von Mario Hommen
Die Digitalisierung dringt in immer weitere Bereiche unseres Lebens vor und verändert dabei auch unsere Gewohnheiten und Konzepte von Konsum, Nutzung und Besitz. Statt sich einen Film auf einem Datenträger zu kaufen, ist es mittlerweile üblich, ihn in einer Cloud zu parken oder zu streamen. Das physische Eigentum hat in vielen Bereichen an Bedeutung verloren. Das gilt zunehmend auch für die Autowelt. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, auf echte Schalter im Cockpit zu verzichten oder neue Funktionen in Autos mit kostenpflichtigen Downloads freizuschalten. Parallel verliert der Wunsch, ein eigenes Fahrzeug zu besitzen, an Bedeutung. Dem Internet der Dinge und einem dank Mobilfunk allgegenwärtigem Netz sei Dank, werden stattdessen Konzepte einer Shared Economy und Mobilität als Dienstleistung zum großen Zukunftsmarkt. Das hat sich Anfang September auch auf der IAA Mobility gezeigt, die sich nicht mehr als typische Auto- sondern als Mobilitätsmesse präsentierte.
Auf die Mega-Trends hat die Autoindustrie längst reagiert. Neben diversen Start-ups haben viele etablierte Hersteller in den vergangenen gut zehn Jahren verschiedenste Angebote einer Shared Mobility aus der Taufe gehoben. Angesichts der aufkeimenden E-Mobilität, die zudem den sich verschärfenden Anforderungen an eine klima- und ressourcenschonende Kreislaufökonomie Rechnung tragen muss, sind zunehmend ganzheitliche Konzepte und Lösungen gefragt. Derzeit werden hier die Claims abgesteckt und von den großen Autokonzernen erste Pfeiler in den Boden gerammt. Mit seiner neuen Marke Mobilize will der französische Autobauer Renault in weitreichender Weise dieser elektrischen und nachhaltigen Mobilität als Alternative zur klassischen Autonutzung Vorschub leisten
Zum Auftakt Autovermietung und Ladehilfen für E-Auto-Fahrer
Anfang 2021 hat Renault das "Große Abenteuer" gestartet, wie es Mobilize-Chefin Clotilde Delbos in einem Gespräch am Rand der IAA bezeichnete. Die vergangenen Monate hat die aus dem Boden gestampfte Marke dazu genutzt, weitere Säulen eines äußerst heterogenen Geschäftsmodells zu etablieren. Angetreten ist Mobilize zunächst mit dem Automietservice "Share", dem Ladedienst "Charge Pass" sowie mit "Smart Charge", das E-Auto-Nutzer beim intelligenten und preiswerten Laden zuhause unterstützt. Zu den neuen Servicemarken gehören ein Joint Venture mit dem Free-Floating-Carsharing-Anbieter Zitty, die Auto-Abo-Plattform Bipi sowie Power Solutions, Batteriezertifikat und Limo.
Power Solutions ist ein Joint Venture mit GP Joule Connect, um Flottenbetreibern mit Elektroauto-Fuhrpark Lösungen für eine Ladeinfrastruktur anzubieten. Das neue Batteriezertifikat können Besitzer von E-Autos der Marken Renault und Dacia nutzen, ohne größeren Aufwand Zustandsanalysen der Traktionsbatterie zu erstellen, die bei der Wertfindung im Fall eines Verkaufs hilfreich sind. Limo hingegen soll ein Mietangebot von E-Fahrzeugen sein, dass sich speziell an Ride-Hailing-Anbieter wie Uber-Fahrer richtet, die auf ein emissionsfreies Auto umsatteln wollen.
Renault Mobilize auf der IAA 2021
BildergalerieIntelligent investieren
Mobilize setzt sich aus bereits vielen recht unterschiedlichen Bausteinen zusammen. Weitere sollen hinzukommen. Nicht alle waren von Anfang an geplant, wie Delbos einräumte. Es gibt zudem keinen festgelegten finanziellen Rahmen für Investitionen in die vielen Säulen des Unternehmens. Man will intelligent aber nicht zu viel investieren. Dabei müssen die Investments nicht immer gleich in die Gewinnzone führen. Neuen Geschäftsfeldern will man einige Jahre Zeit geben, sich zu entwickeln. "Unsere Aufgabe ist es, die Zukunft zu bauen. Und wer die Zukunft bauen will, muss investieren", so Delbos. Sollte sich abzeichnen, dass einzelne Bausteine im großen Puzzle nicht profitabel werden, wird man diese nötigenfalls auch wieder abstoßen. Mobilize wird damit auch ein Labor sein, dass zeigt, welche Dienstleistungen in einer Shared Mobility beim Kunden ankommen.
Die meisten Angebote von Mobilize sind keineswegs einzigartig. Auch Mercedes oder VW haben eine Reihe von Dienstleistungs-Start-ups gegründet, die jedoch recht lose nebeneinander existieren. Was das Renault-Projekt besonders macht, ist die Bündelung vieler zum Teil sehr unterschiedlicher Angebote und Dienstleistungen unter dem Dach einer einzigen Marke, die zudem ihren Fokus klar auf rein elektrische Mobilität sowie auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft setzt. Damit soll Mobilize auch für klassische Autofahrer als nachhaltige Marke wahrnehmbar werden. Es gibt sogar ein Logo mit hohem Wiedererkennungswert, das künftig die Front von echten Autos schmücken wird. Auf der IAA Mobility wurden auf dem Renault-Stand vier neue E-Fahrzeuge vorgestellt, die statt Renault-Raute den Mobilize-Kreis mit rötlich-orangem Querstreifen trugen. Neben elektrischen Mikrofahrzeugen wie Duo und Bento, die von Carsharing- und Autovermietern eingesetzt werden sollen, gehört dazu auch die Elektro-Limousine Limo, die sich speziell an Taxi-Fahrer richtet. Bereits 2022 sollen erste Limo-Taxis auch in Deutschland mit dem speziellen Branding unterwegs sein.
Schwerpunkt Europa
Mobilize will seine Aktivitäten in viele Länder weltweit ausdehnen. Aktuell ist man mit verschiedenen Submarken in insgesamt zwölf Ländern vernehmlich in Europa sowie in Brasilien aktiv. Zu den in Deutschland aktuell oder zeitnah verfügbaren Diensten gehören der Ladesäulen-Betreiber Power Solution, der Autovermietung Share und das "Advanced Battery Storage"-Programm, das ausgediente Zoe-Batterien zu großen Stromspeichern bündelt, mit denen Renault die Energiewende vorantreiben und zudem eine Zweitverwertung von Akkus ermöglichen will. Außerdem will man kommendes Jahr in Deutschland mit Limo und in mindestens einer Großstadt mit Zitty antreten.
Vorerst werden die vielen Mobilize-Marken parallel nebeneinander agieren und es entsprechend für jeden Dienst eine eigene App geben. Die IT-Spezialisten arbeiten bereits daran, dass sich Nutzern mit einer individuellen ID bei den verschiedenen Diensten anmelden zu können. Vor allem die Bündelung von Kundendaten wird für das Geschäftsmodell von Mobilize große Bedeutung bekommen. Die Digitalisierung der Kunden wird auch hier ein Schlüssel zur Mobilität der Zukunft.