Viele Jahrzehnte waren das London Taxi und sein Hersteller LTI ein Inselphänomen. Die Nische war zugleich wirtschaftliche Sackgasse, weshalb der Traditionshersteller 2013 in der Pleite endete und anschließend vom expansionshungrigen Geely-Eigner Li Shufu geschluckt wurde. Wie schon zuvor bei Volvo haben die Chinesen auch für LTI eine Zukunfts- und Wachstumsstrategie auferlegt. Die führte zur Umbenennung in LEVC sowie dem Bau einer neuen Fabrik samt Entwicklung einer neuen Elektro-Plattform, die als Basis für mehrere Baureihen und die Eroberung neuer Märkte herhalten soll.
Im Fokus steht vor allem Deutschland, wo das anglo-chinesische Unternehmen eine Zentrale in Frankfurt eingerichtet hat und zudem seit einiger Zeit das Elektro-Taxi TX5 vertreibt. Wesentlich mehr Stückzahlen soll nun der technisch engverwandte Kleintransporter VN5 bringen, der jetzt in Deutschland zu Nettopreisen ab 52.450 Euro bestellbar ist. Der für diese Klasse ungewöhnlich hohe Preis ist einem teuren Antriebskonzept sowie einer Premium-Ausrichtung geschuldet. Der VN5 ist der Volvo unter den Kleintransportern. Und das muss man wörtlich nehmen.
Passgenau und sauber
Wer die früheren London Taxis kennt, wird sich beim Anblick des VN5 wundern, denn von der einst mäßigen Qualität bei Material und Verarbeitung ist hier nichts zu spüren. Alles wirkt passgenau und sauber verarbeitet. Und dann gibt es noch die vielen bekannten Bauteile in der Fahrgastkabine, die zumindest diejenigen wiedererkennen, die schon mal Volvo-Modelle jüngerer Baujahre gefahren sind.
Das digitale Cockpit und der große Touchscreen in der Armaturenbrettmitte, viele Schalter und Hebel sowie die Sitze findet man so auch in einem XC90. Das wirkt einerseits nobel, zugleich allerdings auch etwas kurios im Kontrast zur grauen Hartplastiklandschaft der Fahrerkabine mit ihren robust wirkenden Oberflächen und großzügigen Ablagemöglichkeiten. Großzügig ist auch das Platzangebot auf den gegen Aufpreis angenehmen gepolsterten und gut konturierten zwei Sitzen mit elektrischen Verstellmöglichkeiten.
Apropos Platz: Der 5,23 Lange VN5 bietet davon besonders viel im Heck. Im Innern des hohen Kastenaufbaus ohne Fenster fühlt man sich fast ein wenig verloren. Über 5.500 Liter lassen sich hier in das auch nach oben hin kubische und zudem sauber verkleidete Ladeabteil verstauen. Der Ladeboden kann zwei Europaletten aufnehmen, die sich vom Heck oder von der Seite einladen lassen. Wer neben viel Platz außerdem noch eine ordnende Struktur wünscht, kann etwa vom Innenausbauspezialisten Bott maßgeschneiderte Lösungen bekommen.
Wirklich einzigartig macht den VN5 jedoch sein Antrieb. Neben einem E-Motor für die Hinterachse gibt es im Bug noch einen 1,5-Liter-Dreizylinder von…? Richtig, von Volvo! Nun könnte man den VN5 für einen Plug-in-Hybriden halten, doch anders als bei dieser Gattung üblich hat der Verbrenner in diesem Fall keine mechanische Verbindung zu den Rädern. Seine Aufgabe besteht darin, Strom zu liefern, sollte der in der Traktionsbatterie knapp werden. Die ist mit 31 kWh nicht riesig, doch mit vollem Akku bietet der E-Van einen emissionsfreien Radius von beinahe 100 Kilometer.
Im Stadtverkehr sollen es 122 Kilometer sein. Ein Reichweitenproblem hat der VN5 dennoch nicht, denn mit dem Benzinvorrat kann der Range-Extender-Motor Strom für fast 400 weitere Kilometer bereitstellen. Als offizielle Gesamtreichweite gibt LEVC 489 Kilometer an.
