Von Michael Blumenstein/Autoflotte
Vor 15 Jahren wäre die Fahrpräsentation des neuen Golf noch einem Weltereignis gleichgekommen. Die Medien hätten sich drauf gestürzt, der Auto-affine Teil der Bevölkerung hätte die ersten Meinungen kaum erwarten können. Und Ende 2019? Ja, hallo Golf eben. Ober besser hallo Volkswagen, doch dazu später mehr.
Der neue Golf ist da. Bestellbar ab 5.12.2019, zu haben ab Frühjahr 2020. Ein weiteres Modell von unzähligen, das 2019 das Licht der Welt erblickte. Dabei ist der Golf noch immer ein Meilenstein im Automobilbau – wenngleich ein eher emotionsarmes, jedoch vielleicht deswegen nahezu perfektes. Denn trotz allem SUV- und Kombi-Hype ist er nach wie vor das meistverkaufte Fahrzeug – im Flottenmarkt und auch in Gänze. Und weltweit haben es die bislang sieben Modellreihen in 45 Jahren Lebenszeit auf fast 36 Millionen Exemplare gebracht.
Und jetzt, jetzt kommt Golf 8. Auch er wird sich sauber verkaufen. Dass er zu neuen Höhenflügen ansetzt, ist jedoch ausgeschlossen. Zu groß ist die interne und externe Konkurrenz, zu diversifiziert die Alternativen. Dabei haben die Wolfsburger beim Golf 8 wieder alles richtiggemacht – könnte man meinen. Rein optisch morphen sie sich sanft ins nächste Jahrzehnt. Ob das der richtige Weg ist? Ein schielen nach Ingolstadt sagt: vielleicht zu sanft. Nichtgefallen kann der neue Golf hingegen auch nicht, dafür ist das Design zu einfach, zu schlicht, zu neutral. Und damit stört sich wiedermal niemand daran. Und auch im Golf 8 ist man gut angezogen.
Neue Strategie bei den Ausstattungslinien
Egal ob in der Basisversion, die fortan einfach Golf heißt, oder in den Toplines, die sich jetzt Style und R-Line nennen. Dazwischen parkt Life und spiegelt wohl das wider, was die meisten von einem Golf erwarten. Zu erwarten war, dass er ausschließlich als 5-Türer kommt. Dreitürer sind – anders als Diesel – out. Mit 4,28 Metern Länge bleibt der Liebling der Deutschen seiner Statur treu und bemisst das untere Ende der Kompaktklasse. Gut so. Denn bei der Parkplatzsuche zählt mittlerweile jeder Zentimeter. Das Raumangebot innen ist nach wie vor gut. Weniger Platz gibt es aber in vielen Modellen. Vorne verwöhnt auf der Fahrerseite auf Wunsch ein AGR-Sitz. Ergo-Active nennt sich das Gestühl mit vierfach pneumatisch einstellbarere Lordosestütze, ausziehbarer Schenkelauflage, allerlei Verstellmöglichkeiten und ausgeprägten, jedoch recht weichen Sitzwangen. Dass die Kopfstütze lediglich in der Höhe verstellbar ist, merken aufrechte Piloten, dann drückt das Polster schonmal am Hinterkopf und die Lehne muss in die Schräge.
Alles neu, alles gut?
Schräg könnte auch der Weg des Cockpits beschrieben werden. Alles neu, alles gut? Mitnichten. Das stets 10,25 Zoll Innovision getaufte Cockpit ist in merkwürdig-spiegelndes Hochglanzkunstoff gehüllt (siehe Fotos), das je nach Blickrichtung nicht nur wellig erscheint, es sieht einfach nicht hochwertig aus. So hat auch die Materialgüte des neusten Wolfsburgers keinen Schritt mehr nach vorne gemacht – kurzlebig mutet gar die Abdeckung der 12-Volt-Steckdose in der Mittelkonsole an. Die Zukunft stagniert an diesem Punkt offensichtlich. Das hochauflösende TFT-Kombiinstrument lässt sich zwar eine Vielzahl an Informationen abringen (AppleCarPlay funktioniert ohne Kabel), viele bleiben aber für vielen Menschen ein Autoleben lang unentdeckt und die Frage darf gestellt werden: Ist weniger nicht endlich mal mehr? Oder möchten tatsächlich alle ständig auf Bildschirme glotzen? Handy, Computer und TV reichen doch. Und an die Eleganz eines schönen Analoginstruments (mit notwendigen Bordcomputer-Infos) kommt eine Digitalversion nie ran. Oder weswegen sind die schönen Uhren noch immer mechanisch?
Als Infotainment-Screen fungiert im größten Fall ein 10-Zoll-Display. Darauf und dahinter verbergen sich unzählige Einstellmöglichkeiten, so dass man froh ist, viele davon via Sprache finden und justieren zu können. "Hallo Volkswagen" lautet die dröge Formel, um die Sprachagentin aufzuwecken. Sie hört, ob Fahrer oder Beifahrer anfragen und ändert auf Ansage die Temperatur seitenkorrekt, wechselt den Radiosender und übernimmt andere Tätigkeiten, die zuvor auf Knopfdruck oder mit simpler Drehbewegung zirka fünf Prozent der Zeit in Anspruch genommen haben.
