Jedes zweite Auto in der Golf-Klasse ist ein Kombi. Wer in diesem Segment keine große Klappe riskiert, der büßt automatisch einen großen Teil des Marktes ein. Das hat jetzt endlich auch Honda begriffen und baut nach über zwei Jahrzehnten wieder einen Kombi in der Kompaktklasse. "Tourer" heißt der Lademeister, der seine Weltpremiere als Serienmodell im September auf der IAA in Frankfurt feiert und nach dem Jahreswechsel in den Handel kommt.
Weil die Amerikaner nur die Limousine fahren und die Japaner schon den Fünftürer ausschließlich als sportlichen Type-R ins Land lassen, ist der Kombi eine rein europäische Angelegenheit, sagt Patrik Ponec, der bei den Japanern die Produktplanung leitet. "Deshalb wurde diese Variante auch komplett in Europa entwickelt." Design, Konstruktion, Abstimmung, all das hat die Honda-Mannschaft im englischen Werk Swindon und im Entwicklungszentrum Offenbach ohne Schützenhilfe aus Japan gestemmt.
Für das Auto war das kein Schaden. Diesen Eindruck zumindest gewinnt man bei der ersten Testfahrt mit einem frühen Prototypen. Der 120 PS-Diesel aus dem Fünftürer klingt zwar noch ein bisschen zu kernig, und die Schaltung hakt bei schnellen Gangwechseln noch ein wenig. Doch das Fahrwerk passt gut zu den europäischen Straßenverhältnissen: "Sicher bei hohem Tempo auf der Autobahn und agil auf der Landstraße. Und das ganze berechenbar und ohne böse Überraschungen", fasst Fahrdynamiker John Hargreaves seinen Anforderungskatalog zusammen.
Adaptive Federung an der Hinterachse
Dafür hat Honda ziemlich tief in die Trickkiste gegriffen. "Schließlich haben wir dem Civic nicht einfach nur einen Rucksack aufgesetzt, sondern wollten ein Auto wie aus einem Guss", sagt Hargreaves. Um die unterschiedlichen Lasten bei unterschiedlichen Belastungszuständen auszugleichen, baut Honda im Civic deshalb erstmals eine adaptive Federung an der Hinterachse ein. Sie will nicht nur ein Höchstmaß an Stabilität und Komfort in allen Fahrzeugzuständen und Fahrsituationen bieten. Sie lässt dem Fahrer zudem auch die Wahl, ob er es gerne straff oder schlaff hat und gelassen dahin gondeln oder rasant durch die Kurven räubern will.
Das und eine neu abgestimmte Lenkung sind allerdings die wohl einzigen technischen Änderungen am Civic. Denn auch wenn die Japaner dazu noch keine Details nennen, dürfte es unter der Haube wohl auf die bekannten Vierzylinder hinauslaufen. Neben dem 1,6-Liter-Diesel aus dem Prototypen sind das dann ein 2,2-Liter-Diesel mit 150 PS und zwei Benziner mit 1,4 Litern Hubraum und 100 PS oder 1,8 Litern und 142 PS.
Umso größer sind natürlich die Änderungen bei der Karosserie, der man auch unter der Tarnfolie schon ihren gemäßigten Zuschnitt ansieht. So wirkt der Tourer noch immer sportlich, ist aber lange nicht mehr so futuristisch – und schenkt sich deshalb auch den riesigen Heckflügel, der beim Fünftürer so polarisiert und dem Fahrer zugleich den Blick nach hinten verstellt.
25 Zentimeter mehr
Dafür gibt es hinten jetzt rund 25 Zentimeter mehr Überhang und eine entsprechend gestreckte Dachlinie. Über der extrem flachen Ladekante reicht das für ein bisschen mehr als 600 Liter Kofferraum und auf der Rückbank für spürbar mehr Kopffreiheit. Und wenn man die "Magic Seats" völlig flach im Boden versenkt, dürfte der Tourer gut und gerne zwei Kubikmeter Ladung fassen. Falls die mal ein bisschen höher ist, kann man die magischen Sitze übrigens auch aufstellen und dann im Fußraum zum Beispiel ein Fahrrad aufrecht transportieren.
Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Aerodeck sind die Europäer sichtlich stolz, dass sie ihren japanischen Chefs wieder einen Kombi aus den Rippen geleiert haben. Wenn sie jetzt noch eine moderate Preispolitik an den Tag legen und sich mit einem Einstieg unter 18.000 Euro begnügen, dann könnten die Planungen tatsächlich aufgehen und jeder dritte Civic aus Swindon eine große Klappe riskieren. Das haben übrigens mittlerweile auch ein paar andere Märkte erkennt, sagt Projektleiter Adrian Killham: "Wir spüren bereits ein gewisses Interesse von Kollegen auf anderen Kontinenten." (Benjamin Bessinger/sp-x)