Ein kurzer Dreh am Startknopf versetzt das Auto in Fahrbereitschaft. Wird der Automatikhebel auf D gelegt, stromert der VN5 nahezu lautlos los. Der Fahrer kann dabei zwischen drei Rekuperationsstufen sowie den Fahrmodi Smart, Pure und Safe wählen. Letzterer sorgt zum Beispiel dafür, den Stromvorrat zu bewahren, falls der zum Beispiel für die Fahrt in eine Umweltzone benötigt wird. Sollte es künftig Innenstadtbereiche in deutschen Großstädten geben, in denen nur noch emissionsfreies Fahren erlaubt ist, wäre der E-Van von LEVC dafür bereits gerüstet.
Etwas behäbiger Ampelsprint
Mit dem künftig integrierbaren Geofencing wird bei Einfahrt in die Zone zudem automatisch auf den Fahrmodus Pure gewechselt, bei dem der Verbrenner ausgeschaltet bleibt. Wem in der Stadt der Strom ausgeht kannden VN5 per Schnelllader mit bis zu 50 kW Gleichstrom laden. Bei Wechselstrom sind es ausstattungsabhängig 11 oder 22 kW. Das vollständige Nachladen ist in weniger als 30 Minuten möglich. Bei 7 kW Wechselstrom dauert es weniger als vier Stunden.
Beim Ampelsprint wirkt der bis zu 2,2 Tonnen schwere VN5 trotz seiner 110 kW / 150 PS etwas behäbig, doch hat man Fahrt aufgenommen, sorgen die 250 Newtonmeter Drehmoment für einen durchaus spritzigen Durchzug. In eigentlich allen Verkehrssituationen fühlt man sich ausreichend flott. Laut Tacho werden maximal 135 km/h erreicht, offiziell sind es 128 km/h sowie 13,2 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h. Zum Komfortkonzept des VN5 passt das allgemein niedrige Geräuschniveau.
Als blecherne Klapperkiste erlebt man den Briten keineswegs. Entsprechend fällt das bisweilen hochfrequente Sirren des E-Motors bei Volllast auf, das akustisch an schmerzhafte Momente beim Zahnarzt erinnert. Fährt man im Safe-Modus, klingt zudem immer mal wieder der Dreizylinder in etwas störender Weise durch. In diesem Modus sind wir streckenweise auch auf einer knapp 50 Kilometer langen Testrunde gefahren. Am Ende der Tour waren noch 64 Kilometer elektrische Reichweite übrig. Der Bordcomputer hat zudem einen Durchschnittsverbrauch von 1,6 Litern angezeigt. Damit wurden auf dem Trip circa 0,8 Liter Benzin fürs Nachladen verfeuert.
Kleiner Wendekreis
Eine Besonderheit des VN5 und ein Erbe des legendären London Taxis ist der kleine Wendekreis von knapp zehn Metern. Schlägt man die Lenkung voll ein, möchte man fast meinen, das Fahrzeug könnte sich um die eigene Hochachse drehen. Was hingegen negativ aufgefallen ist: Bei Landstraßentempo wird eine gewisse Unruhe im Lenkrad spürbar, die sich bei zwei Fahrzeugen zeigte und sich wohl deshalb nicht auf eine Unwucht im Reifen zurückführen lässt.
Wie gut das hochpreisige Konzept des VN5 bei deutschen Kleintransporter-Kunden ankommt, muss sich zeigen. Wer sich für die Topausstattung und einige Extras entscheidet, landet bei Brutto über 70.000 Euro. Den hohen Kaufpreis können noch die Innovationsprämie von 5.625 Euro (netto) sowie niedrige Energiekosten relativieren, sofern vorwiegend elektrisch gefahren wird.
Vorteile sind außerdem Wartungsintervalle von 40.000 Kilometer beziehungsweise einem Jahr sowie eine 5-Jahres-Garantie bis 240.000 Kilometer. Die Akkugarantie beträgt acht Jahre.