Fahrbericht VW Golf 8
BildergalerieStart ab rund 17.000 Euro
Knapp 17.000 Euro netto soll der Basis-Golf mit Basis-Motor kosten – genaue Preise und Daten lagen zu Redaktionsschluss nicht vor. Hightech-Features wie den Spurhalteassistenten, Auffahrwarner mit City-Notbremsfunktion und Fußgängererkennung, Abbiegeassistenten, Car2X, Digital-Cockpit, Online-Infotainmentsystem mit 8,25-Zoll-Touchscreen, Multifunktionslenkrad sowie LED-Rückleuten und "einfache" LED-Scheinwerfer inklusive. Beim Licht gibt es noch eine Midlevel-Lösung und die Topversion mit Matrixfunktion, bei der pro Scheinwerfer 22 LEDs die Nacht entfachen.
Somit könnte man meinen, dass der Preis ausstattungsbereinigt gesunken ist. Real wird der neue Golf, bis er im Fuhrpark eintrifft, wohl teurer werden. Denn gerade die neuen Motoren sind interessant und kosten mehr. TSI, TDI, TGI, eTSI und Plug-in-Hybrid lauten die Kürzel. Bei schmalen 90 PS fängt das Programm an, der Spaß wohl erst weiter oben. Es folgen 110, 130 und 150 PS auf der Benzinerseite. Mittels 48-Volt-Riemen-Startergenerator in Kombination mit einer kleinen Lithium-Ionen-Batterie werden die eTSI hybridisiert und charakterisieren die drei Mild-Hybride – mit identischer Leistungsspanne. Verbrauchseinsparung und eine bessere Anfahrperformance sind die USP. Zwei Plug-in-Hybridantriebe (PHEV) runden das "Otto-Angebot" ab.
Wir fuhren den neuen 150-eTSI und empfehlen ganz klar den modifizierten 130-PS-TSI mit Zylinderabschaltung, aber ohne Elektroschub. Warum? Weil der eTSI sich motor-getriebeseitig sehr synthetisch fährt, inklusive undefiniertem Bremspedalgefühl, das die Rekuperationsarbeit transparent aber keineswegs schönmacht. Plug-in-Hybride mit 204 und der 245 PS (GTE) lassen sich mit externem Strom befüllen und speichern die Energie in der 13 kWh-Lithium-Ionen-Batterie. Diese dürfte für rund 80 Kilometer gut sein. Bestellbar sind die Dienstwagen-Sparschweine ab zirka Frühjahr 2020. Dann folgen auch die sicherlich empfehlenswerte Erdgasversion sowie der sportive GTI und der allradgetriebene R. Allrad wird es ebenfalls etwas später auch für Diesel und Benziner geben.
Langstreckenmaschine
Aktuell wird mittels gut sortierbarem Sechsgang-Handschaltgetriebe oder Siebengang-DSG geschaltet. Klappt beides gut. Doch gerade im TDI harmoniert der Doppelkuppler exzellent und macht aus dem Golf eine Langstreckenmaschine, einen Sparkünstler, einen Sportwagen und bleibt doch immer ein Golf. Der Diesel ist leise, dreht willig hoch, lässt sich untertourig spazierenfahren und ist doch immer zur Stelle, wenn es nötig ist. Die Lenkung ist adrett eingestellt und wird 98 Prozent der Kunden glücklich machen. Das adaptive Fahrwerk (knapp 900 Euro Euro) lässt sich in 15 Stufen justieren – von sehr komfortabel, gerade mit 17-Zoll-Bereifung, bis zu sportlich – besonders mit den 18-Zöllern.
"We Connect Fleet" nennt sich die Lösung für Flottenkunden, die ein digitales Fuhrparkmanagement wollen oder benötigen. Enthalten sind dort das digitale Fahrten- und Tankbuch, die Fahreffizienz lässt sich von der Ferne checken und GPS-Ortung und Routenverlauf vereinfachen die Tourplanung. Zudem sind eine Verbrauchsanalyse möglich und die Werkstattbesuche können koordiniert werden. Mit dem "mobilen Schlüssel" und der "We Connect"-App werden kompatible Smartphones (bislang ausschließlich Samsung) darauf geeicht, Autoschlüssel von Poolfahrzeugen zu imitieren, um von Fuhrparkberechtigten ohne langes Prozedere zum Losfahren genutzt zu werden.
Schöne neue Welt also. Ob es wirklich so schön ist, bleibt fraglich. Viele Funktionen, die der Golf neu "kann", braucht kein Mensch. Weniger Funktionen wären für einige Golf-Interessierte vielleicht die bessere Lösung. Aber der "Fortschritt" lässt sich nicht aufhalten, und das ist ja eigentlich in vielen Bereichen wiederum gut so. Denn wenn’s ums Fahren geht, hat bereits der Siebener-Golf alles richtig gemacht.