Von Susanne Löw
Rund 40 Mobilitätsprojekte waren es im Januar 2019, die in Hamburg damals noch entweder nur auf dem Reißbrett existierten oder bereits allmählich Gestalt annahmen (siehe Autoflotte 1/2-2020). An der Elbe wird auch weiterhin mit Hochdruck an der Mobilität von morgen geschraubt und getüftelt, immerhin ist die Hansestadt Gastgeberin des ITS Weltkongresses 2021 (Intelligent Transportation Systems), der vom 11. bis 15. Oktober 2021 stattfindet. Ob und wie Corona die Pläne der Hamburger durchkreuzen wird, beantwortet Andrea Weidinger, Prokuristin der ITS Hamburg 2021 GmbH, im Interview mit Autoflotte (siehe unten).
Mittlerweile beschäftigen sich bereits über 80 Projekte in Hamburg mit automatisiertem und vernetztem Fahren, digitalen Hafen- und Logistiklösungen, intelligenter Infrastruktur, urbanem Luftverkehr, nachhaltiger Mobilität und weiteren Dienstleistungen. Unter die "intelligente Infrastruktur" zählen mitunter auch spannende Ansätze, die sich mit der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität beschäftigen. Die Umsetzung aller Projekte liegt derzeit bei etwa 80 Prozent – wobei es die letzten 20 Prozent laut den Ingenieuren erfahrungsgemäß am meisten in sich haben. Es kamen aber nicht nur neue Projekte seit Anfang 2019 hinzu – im Übrigen vorrangig solche, die sich mit Drohnen beschäftigen, wie etwa das Projekt "Medifly", in dem Klinik und Labor eilige Gewebeproben auf dem schnellen Luftweg austauschen.
Andere Projekte wurden ausgeweitet. Aus "TaBuLa" (Testzentrum für autonome Busse im Kreis Herzogtum Lauenburg) wurde beispielsweise "TaBuLa-LOG" – die automatisierten Shuttles in Lauenburg, bis dato nur für die Personenbeförderung ausgelegt, sollen künftig auch Logistikanwendungen abwickeln. Automatisierte Paketzustellungen zum Beispiel.
Ausbau der Teststrecke
Und auch die Teststrecke für automatisiertes Fahren, die in der Hamburger Innenstadt durch entsprechende Anlagen und Sensorik entsteht, wird größer als gedacht: Statt der ursprünglich 37 Ampeln, die mit neuen Steuergeräten und sogenannten Road Side Units ausgerüstet werden, sollen es nun bis zum Jahr 2021 etwa 50 Ampeln werden. Und dank des Projekts ROKS-HH ("Rollout Kooperative Systeme Hamburg") kommen nochmal weitere 110 Signalanlagen im Stadtgebiet dazu. Insgesamt etwa 160 Anlagen bieten damit künftig die Chance, vernetztes Fahren mit echtem Mehrwert für die Verkehrsteilnehmer zu installieren und zu erproben, wobei die Kommunikation bilateral funktionieren soll: Daten werden von den Verkehrsteilnehmern übertragen, Handlungsempfehlungen und Warnhinweise werden zurückgeschickt, etwa zur empfohlenen Geschwindigkeit, wenn man sich einer Ampel nähert.
Neue Projekte, ausgeweitete Projekte – teilweise mussten aber auch Anpassungen vorgenommen werden. Der Zeitplan für den automatisierten Shuttle-Bus HEAT ("Hamburg Electric Autonomous Transportation"), der in der Hafencity zum Einsatz kommen soll, hat sich wegen hinzukommender technischer und rechtlicher Anforderungen (Zulassungsrecht) verschoben. Ab September sollen nun die ersten Fahrgäste für kostenlose Fahrten endlich zusteigen können. Dass HEAT allerdings pünktlich zum ITS-Kongress tatsächlich wie geplant ohne Sicherheitsfahrer auf der 1,8 Kilometer langen Strecke unterwegs sein wird, ist angesichts der aktuellen Rechtslage (noch) fraglich. Denn noch werden entsprechende Entwürfe von Gesetzgebungen für autonomes Fahren auf EU- und Bundes-Ebene diskutiert.
