Von Benjamin Bessinger/SP-X
Amerika und seine Autos! Wenn man anschaut, wo die Amis hingekommen sind, dann kann man den Zorn von US-Präsident Donald Trump über die Verwerfungen in der automobilen Plattentektonik durchaus verstehen. Schließlich ist von Glanz und Gloria der Großen Drei nicht mehr viel übrig. Nur dass sich der böse Blick aus dem Weißen Haus nicht auf Deutschland richten sollte, sondern nach Detroit. Denn dort haben sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten einfach zu viel Masse produziert, als dass dabei noch Klasse hätte herauskommen können. Nirgendwo wird das deutlicher als in der Luxusliga. Während die Amerikaner dort im letzten Jahrhundert mit Marken wie Duesenberg, Cadillac oder Packard noch in der gleichen Liga gespielt haben wie Rolls-Royce oder Maybach, müssen sie sich mittlerweile von Mercedes, BMW und ja, sogar von Audi eine lange Nase drehen lassen.
Cadillac kann man dabei wahrlich keinen Vorwurf machen. Die nobelste aller GM-Töchter kämpft redlich gegen die Übermacht aus dem Ausland, schickt unverdrossen neue Luxuslimousinen ins Rennen gegen S-Klasse, Siebener und A8 und stellt tapfer den Regierungsfuhrpark bis hinauf zur Präsidentlimo "The Beast", deren Neuauflage gerade die letzten Runden auf der Teststrecke dreht. Doch Chrysler hat sich mit dem New Yorker schon seit Jahrzehnten aus dem Oberhaus verabschiedet und der feine Ford-Ableger Lincoln zuletzt auch irgendwie die Richtung verloren. Denn obwohl die früher – nomen es omen - nicht minder präsidiale Marke mit dem Continental und dem von ihm abgeleiteten Town Car über Jahrzehnte zumindest den wichtigen Markt für Chauffeurs- und Limousinendienste dominiert hat, haben die Amis plötzlich nur noch auf protzige SUV und verstörend uncoole Crossover gesetzt.
Doch damit ist es jetzt vorbei. Denn seit ein paar Monaten ist der legendäre Continental zurück und kämpft sich so langsam wieder auf die Bühne des automobilen Oberhauses. Die neue Auflage knüpft nach 15 Jahren Pause zwar an die Tradition der stolzen Stretchlimousinen an, gibt sich aber betont seriös und souverän. Das gilt für ihr Design mit einem neuen Grill, der nicht minder stolz ist als bei einem Maybach oder einem Siebener, einer schnörkellosen Silhouette und einer modernen Grafik für die LED-Leuchten. Und es gilt mehr noch für die Technik unter dem feinen Smoking aus Blech.
Neue Plattform entwickelt
Nicht umsonst hat Lincoln für den Lulatsch von 5,12 Metern eine neue Plattform entwickelt, die modernesten Motoren aus dem Ford-Regal geholt und das Flaggschiff mit aller Finesse ausgestattet, die der Konzernbaukasten so hergibt – ein imposantes Infotainment-Center samt großzügiger Panorama-Kamera, ein adaptives Fahrwerk, das sich 23.000 Mal in der Sekunde neu einstellt, alle gängigen Assistenzsysteme und prozessorgesteuerte Türgriffe inklusive.
Zwar ist der Continental eine der wenigen großen US-Limousinen, in denen man auch als Fahrer zumindest ein bisschen Spaß haben kann. Denn so samten und seidig sich das Auto anfühlt, lullt es einen am Lenkrad nicht vollends ein, sondern weckt mit seinem V6 und dem adaptiven Allradantrieb vielmehr die Lebensgeister. Schließlich schöpft der stärkste Motor aus seinen drei Litern Hubraum dank zweier Turbos solide 400 PS und geht im besten Fall mit beinahe 550 Nm zu Werke, so dass man die 250 km/h der deutschen Konkurrenz gut zu parieren in der Lage wäre, wenn nicht hinter jeder Hecke ein Cop mit seiner Radarpistole lauern könnte. Und zumindest beim gleichmäßigen Verkehrsfluss jenseits des Atlantiks ist auch die vergleichsweise antiquierte Sechsgang-Automatik kein Schaden.
Doch im Grunde ist das alles vergebene Liebesmüh. Denn besser noch als vorne links sitzt man in diesem Auto hinten rechts - selbst wenn die klimatisierten Massagesitze in der ersten Reihe 30fach verstellbar sind, können sie nicht mit den Sesseln im Fond mithalten. In ihnen versinkt man wie in einer ledernen Lounge-Liege und sobald aus den wie in der S-Klasse fein ziselierten Lautsprecherblenden sanfter Country-Rock von den Eagles säuselt, einen das Fahrwerk wie auf Wolken bettet und sich der Motor brav im Hintergrund hält, ist die Welt da draußen plötzlich ganz weit weg. So weit, dass man weder übers Ankommen nachdenken möchte, noch über die Verwerfungen, die das Kräftemessen zwischen Detroit und Deutschland für die transatlantische Plattentektonik bringt.
Flaggschiff für die Ford-Flotte aus Köln?
Natürlich hätte der Lincoln auf dem deutschen Markt ohnehin keine Chance. Selbst dann nicht, wenn das Ford-Flaggschiff wie in Amerika bei umgerechnet etwa 50.000 Euro starten würde und damit selbst voll ausgestattet weniger kostete als eine nackte S-Klasse auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Denn wenn's ums Auto geht, steigt mit unserer Zahlungsbereitschaft auch unser Patriotismus und es führt – davon können Jaguar, Lexus oder Infiniti ihr trauriges Lied singen – an S-Klasse, A8 und 7er kaum ein Weg vorbei. Doch als Flaggschiff für die Ford-Flotte aus Köln wäre der Luxusliner glaubwürdiger als ein mit noch so viel Lack und Leder zum "Vignale" aufgerüschter Mondeo. Und der Mustang hat schließlich bewiesen, dass man es bei uns auch mit einem US-Import schaffen kann.
Das würde wahrscheinlich auch Donald Trump gefallen, der Deutschland und seine Autos ja als "bad, very bad" empfindet. Und selbst wenn Audi, BMW oder Mercedes im schlimmsten Fall ein paar A6-, 5er- oder E-Klasse-Kunden an den Newcomer aus der neuen Welt verlieren würden, müssten sie den Amerikanern dankbar sein. Weil der Continental so seinen Beitrag leisten würde, die Tektonik der automobilen Kontinentalplatte wieder zu beruhigen.