Für Shinichi Kiga geht nach 20 Jahren ein Traum in Erfüllung. In Kürze bringt Infinti im neuen Geländewagen QX50 endlich den ersten Motor mit variabler Verdichtung, an dem der japanische Ingenieur schon so lange forscht. "Das bringt den Benziner noch einmal ein gutes Stück voran, macht uns unabhängiger vom Diesel und verschafft uns etwas Zeit bei der Elektrifizierung," sagt der Ingenieur.
Dass bei konventionellen Motoren die Verdichtung – also der Druck im Zylinder, unter dem das Treibstoff-Luft-Gemisch gezündet wird – immer nur ein fauler Kompromiss zwischen Leistungsausbeute und Effizienz ist, das hat Kiga schon vor Urzeiten erkannt. Nicht umsonst wird an dem Thema von allen möglichen Herstellern bereits seit mehr als 50 Jahren geforscht. Doch dass der neue Infiniti-Motor, der natürlich bald auch bei Nissan und Renault an den Start geht, tatsächlich stufenlos zwischen sportlichen 8:1 und sparsamen 14:1 wechseln kann, das hätte er selbst lange nicht für möglich gehalten. Erst als die Rechner genügend Leistung für aufwändige Simulationen hatten und als die Produktionsmaschinen präzise genug waren für mikrometer-feine Umlenk-Rollen und Gelenke, wollte er an den Durchbruch glauben.
Das ist jetzt bald sieben Jahre her und fühlt sich für Kiga noch immer ziemlich unwirklich an. Doch auch wenn draußen die Luft flimmert und es schon morgens so heiß ist, dass man seine Frühstückseier auf dem Asphalt braten kann, ist das, was da über das Nissan-Prüfgelände rollt, keine Fata Morgana. Sondern es ist tatsächlich der neue QX50, der zwei Wochen vor der Weltpremiere auf der Motorshow in Los Angeles, vier Monate vor der Markteinführung in den USA und ein Jahr vor dem Start in Europa gerade seinen letzten Schliff bekommt.
"Kigas Wundermotor"
Unter der Haube steckt Kigas Wundermotor, den sie im Marketing zum VC-Turbo gemacht haben. Statt bislang sechs Zylinder und 3,5 Liter hat er nur noch vier Zylinder und zwei Liter Hubraum, kommt aber wie bisher auf 200 kW / 272 PS und legt beim Drehmoment sogar noch einmal 50 Newtonmeter drauf. Mit jetzt 390 Newtonmetern ist er deshalb nicht nur schneller auf 100 als der Vorgänger, sondern nimmt auch Konkurrenten wie dem Audi Q5, dem BMW X3 und dem Mercedes GLC bis zu eine Sekunde ab, sagt Kiga stolz. "Vor allem aber sind wir bis zu 25 Prozent sparsamer", freut sich der Ingenieur und nimmt dafür sogar ein leidiges CVT-Getriebe in Kauf.
Aber erstens gehört das zu den besseren seiner Art, schneidet das übliche Gummiband kurz ab und überzeugt mit acht ziemlich gut programmierten virtuellen Schaltstufen. Und zweitens kann einem selbst das den Spaß am neuen Motor nicht verderben. Zu gut hängt das Triebwerk am Gas und zu leicht gehen dem bald fünf Meter großen SUV die Zwischenspurts von der Hand, als dass man einen V6-Motor wirklich vermissen würde. Dass der QX50 knapp an der 250er-Marke scheitern wird, dürfte wieder nur uns Deutsche stören. Und am etwas asthmatischen Klang können sie ja bis zur Markteinführung noch ein bisschen feilen.
Guter erster Eindruck
Der Motor macht zwar einen guten Eindruck, ist spontan und spurtstark und von dem mit einer aufwändigen Mechanik um sechs Millimeter variierenden Kolbenhub für die unterschiedliche Verdichtung bekommt der Fahrer nur dann etwas mit, wenn er auf das Display im Kombinstrument starrt. Doch auch wenn man Kigas Begeisterung verstehen kann, wirft die Infiniti-Politik ein paar Fragen auf. Denn der 2,0-Liter-Benziner ist erst einmal das einzige Triebwerk, das die Japaner für den neuen QX50 in petto haben. Das ist sinnvoll, wenn man die neue Technik schnell und breit ausrollen will. Aber das ist schwierig, wenn die Konkurrenz ein halbes Dutzend und mehr Motorvarianten anbietet. Diesel? Plug-in-Hybrid? Performance-Modell? Ganz so viele Anforderungen kann Kigas Motor von Morgen dann vielleicht doch nicht abdecken. Außerdem braucht es im Ringen mit den vielleicht besten SUV der Welt ein bisschen mehr als nur einen neuen Motor. So revolutionär der auch sein möchte. Und zumindest bei dem noch stark getarnten Prototypen lässt sich nicht entdecken, was das sein könnte. Denn weder das Design, das sich unter der Tarnfolie bereits abzeichnet, noch das Ambiente in der Kabine wirken so besonders, dass die Japaner die Teutonen ausstechen könnten. Und bei der Ausstattung dürfte das wahrscheinlich auch schwer fallen. Aber wer weiß, vielleicht zaubern sie ja bis Los Angeles noch was aus dem Hut.
Shinichi Kiga jedenfalls muss sich darüber keine Gedanken machen. Sein Motor läuft und je länger der getarnte Riese seine Runden dreht, desto zufriedenerer ist der Chefingenieur aus Japan. Nicht umsonst glaubt er fest daran, dass die variable Verdichtung ein Durchbruch ist und sich die Technik bald so standardmäßig etablieren wird wie heute die Benzindirekteinspritzung oder der Turbo beim Diesel.
Doch nach 20 Jahren könnte er mal langsam etwas Urlaub brauchen von der Arbeit auf Testgeländen wie dem hier in Arizona und daheim am Simulationscomputer. Aber daran ist nicht zu denken, sagt Kiga und erzählt schon von den nächsten Motoren mit weniger Hubraum, die er für Nissan gerade auf die VC-Turbo-Technik umstellt. Und wenn dazwischen ein bisschen Zeit bleibt, hat er noch ein anderes Projekt: Zusammen mit ein paar Kollegen aus der Entwicklung restauriert er jedes Jahr ein historisches Auto aus der Nissan-Sammlung. In diesem Jahr war das ein Skyline-GTR, und zwar ein europäischer Rallyewagen aus den Neunzigern. "Natürlich ist der hoffnungslos veraltet und sein Motor hätte heute keine Chance mehr", räumt Shinichi Kiga ein. "Doch der Sound, die Lader und die Leistung – dafür würde ich jeden VC-T-Motor sofort eintauschen".