Von Holger Holzer/SP-X
Begonnen hat sie als simple Rangierhilfe beim Rückwärtsfahren. Längst aber hat sich die Kamera im Auto zum Multifunktions-Assistenten aufgeschwungen. Vor allem in den kleinen Klassen übernehmen die kostengünstigen elektronischen Augen zunehmend Aufgaben, die bislang Radar und Co. vorbehalten waren.
Königsdisziplin des Radars war lange Zeit die Abstandsmessung zu Hindernissen. Assistenzsysteme, die bei einem drohenden Unfall selbstständig eine Vollbremsung einleiten beispielsweise gibt es schon seit rund einem Jahrzehnt. Lange waren sie allerdings der Luxusklasse vorbehalten. Kamerabasierte Technik macht die Notbremsassistenten mittlerweile auch in den kleinen Klassen verfügbar.
Besonders genau bei der Abstandsmessung sind Stereokameras, wie sie etwas Subaru unter dem Namen „Eye Sight“ im Offroad-Kombi Outback anbietet. Nach dem Vorbild des menschlichen Auges beobachten zwei Kameras in leicht unterschiedlichen Winkeln die Straße und errechnen aus den kleinen Unterschieden im Bild die Entfernung von Objekten. Nähert sich das eigene Auto etwa einem festen Hindernis, steigt der Notbremsassistent bei einer drohenden Kollision voll in die Eisen. Auch Zulieferer Bosch bietet mittlerweile ein ähnliches System an, das seit kurzem etwa beim SUV-Hersteller Land Rover zum Einsatz kommt. Die Stuttgarter rühmen sich dabei, besonders wenig Platz zu benötigen. Denn der große Raumbedarf spricht neben den relativ hohen Kosten gegen Stereokameras.
Alternative Mono-Kameras
Die günstigere und platzsparende Alternative sind Mono-Kameras. Auch diese sind in der Lage, Abstände zu Hindernissen zu ermitteln. Sie können sie allerdings nicht wirklich messen, aber mit Hilfe von Bilderkennungsprogrammen und Bewegungsmustern zumindest relativ genau schätzen. Das braucht Zeit und ist nicht immer ganz genau - zumindest für City-Notbremssysteme und geringe Geschwindigkeiten reicht das aber.
Und genau das verhilft der Kamera wohl zum Siegeszug. Denn beim EuroNCAP-Crashtest ist die volle Sternewertung ohne zumindest optional erhältliche Notbremsassistenten mittlerweile nicht mehr zu bekommen. Und die Kriterien werden weiter verschärft, so dass auch Kleinwagen künftig ein ganzes Arsenal an Helfern haben müssen, um den imageträchtigen Segen der Tester zu erhalten.
Die Kamera kann liefern: Von ihrem Platz hinter der Windschutzscheibe aus kann sie auf das Halten der Fahrspurt achten, Verkehrszeichen erkennen und eben Auffahrunfälle verhindern. Im Heck oder in den Spiegeln fungiert sie zudem als Totwinkelwarner oder Rückfahrhelfer. In den USA wird sie in dieser Funktion ab 2018 sogar obligatorisch; der Gesetzgeber will damit die hohe Zahl tödlicher Rangierunfälle senken. Und wenn die Kamera eh schon an Bord ist, kann man sie auch gleich intelligent machen und mit den anderen Videoaugen vernetzen.
Virtuelle Draufsicht
Die simple Ausbaustufe der Umfeldbeobachtung beherrscht die Kamera schon geraume Zeit. Nissan etwa lässt bei seinem "Around View" genannten System einen Computer aus vier Kameras eine virtuelle Draufsicht berechnen, die dem Autofahrer seinen Wagen im Borddisplay aus einer Vogelperspektive zeigt. Parkrempler sind so fast ausgeschlossen. Besonders, wenn das Auto mit Hilfe der Kamerabilder selbstständig ohne menschlichen Eingriff rangiert. Mittlerweile beherrschen die Kameras aber noch mehr Funktionen, etwa die Warnung vor Querverkehr beim Rückwärtsausparken oder das Um-die-Ecke-Spähen beim Fahren durch enge Torausfahrten.
Komplett ersetzen lässt sich der Radar durch die Kamera aber auf absehbare Zeit wohl nicht. Allein, weil das Videoauge durch Starkregen, tief stehende Sonne oder Dunkelheit schnell irritiert ist. Vor allem in höherwertigen Fahrzeugen sorgt daher häufig ein Radarsystem für Redundanz bei der Umfeldbeobachtung. Zudem ist der Radar bei höherer Reichweite schneller und genauer als Kamerasysteme, vor allem auf Autobahnen und Schnellstraßen ist das wichtig. Und auch die autonomen Autos der mittleren Zukunft werden auf den Radar und weitere Sensorsysteme wie Lidar und GPS wohl kaum verzichten können.