Soll die Masse begeistert werden? Dann folgen amerikanische Unternehmen gern dem KISS-Prinzip. Was die Abkürzung bedeutet, erklärt Doug Welk, Chefingenieur beim Autozuliefer Delphi: "Keep it simple and stupid." Frei übersetzt: Halt es so einfach, dass es jeder Trottel begreift.
Damit haben US-Firmen durchschlagenden Erfolg - nicht nur bei Erklärbuch-Reihen nach dem Motto "iPhone für Dummies", "Windows für Dummies", "Android für Dummies" - sondern auch mit Hard- und Software. Das iPhone etwa ist ja gerade deswegen so ein Renner, weil es fast jeder intuitiv bedienen kann.
Das KISS-Prinzip nimmt sich jetzt auch die Autobranche verstärkt zu Herzen - und nirgendwo ist das so deutlich zu sehen wie auf der Consumer Electronics Show (CES), die derzeit (bis 9. Januar) in Las Vegas stattfindet. Der große Trend dort heißt: Moderne Technik ist nur gut, wenn sie jedes Kind bedienen kann - auch im Auto.
Plausch mit der Maschine
Zum Beispiel, indem die Technik mit mir redet. Spracherkennung ist bisher eher auf abgehackte Kommandos beschränkt, die der Bordcomputer mit monotoner Stimme nachleiert - wenn er sie denn überhaupt versteht. Das will Delphi-Mann Welk jetzt menschlicher gestalten. Auf der CES wummern zwar im Hintergrund die Bässe vom Nachbarstand, aber mit dem Delphi-Computer lässt es sich ganz entspannt plauschen. Und das auch in ganz normalen Sätzen. Anders als Smartphone-Anbindungen können die ins Fahrzeug eingebauten Spracherkennungen auch Fahrbefehle weiterverarbeiten.
"Übernimm doch bitte das Steuer, der Stau nervt." Das könnte so ein Kommando sein, bei dem die Technik eingreift. Bosch präsentiert auf der CES ein Versuchsfahrzeug mit der neuesten Generation seines Stauassistenten, der bei quälendem Stop-and-Go lenkt, bremst, beschleunigt und in der Spur bleibt. Die Technik werde sich auch außerhalb des Luxus-Segments bald flächendeckend durchsetzen, sind sich die Schwaben sicher. Weil sie einfach zu bedienen ist und einen echten Vorteil bietet.
Neben den klassischen Zulieferern steuern auch immer mehr Computer- und Software-Konzerne ihr Know-how dazu bei, dass das Auto mitdenkt und mitlenkt. Und das bedeutet auch: weitgehend unfallfreies Fahren wird möglich. Schließlich sind an 90 Prozent aller Crashs menschliche Fehler schuld. Grafikkarten-Spezialist Nvidia etwa zeigt einen Computer, der besonders schnell und präzise Objekte unterscheiden kann. "Nvidia Drive" kann blitzartig Fußgänger, Radfahrer oder Rehe und sogar verschiedene Automodelle erkennen, so Konzern-Chef Jen-Hsun Huang. Sein Superrechner kann gleichzeitig Bilder von bis zu zwölf Kameras verarbeiten - und so selbstständige Assistenzsysteme exakter einsetzen helfen. Der Fahrer muss selber nichts dazutun. Autofahren für Dummies sozusagen.
Radikaler Eingriff
Das autonome Eingreifen ist sozusagen die Spitze der einfachen Bedienung im Auto: Der Computer macht das Richtige im Straßenverkehr, ohne dass der Fahrer noch lenkt, bremst oder Gas gibt. Ganz radikal zeigt Mercedes auf der CES ein Zukunftssystem, bei dem die Insassen in der Fahrt nicht mal mehr zur Frontscheibe nach vorne schauen. Autonomes Lenken, Gasgeben und Bremsen mit dem klassischen Fahrer als System-Überwacher ist aber fast überall bei den vertretenen Herstellern schon Standard.
Um Leben und Tod geht es natürlich nicht immer gleich - oft aber um Komfort. Deswegen tritt auch das autonome Einparken bald in eine neue Phase ein: Sowohl VW als auch BMW und Audi zeigen Modelle, die ihre Parkbucht ansteuern, ohne dass der Fahrer im Auto sitzt. Er drückt vielmehr auf dem Minidisplays seines Smartphones ein Feld, und das Auto kurvt in die Lücke.
Die Smartwatches, die auf der Messe zu sehen sind, können die erforderlichen Daten allerdings im Moment noch nicht verarbeiten. Das sagen etwa Entwickler von LG oder Panasonic. Dazu müssen Apple oder Google erst einmal die Schnittstellen zu ihrer Autosoftware auch für die sogenannten Wearables - wie Uhren - freigeben. "Technisch ist das aber kein Problem", so John Avery von Panasonic.
Schon eher eine Herausforderung wird es für den Fahrer, wenn künftig verstärkt Informationen aus der virtuellen Umwelt wie Facebook-Nachrichten oder Tausende Internet-Radiosender seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Bosch hat dazu bereits Instrumente entwickelt, die solche Informationen ins Blickfeld des Fahrers einblenden - Tacho und Drehzahlmesser werden dann im virtuellen Cockpit einfach verkleinert. Die Technik wird noch in diesem Jahrzehnt auch in Kompaktwagen einziehen.
Wisch-und-Weg
Genau wie Gestensteuerung. Wischen und mit zwei Fingern den Bildschirmausschnitt vergrößern - das kennt der Autofahrer schon vom Tablet. Viele Zulieferer und Hersteller präsentieren jetzt Prototypen, bei denen das auch im Auto-Display funktioniert. Parrot und Pioneer zeigen sogar Nachrüst-Lösungen, deren Bildschirme das Wisch-und-Weg beherrschen. Ob die Daten dabei von einem Apple- oder Android-Smartphone kommen, ist den Einbau-Multimediasystemen gleich.
Hauptsache einfach. Da machen die Zulieferer, Nachrüster und Software-Entwickler auf der CES den etablierten Autoherstellern mächtig Dampf. "Wir können da noch lernen", gibt etwa VW-Entwicklungschef Heinz-Jakob Neußer unumwunden zu: "Den Trend bei der Bedienung setzen da die Firmen aus der Informationstechnologie."
Manchmal vielleicht sogar die ganz kleinen auf den ganz kleinen CES-Ständen, die direkt neben den Industriegiganten stehen. Vance Chang von der taiwanesischen Firma Wiva zum Beispiel zeigt da ein graues Kästchen, klein wie eine Zigarettenschachtel. Das kommt auf den Instrumententräger. Drin steckt ein GPS-Empfänger - und auf Knopfdruck klappt daraus ein durchsichtiger Bildschirm auf, der Geschwindigkeitsdaten ins Blickfeld des Fahrers bringt. Fertig ist das Head-up-Display zum Nachrüsten für jedermann. Nach dem KISS-Prinzip eben. (Peter Weißenberg/sp-x)