Die Anwohner und Pendler, die sich im Bereich der Münchener Straße in Nürnberg oft aufhalten, werden sich die Augen gerieben haben. Vor zwei Wochen gab es an der Stelle direkt neben der Nürnberger Messe noch nichts. Jetzt steht dort der schwarze Kubus mit Audi Logo und rot-weißem Schriftzug: Audi charging hub steht drauf. Es ist ein Pilotprojekt von Audi, das erst vor knapp einem Jahr die Freigabe des Vorstands bekommen hat und heute bereits Realität ist.
Nicht genug Strom vorhanden
Die Idee haben lediglich fünf Audianer – sehr pfiffig umgesetzt. Mit dem Pilotprojekt – das vorerst auf drei Monate angesetzt ist – will Audi zeigen, wie innerstädtisches Schnellladen (HPC = High Performance Charger) funktionieren kann. Und zwar gerade dann, wenn nicht genug Strom an der "idealen" Location vorhanden ist. Genau das ist beim Audi charging hub der Fall. Die Münchener Straße teil den Süden Nürnbergs. Auf der einen Seite ist die Messe, auf der anderen ein Wohngebiet und dazwischen tausende Autos jeden Tag, die in und aus der Stadt rollen. Die Idee ist auch, dass Pendler hier eine kurze Verschnaufpause einlegen und währenddessen ihr E-Auto laden.
Da jedoch lediglich 200 kW Netzanschluss an dieser Stelle zur Verfügung stehen, würde im Normalfall ein Schnelllader hier platziert werden können – wenig sinnvoll. Denn für einen zweiten reicht der vorhandene Strom schon nicht mehr aus. Gelöst haben die Ingolstädter das mit diversen Speicherbatterien, die sich im Inneren des schwarzen Kubus befinden und zusammen 2,45 MWh Zwischenspeicher bereitstellen können. Damit wird eine maximale Ladeleistung von 960 kW ermöglicht – zeitgleich. Diese 960 kW werden durch Akkus von alten Audi-Modellen erzeugt. Das viel besprochene Second Life der "alten" Batterien findet hier also Anwendung.
Im Moment sind es hunderte von E-Tron-Modulen, die pro Einheit knapp 14 Kilogramm auf die Waage bringen. Sie verteilen ihre Energie auf sechs (überdachte) Ladepunkte, ergo würde bei Vollauslastung 160 kW an jeder Säule zur Verfügung stehen. Damit können theoretisch 80 E-Fahrzeuge in 24 Stunden bedient werden.
Eigentlich 5 Tiny Houses
Die Cubes sind eigentlich fünf Tiny Houses. Der Lieferant fürs Pilotprojekt baut normalerweise diese kleinen Minihäuser, die gerade so gehypt werden. Audi hat sie kurzerhand umfunktioniert. Über den Ladeplätzen schwebt sozusagen die zweigteilte Lounge. Im vorderen Bereich darf jeder hinein, der unten sein Auto lädt und mit dem Start des Ladevorgangs einen PIN erhält, der die Tür oben öffnet. Empfangen wird man zwischen 10 – 19h von einem Concierge, der das Konzept auf Wunsch erklärt und sich ums Wohlbefinden der Gäste kümmert. In den hinteren bereich dürfen nur Audi-Kunden, sie beziehen über die Audi-App einen separaten PIN. Mehr gibt es dort jedoch nicht wirklich.
Wer die rund 45 Minuten verweilen möchte, kann sich währenddessen mit Snacks und Getränken versorgen – die, so weit möglich, aus der Region stammen. Der Automat, an dem die Produkte ausgewählt werden, steht im vorderen Bereich, der für alle zugänglich ist. Bezahlt werden muss mit Karte oder beispielsweise ApplePay. Wer gleich seinen gesamten Einkauf erledigen will, kann sich diesen via Fahrrad-Lieferdienst praktisch in den Kofferraum liefern lassen – angeblich kommt die Ware innerhalb von zehn Minuten, wenn der Gorilla-Radler kräftig in die E-Pedale tritt.
Charging-hub-Kunden können jedoch nicht nur Dinge "mitnehmen", sie können sie auch dort lassen. Denn selbstverständlich gibt es auch Toiletten – alles sogar barrierefrei. Insgesamt nimmt der charging hub in Nürnberg 700 Quadratmeter Fläche ein, 200 davon entfallen auf die Lounge.
