Von Hanne Schweitzer/SP-X
Viele Autofahrer nehmen Lkw lediglich als Störenfriede auf der Autobahn wahr – doch ohne die Brummis blieben Supermarktregale leer und Pakete kämen nicht bei ihren Empfängern an. Etwa drei Viertel des Gütertransports findet in Deutschland über die Straße statt. Derzeit steht die Branche vor einem radikalen Wandel. Denn die Lkw überholen die Pkw in Sachen Innovationen auf der rechten Spur, das lässt zumindest die IAA Nutzfahrzeuge (22.-29. September) in Hannover annehmen.
"Wir werden in den nächsten zehn Jahren mehr Veränderungen erleben, als wir in den vergangenen 50 Jahren erlebt haben", der Meinung ist auch Daimler-Nutzfahrzeuge-Vorstand Wolfgang Bernhard. Der Stuttgarter Marktführer bringt vom elektrischen Lkw über neue Assistenzsysteme bis zu Internet-Dienstleistungen die volle Bandbreite an Innovationen nach Hannover mit.
Der Lkw der nahen Zukunft ist mit seiner Umgebung vernetzt, das hat handfeste Vorteile. Rund ein Drittel aller Lkw-Fahrten sind Leerfahrten, zudem lassen Warterei an der Be- und Entladestation oder im Stau derzeit noch Raum für effizientere Logistikabläufe. Während viele Speditionen heute auf papierlastige, analoge Abläufe setzen und das Telefon als hauptsächliches Kommunikationsmittel dient, sind sich die Experten einig: In Zukunft sind Speditionen vernetzt, Auftraggeber können Lücken auf der Ladefläche in der jeweiligen Route in Echtzeit erkennen und buchen undFrachtbörsen sorgen für eine effiziente Verteilung.
Weil der Lkw immer online ist, gibt es einen ständigen Informationsabgleich: Sowohl Spedition als auch Versender und Empfänger der Fracht sind über den Status des Auftrags minutengenau informiert. Das System teilt eventuelle Routenänderungen oder Verspätungen in Echtzeit mit, so dass die Betroffenen reagieren können – bei Lieferverzögerungen, aber auch bei der Entlade-Planung. Auch die Lebensdaten des Lkw werden ständig überwacht, wie es der ab der IAA erhältliche Dienst Mercedes „Uptime“ heute schon anbietet.
Fahrzeug-Lieferant und Mobilitätsdienstleister
Verschiedene Hersteller und Zulieferer arbeiten an derartigen Telematik-Systemen. Sie wollen alles aus einer Hand bieten und werden für ihre Kunden künftig neben dem Fahrzeug-Lieferanten auch zum Mobilitätsdienstleister. "Dienstleistungen um den Lkw herum werden notwendig sein, um den Lkw weiterhin verkaufen zu können", meint zum Beispiel Daimler-Vorstand Bernhard. Beim Zulieferer Bosch erwartet man, dass sich Themen wie Konnektivität und autonomes Fahren im Gütertransport dynamischer entwickeln als bei den Pkw. "Wir erwarten eine große Entwicklung im Nutzfahrzeug-Bereich, einfach weil es sich rechnet", so Bosch-Geschäftsführer Markus Heyn.
Auf dem Weg zum autonomen Fahren gelten schwere Nutzfahrzeuge ohnehin als Wegbereiter. Zum einen, weil der kostensensible Branche Komfort- und Sicherheitsgewinne – Argumente die bei Pkw-Anwendungen zählen - nicht ausreichen, sondern sie auf betriebswirtschaftliche Vorteile der Technik angewiesen ist. Zum anderen aufgrund ihres vorhersehbareren Einsatzgebietes: Viel spielt sich entweder auf innerbetrieblichem Gebiet außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums ab oder auf kreuzungsfreien Strecken wie Autobahnen. Ein weiterer Vorteil ist die gleichmäßige und nach oben begrenzte Geschwindigkeit.
Tests laufen bereits: Bei einem Feldversuch waren im April bereits teilautonome Lkw-Verbünde von Volvo, Scania, MAN, Daimler, DAF und Iveco quer durch Europa im so genannten Platoon unterwegs: Dabei fahren zwei oder mehrere Lkw-Trailer-Kombinationen mit Hilfe aktueller Fahrassistenzsysteme und Vehicle-to-Vehicle-Kommunikation (V2V-Kommunikation) in geringem Abstand – etwa 10 bis 15 Meter - hintereinander. Weil die Technik viel schneller reagiert als der Mensch, können die Trucks dicht beisammen und so im Windschatten fahren, was bis zu zehn Prozent Kraftstoff sparen soll.
Lkw-Güterverkehr nimmt zu
Daneben werden die Straßen besser ausgelastet. Schließlich steigt der Lkw-Güterverkehr nach Prognosen des Verkehrsministeriums bis 2030 um knapp 40 Prozent. Dann wird auch die bessere Abstimmung des Verkehrs nötig, ebenfalls realisierbar durch Vernetzung: Denn künftig sind Lkw nicht nur Daten-Sammler, sondern auch -Verteiler: In der Kommunikation mit der Infrastruktur (Vehicle-to-Infrastruktur, V2I) leiten sie beispielsweise aktuelle Verkehrs- und Wetterdaten weiter. Andere vernetzte Verkehrsteilnehmer – Lkw wie Autos – erhalten so wiederum Informationen über Staus und Verkehrsdichte bis hin zum Straßenzustand, den die Sensoren über die Traktion ermitteln. Unvorhergesehene Ereignisse, wie ein überraschender Stau hinter einer Kurve oder eine plötzliche Blitzeis-Strecke gehören dann der Vergangenheit an.
Mit den technischen Neuerungen ändert sich in Zukunft auch das Berufsbild des Berufskraftfahrers, er wird mehr und mehr zum Logistiker. Ist der Lkw ohne sein Zutun im Verbund oder autonom unterwegs, kann er im Cockpit Büroarbeiten erledigen – zum Beispiel Ladungen bestätigen, um die Auslastung weiter zu erhöhen.