_ Wenn der grüne Landesvater Winfried Kretschmann aus seiner Heimwerkstatt tritt, muss er nur zwei Schritte überwinden und steht vor der S-Klasse - natürlich einem Hybriden. Luxuriös, innovativ, aber auch bodenständig gibt sich der erste Ministerpräsident mit grünem Parteibuch im Wahlspot und erntet damit so viel Zuspruch, dass er wohl weitere fünf Jahre mit dem Stern auf Tour gehen darf. Künftig könnte der 68-jährige Landesfürst auch eine Nummer kleiner unterwegs sein und würde kaum an Luxus einbüßen - der neuen E-Klasse sei Dank.
Neuer Diesel
Die schwäbische obere Mittelklasse gibt es zunächst zwar nur mit einem Benziner und einem Diesel, aber ein Plug-in-Hybrid soll bald folgen. Mit 286 PS Systemleistung toppt das Doppelherz sogar den Sechszylinder-Diesel (258 PS), der aber das stärkere Drehmoment auf seiner Seite weiß (620 gegenüber 550 Newtonmeter). Dem Ruf, recht genügsame Aggregate zu bauen, bleibt Daimler treu. Der Topdiesel (350d ab Sommer erhältlich) soll knapp über fünf Liter (5,1 l/100 km, 133 g CO2/km), der 220d knapp unter vier Liter (3,9 l/100 km, 102 g CO2/km) laut Normtabelle verfahren.
Für die Testrunde genehmigte sich der 220er gut 6,2 Liter, gegenüber dem Vorgänger soll der Vierzylinder gut zehn Prozent sparsamer sein. Ab September kommt noch ein 150-PS-Diesel hinzu - der zumindest in der Limousine reichen könnte. Wobei der 194-PS-Selbstzünder schon gut beide Elemente vereint - Ökonomie und Fahrspaß. Sollten in den kommenden zwei, drei Jahren die ersten deutschen Städte wahlweise Fahrverbote für den Innenstadtbereich aussprechen, könnte die Stunde des Plug-ins schlagen. Im Test meldete der Bordcomputer nach einer 48-Kilometer-Strecke exakt 5,0 Liter. Entscheidend werden dabei die realistischen 20 bis 25 Kilometer emissionsfreies, elektrisch angetriebenes Gleiten sein.
Mehr Platz, weniger Raum
Das Doppelherz ist ab September verfügbar. Dann streckt sich der Schwabe auch auf Kombimaße und fährt als T-Modell vor. Die jetzt erhältliche Limousine ist übersichtlich gewachsen, plus 43 Millimeter Länge auf 4,92 Meter. Der Abstand zwischen Vorder- und Hinterachse vergrößert sich zwar um beachtliche 65 mm, aber die resultierenden sechs Millimeter mehr Kniefreiheit sind wenig spürbar. Und der Kofferraum verliert sogar gegenüber dem Vorgängermodell zehn Liter auf 530 Liter. Wer das Allradgefühl braucht, muss zum 333 PS starken Sechszylinder-Benziner greifen, der wie die gesamte Motorenpalette Start-Stopp als Serie hat. Das neue Basis-Aggregat ist aber der Vierzylinder-Diesel mit hohem Aluminiumanteil und ausgesprochener Laufruhe. Kombiniert wird jeder Motor mit der 9G-Tronic-Automatik. Ab Werk sorgt die Stahlfederung für den Komfort im Arbeitsalltag. Um den Typ des Gleiters kümmert sich dabei das Komfortfahrwerk, um den Sportler ein 15 Millimeter tiefergelegtes Avantgarde-Fahrwerk. Als Ultima Ratio lockt allerdings die Luftfederung, deren drei Kammern jede Unebenheit rausfeuern, egal wie beladen das Auto ist oder wie uneben sich der Fahruntergrund zeigt.
Apropos bequem. Geöffnet wird der Schwabe wahlweise nicht mit dem Schlüssel in Reichweite, sondern per Smartphone. Das funktioniert mit Near-Field-Communication (NFC), wie sie auch schon einige Tankstellen für das kontaktlose Bezahlen anbieten. Der entsprechende digitale Schlüssel kann einfach aufs Smartphone geschickt werden. Dieses wird einfach etwa zwei Zentimeter vor dem Türgriff gehalten, schon öffnet sich die noble Innenwelt der E-Klasse.
Kein Schlüsseltausch
Als Poolfahrzeug genutzt, kann man sich damit das umständliche Schlüsselhandling sparen und könnte beispielsweise per App gleich den Führerschein überprüfen. Dieser könnte bei rasanter Fahrweise in der E-Klasse in Gefahr geraten. Hier hilft der neue Abstandstempomat, der durch zweifaches Heranziehen des Lenkstocks aktiviert, den Abstand zum Vordermann hält - und das sogar bis auf sportwagentypische 210 Stundenkilometer. Die Infos der Verkehrszeichenerkennung (über Comand Online) fließen ebenfalls ein, sodass die E-Klasse bei Tempolimits selbst einbremst. Zum Überholen reicht es, den Blinker zu setzen. Ist die Spur zwei Sekunden frei, lenkt die Limousine selbstständig nach links - entspannter geht es auf der Autobahn kaum. Auch vor engen Parkbuchten braucht kein Fahrer mehr ins Schwitzen kommen. Einfach vorher aussteigen und per App den fast fünf Meter langen Stern parken lassen. Für eine entspannte Nachtfahrt sorgen die je 84 LEDs pro Scheinwerfer.
Hoffentlich sehr selten muss sich der autonome Auffahrassistent einschalten, der laut dem Hersteller selbst bei Tempo 100 vor einem Stauende den Stuttgarter zum Stehen bringt. Sicherheit bleibt also eine Daimler-Domäne, die sich an der Armada an Assistenten ablesen lässt. Drei davon - Müdigkeitswarner, Seitenwindhelfer und aktiver Bremsassistent - sind Serie.
Welt des Aufpreises
Der Rest findet sich auf der Daimler-typisch mehrseitigen Aufpreisliste samt Business-Paket (2.200 Euro). Diese Individualisierbarkeit schlägt im Inneren bisweilen extravagante Blüten, wenn man allein das Ambientelicht in 64 unterschiedlichen Farben darstellen kann. Diese kleine Welt hat man bequem im Blick über die zwei optionalen iPad-ähnlichen 12,3 Zoll großen Screens. Durch die Menüs navigiert man am besten mit den beiden Lenkradkreuzen, die Wischbewegungen erkennen und somit auf klassische Druckpunkte verzichten. So kommt hinter dem Steuer nicht ohne Grund ein S-Klasse-Feeling auf. Womit wir beim Preis wären. Der 220d hat auf dem Preisschild nun 39.600 Euro stehen - der 250 Bluetec (204 PS, Handschalter) war für 39.850 Euro zu haben. Die Kunst besteht nun im Abwägen mannigfaltiger Optionen - das gilt gewissermaßen auch für Winfried Kretschmann, der nach der besten Koalition fahndet, damit aus "neu" auch "gut" wird.
- Ausgabe 04/2016 Seite 40 (269.3 KB, PDF)