Von Holger Holzer/SP-X
Wer vor Fahrverboten sicher sein will, kauft ein Auto der fortschrittlichsten Abgasnorm. Doch das ist gar nicht so einfach: Aktuell gibt es fast ein Dutzend unterschiedlicher Varianten der Euro-6-Stufe, drei davon sind 6d-Normen. Und dann kommt ja auch noch Euro 7.
Wer heute einen Neuwagen das erste Mal zulassen will, muss ein Fahrzeug der Norm Euro 6d Temp-EVAP-ISC oder besser besitzen. Sie hat im Herbst die Norm Euro 6d-Temp-ISC abgelöst, die wiederum die bis zum Sommer geltende Normen Euro 6d Temp EVAP und Euro 6d Temp ersetzt. Schon verwirrt? Es geht noch weiter: Vor den 6d-Normen gab es noch die Stufen 6c und 6b, die 2015 die alte Euro-5-Norm endgültig abgelöst haben. Die Geltungszeiträume all dieser Euro-6-Variationen überschneiden sich teilweise, auch weil es für Neuwagen und neue Pkw-Typen jeweils andere Stichtage gibt.
Von den Euro-5-Norm kennt man diese Inflation nicht, sie hatte gerade einmal zwei Iterationen: 5a und 5b. Euro 1 und 2 gab es sogar jeweils nur einmal. Die Euro-6-Norm hingegen existiert bislang sieben Mal, vier weitere Stufen treten bis Anfang 2021 noch in Kraft, bevor schließlich Euro 6d-ISC-FCM der vorläufig dauerhafte Standard wird. Als Autokäufer könnte man die Euro-6-Verwirrung als bürokratische Posse belächeln. Doch das kann teuer werden. Wie der Abgasskandal gezeigt hat, können Fahrverbote urplötzlich auch jungen Fahrzeugen drohen, die man kurz zuvor noch als normal sauber und modern bezeichnet hätte. Soweit muss es natürlich nicht kommen. Doch vor allem, wer einen teuren Neuwagen kauft, würde das Risiko wohl nicht eingehen wollen, dass das Auto schon kurz nach der Erstanmeldung nicht mehr zulassungsfähig ist.
Der Bezug zu möglichen Fahrverboten ist nicht allzu weit hergeholt: Dass es so viele Normen gibt, hat nämlich durchaus etwas mit dem Abgasskandal zu tun. Denn in dessen Folge haben die Behörden bei der Überwachung der Autohersteller noch einmal nachgeschärft. So gibt es bei den einzelnen Stufen der Euro-6-Familie zwar auch einige Änderungen, was die erlaubte Schadstoffmenge angeht. Was die einzelnen Stufen aber vor allem unterscheidet, sind Nebenregelungen, die die Überprüfung der Fahrzeuge betrifft. Wie etwa der künftig vorgeschriebene Check der Funktion der Abgasreinigung bei bereits ausgelieferten Fahrzeugen. Diese "In-Service-Conformity", abgekürzt ISC, ist seit Anfang 2019 Bestandteil der Euro-6d-Temp-Norm. Ein weiterer Bestandteil wird mit EVAP abgekürzt und begrenzt die erlaubten Verdunstungs-Emissionen aus dem Kraftstoffsystem.
FCM soll realistischere Verbrauchswerte liefern
Das interessanteste Akronym ist jedoch "FCM", das Bestandteil der seit Januar für neue Pkw-Typen geltenden Norm Euro 6d-ISC-FCM ist und ein Jahr später für alle Neuwagen wichtig wird. Hinter der Abkürzung versteckt sich der Begriff "Fuel Consumption Monitoring", der wiederum die Aufzeichnung des realen Kraftstoffverbrauchs in Kundenhand bezeichnet. Die Regelung ist Teil des neuen Abgastests WLTP und soll sicherstellen, dass die Hersteller realistischere Verbrauchswerte für ihre Autos veröffentlichen als in der Vergangenheit. In den letzten Jahren nämlich ist die Differenz zwischen Normangaben und tatsächlichem Praxisdurst stark gestiegen. Wie genau die Daten erhoben und vor allem verarbeitet werden sollen, ist noch weitgehend unklar. Möglich wäre sowohl ein Auslesen während der Hauptuntersuchung als auch ein drahtloses Übertragen in Echtzeit. Das In-Kraft-Treten der Euro-Norm bedeutet zunächst einmal nur, dass die Fahrzeuge ein Verbrauchsmessgerät (On-Board Fuel Consumption Meter, OBFCM) an Bord haben müssen.
Die FCM-Regelung birgt Ungewissheiten und Risiken – nicht nur für Halter entsprechender Fahrzeuge, sondern auch für die Hersteller. Vor allem die teilelektrischen Plug-in-Hybride müssen Angst vor einer Enttarnung durch die Messgeräte haben – liegt ihr Realverbrauch doch häufig extrem viel höher als der Normwert, weil viele Dienstwagenfahrer mit Tankkartenberechtigung auf das Stromladen und damit auf die Möglichkeit emissionsfreien Fahren verzichten. Künftig könnten diese Messwerte dann möglicherweise auch zur Berechnung der CO2-Strafen der EU herangezogen werden. Der Drang der Hersteller, ihre Fahrzeuge heute schon nach dem Zukunftsstandard zertifizieren zu lassen, ist daher überschaubar. Und auch der Fahrer könnte dank der neuen Überwachungstechnik zumindest theoretisch zur Kasse gebeten werden – etwa mit einer Art CO2-Strafe, wenn er besonders ineffizient fährt.
Mit Euro 6 ist die Entwicklung aber nicht zu Ende. Die neue Euro-7-Norm schimmert bereits am Horizont. Auch, wenn heute noch niemand weiß, wann genau und in welcher Form sie kommen wird.