Und Corona? Das Motto des ITS Kongresses 2021 lautet "Experience Future Mobility Now" – als ob die Macher geahnt hätten, dass eine weltweite Pandemie die Mobilität der Zukunft seit diesem Jahr vor ganz neue, nämlich zusätzliche Hygiene- und Abstands-Herausforderungen stellt. Das BMVI und das Bundeswirtschaftsministerium haben bereits reagiert und Fördergelder für entsprechende Projekte ausgeschrieben. Die ITS-Verantwortlichen gehen fest davon aus, dass über diesen Weg spätestens Anfang 2021 weitere neue Projekte an der Elbe dazukommen, die Antworten auf diese neuen Fragestellungen finden wollen. ITS Hamburg 2021 – mit und trotz Corona!
Andrea Weidinger war bereits 2017 als Leiterin der Marketingorganisation "Hamburg Convention Bureau" aktiv dabei, als sich die Stadt erfolgreich als Gastgeberin des Weltkongresses beworben hat. Seit Anfang 2018 leitet sie als Prokuristin der ITS Hamburg 2021 GmbH das Hamburger Büro.
Autoflotte: Der Kongress rückt immer näher – was hat sich in Ihrem Team in den letzten Jahren getan?
Andrea Weidinger: Wir haben 2018 zu dritt angefangen, heute sind wir 13 Kolleginnen und Kollegen, die sich immer stärker spezialisiert haben: Dabei kümmert sich etwa einer um die beteiligten Unternehmen, ein weiterer um Kommunikation und Marketing, ein dritter um die geplante Ausstellung. Außerdem legen wir als Hafenstadt einen Fokus auf Logistik und Wasserwege – das ist ein Novum in der ITS-Historie. Und: Letztes Jahr haben wir die Young Mobility Community gegründet, um neben Startups auch junge Talente anzusprechen.
Die jungen Hamburger sind also eine der zentralen Zielgruppen, die Sie erreichen wollen?
A. Weidinger: Alle Schüler ab der 8. Klasse und alle Studierende sind eingeladen, die Mobilität von morgen mitzugestalten. Dafür wird es Veranstaltungen mit Schulen und an Universitäten, etwa digitale Barcamps, geben – und auch unser Instagram-Kanal #itsyoungmobility steht bereits. Denn junge Menschen haben einen starken Sinn für die zukünftigen Herausforderungen der Mobilität. Diesen frischen Wind, der durchaus auch mal kritisch ist, wollen wir verstärkt auf den Kongress bringen, um den Diskurs anzustoßen. Auf dem Weltkongress im Herbst 2021 werden die jungen Talente deshalb einen eigenen Ausstellungsbereich gestalten und ihre Ideen dem Fachpublikum präsentieren.
Inwieweit soll auch die übrige Hamburger Bevölkerung eingebunden werden?
A. Weidinger: Natürlich werden auf dem ITS-Kongress 2021 Projekte aus allen deutschen Kommunen gezeigt, aber Hamburg ist die Gastgeberstadt – das Motto lautet "Experience Future Mobility Now". Daher wollen wir auch die Hamburger einbinden und ihnen zeigen, was in der Stadt passiert. Daher planen wir neben einem Bürgerkongress diverse Aktionen, um die Projekte vor Ort erlebbar zu machen, für die wir stark mit Unternehmen, Verwaltung und Wissenschaft in Hamburg vernetzt sind.
Sie erwarten bis zu 15.000 Teilnehmer aus aller Welt. Wie positionieren Sie sich angesichts der Planungsunsicherheit, die Corona mit sich bringt?
A. Weidinger: Der ITS-Kongress in Lissabon, ursprünglich im Mai geplant, und der für Oktober angedachte ITS-Kongress in Los Angeles werden ersatzweise als virtuelles Event stattfinden. Wir planen derzeit in enger Abstimmung mit ERTICO aber noch wie bisher den ITS-Kongress in Hamburg als Präsenzveranstaltung, werden aber – unabhängig von Corona – Teile des Kongresses auf jeden Fall auch als Hybrid anbieten, z. B. in Form von Livestreamings. Wir behalten das Weltgeschehen parallel im Blick und werden zu einem gegebenen Zeitpunkt final entscheiden, wie wir vorgehen.
Frau Weidinger, herzlichen Dank für das Interview.