_ So viele Transporterneuheiten wie in den vergangenen Monaten gab es innerhalb nur eines einzigen Jahres höchst selten. In der "kleinen" Dreitonnen-Klasse kamen die wichtigsten Neuerscheinungen von Renault und Mercedes-Benz, die ihre stark überarbeiteten Modelle Trafic und Vito an den Start brachten.
Und vor allem in Stuttgart formuliert man unmissverständlich, was man vom Neuen erwartet: Die Marktführerschaft, in dieser Klasse seit Urzeiten fest in VW-Hand, muss her. Und Mercedes-Benz und Renault (der hier auch seinen baugleichen Bruder Opel Vivaro vertritt) könnten ihren Angriff zur rechten Zeit starten. Rollt der T5 in seiner aktuellen Form doch bereits seit mehr als fünf Jahren aus dem VW-Werk im polnischen Posen. Doch wer genauer hinsieht, erkennt schnell: So neu, wie das Renault- und Daimler-Marketing glauben machen wollen, sind Trafic und Vito gar nicht.
Die Basis bleibt
Unter dem neu gestalteten Blech steckt in beiden Fällen der Rohbau des Vorgängers. Verändert haben beide Hersteller die bestehende Basis aber in unterschiedlicher Weise. Während beim Vito das Frachtabteil unverändert blieb und die 14 Zentimeter Längenzuwachs allein den strengeren Anforderungen des Fußgängerschutzes gewidmet sind, vergrößerte der Importeur Renault zusätzlich das Frachtabteil um elf Zentimeter. Womit nun auch in den Trafic drei Europaletten passen. Die Größe der beiden deutschen Konkurrenten erreicht der Franzose aber weiter nicht. Mit 5,2 Kubikmeter Ladevolumen und 2.537 Millimeter Ladelänge bietet der Trafic den kleinsten Frachtraum des Test-Trios.
Unentschieden
Mit Vorsicht genießen sollte man die 6,3 Kubik des Vito. Hier rechnet Mercedes die "Verlängerung" unterhalb der Trennwand mit. Im Arbeitsalltag lässt sich das 17,5 Zentimeter flache Fach aber kaum nutzen. Dieses abgezogen bleiben beim Vito 5,7 Kubikmeter übrig. Womit der Stuttgarter auf Augenhöhe mit dem niedersächsischen Platzhirsch liegt, der seine 5,8 Kubikmeter Stauraum allerdings auf knapp 25 Zentimetern geringerer Außenlänge darstellt - der Grund hierfür ist simpel, denn der "alte" Volkswagen muss die strengeren Fußgängerschutz-Anforderungen neuer Modelle eben (noch) nicht umsetzen.
Anders fallen die Platzverhältnisse vor der Trennwand aus, für die übrigens nur noch VW einen Aufpreis verlangt (275 Euro). Hier kommt dem Renault sein kleinerer Frachtraum zugute.
Sitzriesen-Stellung
Nur im Trafic lässt sich der Fahrersitz so weit nach hinten schieben, dass selbst "Riesen" kommod sitzen. Zudem schaffen sein Plus an Breite von mindestens 2,8 Zentimetern sowie die fast senkrecht nach oben ragenden A-Säulen Raumgefühl. Da geht es vor allem im Vito deutlich enger zu, dafür kann der Süddeutsche mit dem niedrigsten Einstieg und fast Pkw-artiger Sitzposition punkten. Wie es in Sachen Verarbeitung gemacht wird, zeigen Mercedes-Benz und VW gleichermaßen. Nichts klapperte oder knisterte an den in Spanien (Vito) respektive in Polen (T5) gefertigten Testwagen.
Der Renault-Transporter erscheint deutlich lässiger zusammengefügt. Aus Richtung der Trennwand kamen Knarzgeräusche und beim Einlegen des Rückwärtsgangs löste sich schon mal die Schalthebel-Manschette aus ihrer Verankerung. Zudem wirkt das Ambiente im Trafic weniger wohnlich, obwohl auch die beiden deutschen Hersteller nur billiges Hartplastik verarbeiten. Bei Übersichtlichkeit und Ergonomie setzt weiter der VW den Maßstab. Wobei sich die richtige Bedienung in den beiden Testboliden von Daimler und Renault ebenfalls schnell erschließt.
Fahrwerks-Qualitäten
Gewöhnen muss man sich im Vito allerdings an den überfrachteten linken Lenkstockhebel oder die per Fußpedal zu betätigende Feststellbremse. Im Renault ist es der fummelige Drehschalter fürs Licht, den Neulinge erst nach einigem Suchen finden. Die digitale Geschwindigkeitsanzeige ist dagegen eher Geschmackssache.
Weniger eine Frage des Geschmacks ist die Qualität des Fahrwerks. Hier setzt der Vito klar den neuen Maßstab. Der Mercedes schluckt Fahrbahnunebenheiten souverän und absolviert selbst scharf gefahrene Lastwechsel unbeeindruckt.
Tänzelnder Trafic
Da kann das auf schlechten Straßen hoppeligere T5-Fahrwerk nicht mithalten und der weich abgestimmte Trafic bestraft spontane Lenkmanöver mit heftigem Schwanzwedeln. Enger zusammen liegt das Feld beim Leergewicht. Gerade einmal 15 Kilogramm liegen zwischen dem Renault und dem Daimler, der damit einen vernachlässigbaren Tribut für seinen in dieser Klasse eher ungewöhnlichen Heckantrieb zahlt.
