Handschuhfach
Erhöhte Diebstahlgefahr?
Mit einem Urteil zur Verwahrung von Fahrzeugpapieren im Handschuhfach stellt sich das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg gegen ein früheres Urteil des OLG Celle – und entscheidet damit zugunsten Geschädigter.
Vor genau einem Jahr, in der März-Ausgabe 2010, hatten wir über die Entscheidung des OLG Celle berichtet, wonach das Verwahren des Fahrzeugscheins im Handschuhfach zur Leistungsfreiheit des Kaskoversicherers führen kann (Aktenzeichen 8 U 62/67). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die grob fahrlässige Gefahrerhöhung. Demzufolge spricht der § 81 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) dafür, dass die Fahrzeugpapiere nicht im Fahrzeug aufbewahrt werden sollen. Wegen des Zurücklassens des Fahrzeugscheins im Handschuhfach besteht die dringende, zumindest erhöhte Gefahr eines Diebstahls des Fahrzeugs, weil der vertragsmäßig vorausgesetzte Standard an Sicherheit erheblich herabgesetzt und damit unterschritten wird. Erfahrungsgemäß suchen Diebe gerade im Handschuhfach nach Beute, weil sie mit der leider verbreiteten Unsitte rechnen, dass dort neben Wertsachen auch Fahrzeugpapiere und Reserveschlüssel aufbewahrt werden (so bereits der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 30.09.1980).
Kontra Gefahrerhöhung, Pro Versicherungsleistung
Hingegen hat sich das OLG Oldenburg mit Urteil vom 23. Juni 2010 (Aktenzeichen: 5 U 153/09) nicht der Rechtsprechung des OLG Celle angeschlossen: Die Versicherung ist trotz Aufbewahrung des Fahrzeugscheins im Handschuhfach zur vertraglichen Leistung verpflichtet. Denn die dauernde Aufbewahrung des Kfz-Scheins im Handschuhfach stellt nach Ansicht dieses Oberlandesgerichtes keine erhebliche Gefahrerhöhung dar.
Im verhandelten Fall verlangte der Bestohlene Leistungen aus seiner Kraftfahrt-versicherung wegen Entwendung seines Pick-ups. Das Fahrzeug war wie üblich im Freien abgestellt; der Fahrzeugschein befand sich – ebenfalls wie üblich – in einer Mappe im Handschuhfach. Wenige Wochen vor dem Diebstahl hatte der bestohlenen Kläger das Fahrzeug im Internet zum Verkauf angeboten.
Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht verurteilten die Kfz-Versicherung zur Zahlung. Damit verneinten die Richter explizit die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit aufgrund des Aufbewahrens des Fahrzeugscheins im Handschuhfach.
„Soweit der Kläger den Fahrzeugschein dauerhaft in einer Mappe im Handschuhfach belassen hat, handelt es sich lediglich um eine unerhebliche Gefahrerhöhung, die die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls oder der Vergrößerung des Schadens – wenn überhaupt – nur unwesentlich gesteigert hat“, befanden die Richter am OLG Oldenburg. „Der Entschluss, ein Fahrzeug zu entwenden, wird in aller Regel vorab gefasst, inklusive der Überlegungen zur anschließenden Verwertung. Ob sich vielleicht ein von außen nicht sichtbarer Fahrzeugschein irgendwo im Wagen befindet, spielt dabei keine Rolle. (…) Auch unter dem Gesichtspunkt einer erleichterten Verwertbarkeit liegt keine erhebliche Gefahrerhöhung vor“, begründeten die Richter ihre Entscheidung weiter.
INka Pichler
Praxistipp
Im Ernstfall sollten zwei Prüfungsschritte beachtet werden:
1. War das Hinterlassen der Zulassungsbescheinigung Teil I im Fahrzeug eine grobe fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles?
2. War das Hinterlassen der Zulassungsbescheinigung Teil I eine Gefahrerhöhung?
Zitieren Sie die Gründe der Entscheidung des OLG Oldenburg (zu finden in der Entscheidungsdatenbank „e-fundus“ auf http://www.oberlandesgericht-oldenburg.niedersachsen.de) und setzen Sie der Versicherung eine Zahlungsfrist. Bei Ablauf sollten Sie einen Anwalt Ihres Vertrauens mit der Überprüfung einschalten.
- Ausgabe 3/2011 Seite 67 (153.3 KB, PDF)