Man hat das Gefühl, dass 2024 das Jahr der Ladeinfrastruktur ist. Übernahmen, Aufgaben, Start-ups. Zu Letzterem zählt ChargeX. Und wie es sich für eine Neugründung ziemt, haben auch die Münchner einen griffigen Gründungsmythos parat. Dieser geht in Kurzform so: Die beiden Gründer ärgern sich bei ihrem gemeinsamen Arbeitgeber darüber, dass die dortigen E-Autos in der Firma zwar geladen werden können, es aber zu wenige intelligente Ladesäulen gab. Sodass sich per Whats-App-Gruppe darüber ausgetauscht wird, wer wann laden durfte. Auf den darauffolgenden „Das muss doch besser gehen“-Moment folgte die Gründung.
Seit fast fünf Jahren – und damit im Grunde seit den ganz frühen Tagen – ist Lukas Bobinger bei ChargeX. Zunächst als Werkstudent, dann schrieb er hier seine Masterarbeit und durchlebte von der Produktion, dem Support und dem Vertrieb alles mit. Heute verantwortet er das Marketing und leitet die Digital Services. Und das läuft über Google-Ads, aber auch über Mundpropaganda. „Wenn wir beispielwiese in einem Gewerbegebiet einen Auftrag übernehmen, melden sich nicht selten kurze Zeit später Firmen aus dem gleichen Umfeld bei uns und fragen nach einer Ladelösung an.“ Diese Firmen sind in der Regel kleine Mittelständler mit fünf bis 200 Fahrzeugen und sitzen oft im Speckgürtel von Metropolen im Süden oder Westen des Landes.
ChargeX: Patentierte Lösung
Mit den mittlerweile gut 60 ChargeX Mitarbeitern ist man vornehmlich als Entwickler und Dienstleister aktiv. Früher wurden die Wallboxen noch vor Ort gefertigt, heute übernimmt das ein Partner. Bei der Installation ist das ebenso der Fall. Das wickeln lokale Techniker (oder wie im Lodenfrey-Park der Haustechniker) ab. Das Anschließen der Wallboxen ist simpel, da weder zusätzliche Trafos gebraucht werden (der verfügbare Strom in der Immobilie reicht in der Regel) noch braucht es Kabel zu zentralen Verteilerkästen. Denn von einem Ladepunkt, der in der Regel 11 oder 22 kW liefert, werden einfach in Reihe die Wallboxen angeschlossen. Dieses in Reihe-Schalten ist patentiert, einfach und findet sich etwa beim Anschließen der Module einer PV-Anlage wieder – diese werden in Reihe zu einem „Strang“ geschalten.
Dass mit der geteilten Leitung keine großen Lade-Sprünge drin sind, ist der einzige Pferdefuß der sonst sehr günstigen Lösung. „In der Regel reichen die niedrigeren Ladeleistungen aber aus, da sehr viele Nutzer recht lang ihr Auto zum Laden anschließen“, erzählt der 27-Jährige. Wer mit wie viel Kilowatt seine Lithium-Ionen-Packs befüllen kann, regelt dann nicht nur die Physik, sondern die Priorisierung über die Software. Das ist der Clou und das Kerngeschäft des Start-ups.
ChargeX im Lodenfrey-Park
BildergalerieChargeX: 700 Fahrkilometer werden aufgeteilt
Machen wir es mal plastisch: Laut Bobinger können innerhalb eines halben Tages pro 11 kW Leistung ungefähr 700 Fahrkilometer auf die verschiedenen E-Autos verteilt werden. Dank der Profile, etwa der Pendler, weiß man, wie lange der Mitarbeiter den Stromer am Netz hat und wie weit sein Nachhauseweg ist. Per Chipkarte oder besser per App meldet sich der Nutzer an. Sein Profil ist hinterlegt, er kann aber auch seinen eigenen Bedarf an getankten Kilometern festlegen. Dann priorisiert die Software den Stromfluss. Die smarten Wallboxen, die das Last- und Lademanagement integriert haben, erhalten damit ihre Strommengen. Dass nicht nur Strom, sondern auch ein Stellplatz ein teures Gut sein kann, wissen viele Firmen.
So auch im Fall des Lodenfrey-Parks, einer der Kunden von ChargeX. Wir treffen dort Markus Hofmann, der seit Februar 2022 Geschäftsführer des Lodenfrey-Parks ist und damit erst in Verantwortung kam, nachdem der Zuschlag für ChargeX fiel. Ebenfalls beim Gespräch dabei ist der technische Asset-Manager Danny Langnickel sowie Sebastian Pertl von ChargeX, der mit dem ID.Buzz vorfuhr, indem er Equipment für die Wallboxen dabei hat, denn wir werden später selbst an der Ladeeinheit schrauben. Das geht, da zum einen in einer Wallbox nicht allzu viel Hightech steckt. Zum anderen ist das System der Münchener schnell zu begreifen und ebenso schnell umzusetzen, wie Langnickel bestätigt. Das ist wichtig, denn das Komplizierte ist nie die Hard-, sondern eher die Software. Wenn es, wie hier geschehen, der Haustechniker schnell selbst anschließen kann, spart das natürlich bei der Installation Zeit und Geld.