Das Audi-Paket ist modular aufgebaut. Das bedeutet, die Größe kann fast nach Belieben erweitert werden und an anderer Stelle eben 24 oder noch mehr Ladepunkte bieten. Somit wird perspektivisch die Ausrede, dass weder in der Firma noch an der Wohnung ein Ladeanschluss vorhanden ist, kaum mehr als Ausrede gelten, um kein E-Auto fahren zu "müssen". Oder zumindest: keinen E-Audi.
Denn als Audi-Bev-Kunde hat man nicht nur den etwas exklusiveren Loungebereich, man kann zudem seinen Ladeslot im Voraus buchen und bekommt diesen für 15 Minuten reserviert. Der Ladeslot beträgt in Gänze 45 Minuten (Idealvorstellung seitens Audi), was bei den meisten E-Autos mit dem gebotenen Ladetempo ausreicht, um den Akku von nahezu null Prozent auf gut 80 Prozent zu laden, was ja auch der Empfehlung entspricht, um die Batterielebensdauer möglichst lange konstant zu halten.
Reservierung nur für Audi-Kunden
Reserviert wird per Audi-App. In 15 Minuten-Abständen können die freien Slots gebucht werden. Blockiert werden die Ladeplätze indem eine elektrisch ausklappbare Barriere hochfährt, die bei Ankunft via App wieder gesenkt werden muss. Das sollte klappen, es sei denn, der vorher ladende E-Kunde ist oben in der Lounge eingeschlafen. Um zu wissen, wie der Ladestand des eigenen Fahrzeugs ist, gibt es in der Lounge auf der Audi- und der Jedermann-Seite große Anzeigen, die den State of Charge (SOC) anzeigen und auch mitteilen, ob und ab wann der Ladeplatz (wieder) reserviert ist. Zudem leuchtet bei spätestens 80 Prozent Ladekapazität ein rotes Lämpchen, um den "Druck" zum Losfahren etwas zu erhöhen. Um sich die Zeit zu vertreiben, können sich Audi-Kunden nicht nur auf den Balkon zurückziehen, sie können sich auch am 92-Zoll-Touchdisplay verdingen und beispielsweise den nächsten e-Tron konfigurieren.
"Alle" Ladekarten funktionieren
Die Ladepreise entsprechen denen des genutzten Ladekartenanbieters. Laut Audi sind alle gängigen Ladekarten nutzbar. Für ganz Ungeduldige ist Audi am ersten charging hub eine Kooperation Tier eingegangen. Das sind die mit den Kickscootern. Man könnte also während der Ladezeit auch selbst in den Biomarkt fahren, falls einem das Gorilla-Lieferkonzept nicht 100-Prozent überzeugt.
Und wenn gar das gesamte Audi charging hub nicht überzeugt, kann dieser innerhalb weniger Tage komplett zurückgebaut werden und mit denselben Teilen an anderer Stelle neu aufgebaut werden. Dazu wurden beispielsweise clevere Luftkissen unter den rund acht Tonnen schweren Batteriespeichern platziert, die das Herausschieben samt Ladesäule durch zwei Personen ermöglichen. Das Stahl- und Holzkonstrukt ist ebenfalls im Handumdrehen demontiert. Doch ganz ehrlich: das wird wohl eher nicht passieren, denn das Konzept überzeugt. Was fehlt noch: tatsächlich die Möglichkeit, die Scheiben zu reinigen und die Luft zu prüfen. Das findet man bei Audi noch etwas unsexy. Mag sein, aber nochmal an die Verbrenner-Tanke zu fahren, um das zu erledigen, ist noch unsexier. Und nicht ganz fair.
Spannend bleibt bis dato, ob und wenn ja wie viel der Service nach einer Einführungsphase kosten wird. Denn Audi ist keine Sozialstation und die Kosten werden sich kaum über die Ladetarife refinanzieren lassen. Bis dahin ist aber noch etwas Zeit und ein Stopp in Nürnberg lohnt, selbst wenn vielleicht nicht immer einer der sechs Ladepunkte frei sein wird. Ach so: Das Weihnachtsgeschenk gibt es einen Tag vor Heilig Abend. Ab dem 23.12. startet das Pilotprojekt. mb