Von Michael Specht/sp-x
Bislang steckte unter der Haube des teuersten SUV der Welt, dem Bentley Bentayga, ein fetter Zwölfzylinder. Schließlich galt es, Superlative zu verkünden. Und bei reichen Amerikanern und mit Öl gesegneten Scheichs mochte dies der durchaus passende Antrieb für einen derart mächtigen Luxus-Geländewagen sein. Zudem spült diese Mono-Motorisierung Bares aufs Bentley-Konto. Der W12-Bentayga kostet immerhin 175.210 Euro netto. Und seit dem Debüt 2015 hat Bentley 5.650 Stück von diesem Boliden verkauft. Chapeau!
Doch viele europäische Kunden haben gezögert. Was zu viel ist, ist eben zu viel. Schließlich will man wenigstens einen Hauch grünes Gewissen heucheln und nicht als derjenige dastehen, der Ressourcen mit Gewalt verfeuert. Denn im Alltag kratzt der Bentayga W12 ohne Mühe an der 20-Liter-Marke. Die neue Klientel wollen die Briten nun mit einem deutlich wirtschaftlicheren Dieselmotor ansprechen. Versprochen wird ein Normverbrauch von 7,9 Litern. Nie war ein Bentley sparsamer, selbst wenn es real dann neun bis zehn Liter sein sollten. Dies zeigte zumindest unsere Bordcomputer während der Testfahrt an.
Erstmalig in der Geschichte von Bentley überhaupt gibt es ein Modell mit einem Selbstzünder unterm Blech. Ein Traditionsbruch? "Keineswegs", sagt Bentley-Entwicklungschef Rolf Frech, "nur hat es zuvor kein wirklich passendes Aggregat gegeben, das unsere Anforderungen erfüllte." Jetzt ist es da. Der 435 PS starke V8 stammt aus dem Audi SQ7 und ist aus technischer Sicht ein motorisches Meisterwerk. Die Aufladung des Vierliter-Diesels übernehmen gleich drei Beatmungsgeräte, ein elektrischer Verdichter und zwei Turbolader. Deren Zusammenspiel schickt unglaubliche 900 Newtonmeter Drehmoment schon bei 1.000/min in die 8-Gang-Automatik und weiter zu den vier angetriebenen Rädern, nicht zuletzt, weil der elektrische Verdichter innerhalb einer Viertelsekunde voll da ist und die Brennräume schon unter Druck setzt, bevor die Turbinen zum Leben erwachen. Das oft zitierte typische Turboloch existiert somit nicht.
Auf Porsche-Niveau
Solch eine Power bringt selbst einen Boliden wie den Bentayga mächtig auf Trab. Bentley verspricht 4,8 Sekunden von null auf Tempo 100. Das ist Porsche-Niveau. Die Höchstgeschwindigkeit soll bei 270 km/h liegen und macht den dicken Briten damit zum schnellsten Diesel-SUV der Welt. Das typische Selbstzünder-Geräusch ist natürlich zu vernehmen, wenn auch gedämpft. Bentley hat zudem die Laufkultur weiter gesteigert, und schon nach ein paar Kilometern weichen die harten Töne einem sonoren, ja fast angenehm bulligen Sound. Er passt perfekt zum Bentayga.
Theoretisch ließen sich mit dem 85-Liter-Tank jetzt über 1.000 Kilometer am Stück zurücklegen, und man ist durchaus geneigt, dies auch zu tun. Denn solange der Luxus-Liner genügend Auslauf hat (Parkhäuser und enge Innenstädte sind feindliches Revier), gibt es kaum ein besseres Fahrgefühl. Trotz seiner schieren Größe von über fünf Metern, seiner Höhe von 1,74 Metern und seiner Masse von 2,5 Tonnen lässt sich der Brocken überraschend agil bewegen. Die Wankbewegungen in Kurven gleicht ein Elektromotor aus, das Fahrwerk lässt sich verstellen. Und über Komfort und Innengeräusche braucht man sowieso kein Wort zu verlieren. Hier erfüllt Bentley alle Ansprüche, die man an ein solches SUV nur stellen kann. Gediegener geht es kaum.
Gleiches gilt für die Auswahl der Materialien und deren Verarbeitung. Best of British Luxury. Feinstes Leder, edles Holz und höchste Handwerkskunst. Erstmals setzt Bentley im Bentayga zum Beispiel das Furnier eines amerikanischen Gummibaumes (wächst in den Südstaaten) ein, wegen dessen fließender Maserung und seines warmen, rötlich-braunen Farbtons.
Gut 130 Stunden dauert es, bis ein Bentayga weitgehend in Handarbeit aus der Montagehalle im englischen Crewe rollt. Bentley-Chef Wolfgang Dürheimer ist sich sicher, dass die Dieselversion der Baureihe einen kräftigen Schub verleihen wird und neue Kunden zur Marke lockt. Wobei vielleicht auch der Preis eine Rolle spielen dürfte: 147.340 ohne Mehrwertsteuer.