Peak zweimal im Jahr
Den Anfang macht hier das Parkhaus, das direkt vor dem historischen Industriepark steht und dazugehört. Der Lodenfrey-Park, recht zentral in München gelegen, ist ein Quartier, das mehr als 90 Firmen ein Zuhause gibt. 1870 wurde der Grundstein für die Lodenfreyfabrik hier gelegt, da der Platz in der Innenstadt nicht mehr ausreichte. Über 100 Jahre blieb das Gelände die Produktionsstätte für die Textilien mit Weltruhm. Noch in den 1960er-Jahren beschäftigte man mehr als 2.000 Mitarbeiter, was einen Eindruck von der Größe des Areals gibt. In den 1980er-Jahren wanderte fast die gesamte Textil-Industrie aus Deutschland ab und das traumhaft am Englischen Garten gelegene Gelände stand plötzlich leer.
Also bot man die Räumlichkeiten zunächst Mietern aus der Medienbranche an, danach kamen Modelabels hinzu. Nun sind es wieder die Marken wie Fred Perry, Liu Jo oder Mey, die ihre Kollektionen zweimal im Jahr (Winter und Sommer) ihren Händlern präsentieren. Dann ist der Peak an Besuchern und das Parkhaus ist rappelvoll. Seinen Stromer aufladen kann man an über fünfzig Ladepunkten auf dem gesamten Gelände. Der Aufbau des Ladenetzes ist immer gleich. Ein Starter-Modul wird mit 11 Kilowatt Leistung angeschlossen, von dem gehen drei weitere Wallboxen in Reihe geschaltet ab. Als Steckverbindung dient ein Hybridkabel, das neben dem Strom über eine separate Leitung die Daten schickt, also der Kommunikation innerhalb der Hardware dient. Die Datenübertragung in die Cloud übernimmt die verbaute Sim-Karte oder in den Tiefgaragen der direkte Datenanschluss.
ChargeX: Viererverbünde
Insgesamt gibt es vierzehn Mal diese Vierer-Kombis, also 56 Ladepunkte. Innerhalb dieser Vierer-Verbünde ist jede Wallbox alle 15 Minuten am Laden, während die anderen drei nichtladen. Man könnte nun für das Starten des Ladens auch im Lodenfrey-Park die ChargeX-App nutzen, was momentan aber noch nicht stattfindet, da die einzelnen Ladepunkte den Mietern zugeordnet werden und diese sich selbst organisieren. In der „Drop-Power-Sharing-App“ erhält jeder Nutzer ein Budget an Ladeleistung (dargestellt als Tropfen) und kann mit diesem planen, sprich, vor dem Laden in der App eingeben, wann er wieder losfahren will (in Drei-Stunden-Schritten) und wie viel Kilometer der Akku an Energie laden sollte – im Idealfall. Damit lassen sich Prioritäten beim raren Gut Strom darstellen. Für externe Gäste, die vielleicht einen anderen Tarif bekommen sollen, bietet ChargeX mittlerweile das Direct Payment mit der eigenen Kreditkarte an.
Energiemarkt der Zukunft
Den Strom erzeugt der Lodenfrey-Park zum guten Teil selbst, denn fast auf jedem der historischen Dächer glänzt eine PV-Anlage und man hat weiterhin das Nutzungsrecht für den Schwabinger Bach, sodass das Turbinenhaus längst mehr ist als eine profane Kulisse. Der Geschäftsführer Hofmann spricht von bis zu 60 Prozent des eigen produzierten Stromes. Umso leichter fällt es, die Energie in die Fahrzeuge zu packen, wenn mal wieder die Einkäufer für die Modenschauen im Parkhaus verweilen.
Das Thema Strom beflügelt auch die Fantasie von ChargeX, wie Lukas Bobinger erklärt: „Die Wallbox ist die Schnittstelle zwischen der Elektromobilität und dem Energiemarkt. Das ist die Zukunft.“ Was heute noch mit der eigenen Photovoltaik-Anlage geht, wird dann, so die Hoffnung, im großen Stil funktionieren. Was braucht es vorher? Zum Beispiel den Abbau von Bürokratie. Doch beim Blick auf die lokalen Netzbetreiber (Stadtwerke) wird klar, wie groß das Knäuel ist, das es zu entwirren gilt. Laut Bobinger gibt es mehr regionale Verteilnetze als Landkreise in Deutschland – es sind mehr als doppelt so viele. „Und jeder von denen
hat ein eigenes Formular, um einen Ladepunkt anzumelden.“ Merke: Elektromobilität geht nur mit Digitalisierung einher. Sonst scheitert sie.