Noch Luft für mehr Stauraum
Dass der Renault Trafic und der VW T5 trotzdem mehr Nutzlast bieten, liegt daran, dass Mercedes-Benz einen auf 2,8 Tonnen Gesamtgewicht begrenzten Testwagen schickte. Hier ließe sich mittels Auflastung auf drei Tonnen (Aufpreis: 830 Euro) aber abhelfen.
Konsequente Ablastung, oder neudeutsch ausgedrückt Downsizing, betrieb dagegen Renault beim Antrieb. Unter der Trafic-Haube werkelt seit dem Facelift ausschließlich ein 1,6 Liter kleiner Vierzylinder-Diesel. Und um es gleich vorwegzunehmen: Den "fehlenden" Hubraum vermisst man, zumindest in der zum Test angetretenen 140-PS-Topeinstellung, in keinster Weise.
Französischer Biturbo
Im Gegenteil: Dank Biturbo-Aufladung erweist sich der französische Common-Railer überraschend elastisch, hängt spontaner am Gas als die beiden Konkurrenten und meistert selbst den Drehzahlkeller von 1.000/min noch leise und ohne Vibrationen - ein Bereich, bei dem man im Vito und im T5 längst zum Schalthebel gegriffen hat.
Apropos Kraftübertragung: Der Schalthebel im VW flutscht leichtgängig durch die Gassen. Im Mercedes-Benz dagegen benötigt dieser eine etwas energischere Führung durch den Fahrer. Der 2,1-Liter-CDI-Motor des Stuttgarters, aber viel mehr noch das um 0,1 Liter kleinere TDI-Aggregat des Volkswagen quittieren die niedrigen Drehzahlen deutlich brummiger. Wobei es im T5 vor allem die lauten Dröhngeräusche und die starken Vibrationen sind, welche die meisten Fahrer den Drehzahlbereich zwischen 1.100 bis 1.400 /min instinktiv meiden lassen.
Wer leidensfähig ist, belohnt sich dafür mit einem niedrigen Verbrauch: Inklusive des 700 Kilogramm schweren Testballasts reichten dem Volkswagen 7,5 l/100 km auf der Testrunde. Allerdings trat er auch in Form des jüngst für die 140-PS-Version nachgereichten Sprintspar-Sondermodells Bluemotion an, das beim eh schon teuersten Transporter des Vergleichs mit weiteren 1.000 Euro zu Buche schlägt.
Verbrauchswerte
Nur einen ganz kleinen Schluck (0,1 Liter Diesel auf 100 Kilometer) mehr aus seinem kleinen 57-Liter-Kraftstofftank gönnte sich der Mercedes-Benz. Am wenigsten lagen überraschenderweise dem Renault die November-typischen Wetterbedingungen am Testtag: Das Ergebnis: 8,0 l/100 km. Vor allem auf der Autobahn verliert der Franzose wertvolle Zehntelliter zu den Konkurrenten.
Vielleicht liegt es am etwas höheren Drehzahlniveau: Bei 120 km/h arbeitet der Trafic-Antrieb bei 2.250/min, während bei den Konkurrenten nur knapp über 2.000 Touren anliegen. Auch hier trennen die deutschen Modelle, wie bei eigentlich allen Wertungspunkten, nur Nuancen.
Zwischen-Fazit
Weshalb der persönliche Geschmack oder das Angebot des jeweiligen Händlers entscheiden dürfte. Für den Renault spricht vor allem sein kultivierter Antrieb, ansonsten benötigt der Franzose aber noch etwas Feinschliff. Mitte 2015 werden die Karten allerdings neu gemischt. Dann bringt VW den T6 an den Start - der übrigens ebenfalls auf dem aktuellen Modell aufbauen wird.
VW Transporter 2,0-Liter-TDI 140 Bluemotion ab 28.925 Euro
2,0-Liter-Vierzylinder, 140 PS bei 3.500/min., 340 Nm, Sechsgang-Handschalter, Frontantrieb, Service: 40.000 km Die Basis des T5 wird VW auch beim Nachfolger weiter nutzen. Der Neue bringt dann hoffentlich eine bessere Lärmdämmung des Innenraums sowie eine umfangreiche Serienausstattung mit. Und auch in Sachen Assistenzsysteme hat Volkswagen im Vergleich zu Mercedes-Benz großen Nachholbedarf.+ niedriger Verbrauch, gute Verarbeitung, brauchbare Nutzlast, exakte Schaltung- hoher Listenpreis, karge Serienausstattung, dröhnender TDI-Motor bei niedrigen Drehzahlen
Mercedes-Benz Vito 114 CDI (L1H1) ab 27.700 Euro
2,1-Liter-Vierzylinder, 136 PS bei 3.800/min., 330 Nm, Sechsgang-Handschalter, Heckantrieb, Service: 60.000 km Serienmäßig spendiert Mercedes-Benz die Seitenwind- und Aufmerksamkeitsassistenten sowie die Reifendruckwächter. Optional gibt es weitere Sicherheitssysteme. Da können Trafic und T5 nicht mithalten. Im Testwagen benötigte die Bremse aber hohen Pedaldruck und die Lenkung arbeitet bei niedrigem Tempo gefühllos.+ top Fahrwerk, viele Assistenzsysteme, niedriger Verbrauch, langes Serviceintervall- gefühllose Lenkung, hakelige Schaltung, hoher Anschaffungspreis, Bremse
- Ausgabe 02/2015 Seite 32 (711.1 KB, PDF)