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Das Problem mit den 130 Prozent

31.12.2015 06:00 Uhr

Der Geschädigte kann sich auf den 30-prozentigen "Integritätszuschlag" nur unter ganz engen Voraussetzungen berufen.

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_ Lange Zeit haben sich die Gerichte damit beschäftigt, bis zu welcher Grenze bei einem wirtschaftlichen Totalschaden (wenn also die Reparatur teurer ist als der Wiederbeschaffungswert eines vergleichbaren Fahrzeugs) Ersatz zu leisten ist. Stand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) ist, dass der Geschädigte die Ersatzsumme für eine Reparatur auch dann noch verlangen kann, wenn Sie den Wiederbeschaffungswert um bis zu 30 Prozent übersteigt (so schon BGH, Entscheidung vom 15.10.1991, Aktenzeichen VI ZR 314/90, NJW 1992, 303).

Soweit die Grundsatzentscheidung des BGH, wobei bei der Berechnung überwiegend auf die Bruttoreparaturkosten abgestellt wird.

Aber: Der Geschädigte kann sich auf diesen 30-prozentigen "Zuschlag" nur unter ganz engen Voraussetzungen berufen. Wichtigste Voraussetzung ist, dass die Reparatur des Fahrzeugs auch tatsächlich durchgeführt wird. Bei einer Abrechnung unter Zugrundelegung bloßer fiktiver Reparaturkosten (Abrechnung auf Gutachterbasis) wird der Integritätszuschlag in Höhe von 30 Prozent nicht erstattet.

Auch hiervon gibt es jedoch wieder eine Ausnahme, nämlich dann, wenn der Geschädigte die Reparatur nur deshalb nicht sofort durchführen lassen kann, weil ausreichende Eigenmittel fehlen und er sie deshalb einstweilen zurückgestellt hat. Dies bedeutet gleichzeitig, dass der Geschädigte die Durchführung der Reparatur nachzuweisen hat.

Was aber, wenn das Gutachten besagt, dass die Reparatur die 130-Prozent-Grenze überschreiten würde und der Geschädigte sie dennoch fachgerecht für einen Betrag unterhalb der Grenze durchführen lässt? In diesem Fall ist der Integritätszuschlag von maximal 30 Prozent zu zahlen, soweit die Reparatur vollständig und fachgerecht durchgeführt wurde.

Frage der fachgerechten Reparatur

Damit ergibt sich die Frage, wann eine Reparatur "fachgerecht" durchführt wurde. Die sogenannte herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung nimmt eine "fachgerechte Reparatur" dann an, wenn sie weder provisorisch noch laienhaft durchgeführt wurde und zudem nicht nur als Teil- oder Billigreparatur zu bezeichnen ist. Die Rechtsprechung dazu, was im Einzelfall ausreicht und was nicht, ist schier endlos. Maßgeblich ist aber hier letztlich die Meinung des BGH, und dieser sieht eine Reparatur nur dann als fach- und sachgerecht an, wenn sie den im Sachverständigengutachten ermittelten Umfang aufweist. Nur dann nimmt der BGH das erforderliche Integritätsinteresse an und gestattet die Abweichung vom Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 BGB, weil damit zugleich sichergestellt wird, dass sich der Geschädigte nicht an der Regulierung des Schadens bereichert, soll heißen, dass er nachher bessergestellt wäre als vor dem Unfallereignis.

Liegen die vom Gutachter geschätzten Reparaturkosten noch im Toleranzbereich der 130-Prozent-Grenze, werden bei einer unvollständigen Reparatur Kosten über dem Wiederbeschaffungswert (100 Prozent) nur dann ersetzt, wenn und soweit diese konkret angefallen sind.

Das alles bedeutet aber nicht, dass eine Eigenreparatur grundsätzlich nicht auch ausreichend und zulässig wäre. Diese muss aber nach Ansicht des BGH fachgerecht sein und vor allem wertmäßig der im Gutachten aufgeführten Reparatur gleichstehen.

Weitere Voraussetzung ist, dass der Geschädigte in diesen Fällen das Fahrzeug nach der Reparatur auch tatsächlich weiter nutzt.

Zwar wird grundsätzlich angenommen, dass der Geschädigte das Fahrzeug bis zur 130-Prozent-Grenze reparieren lässt, um es danach weiter zu benutzen. Dennoch hat er diese Absicht zu beweisen. Jedenfalls fehlt ein schützenswertes Integritätsinteresse (bis 130 Prozent) dann, wenn der Geschädigte das reparierte Fahrzeug kurzfristig nach der Reparatur veräußert.

Veräußerung des Fahrzeugs

Diese Handhabung in der Rechtsprechung führt in der Praxis oft zu erheblichen Problemen.

Obwohl die Rechtsprechung bislang noch keine wirklich praktikablen zeitlichen Kriterien festgelegt hat, entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass, für den Fall einer Veräußerung des Fahrzeugs kurze Zeit nach dem Unfall, das Integritätsinteresse entfällt. Eine durchgeführte Eigenreparatur mit kurzfristig folgendem Verkauf, etwa nach einem Monat, lässt jedenfalls das Integritätsinteresse unstreitig entfallen.

Dies alles ist jedoch - wie zu erwarten - in der Rechtsprechung äußerst umstritten. So verwundert es nicht, dass sich die Stimmen mehren, die der Ansicht sind, allein die dem Gutachten entsprechende fach- und sachgerechte Reparatur genüge zum Nachweis des Integritätsinteresses.

Eine Bereicherung um die Reparaturkosten im Bereich von 100 bis 130 Prozent liege damit nicht vor. Der Geschädigte stelle ja immerhin mit der Reparatur den Zustand des Fahrzeugs vor dem Schadensereignis wieder her.

Ein auf die Reparatur folgender Verkauf sei danach unerheblich, denn er hätte das Fahrzeug ja auch vor dem Unfall verkaufen können und dann genau zu dem Wert, der durch die Reparatur zuzüglich des zu ersetzenden Minderwertes wiederhergestellt wurde (ein Rechenbeispiel, das nicht immer zutreffen dürfte).

Fragen wirft in diesem Zusammenhang die Entscheidung des BGH zur fiktiven Abrechnung bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes auf (BGH, Entscheidung vom 23.5.2006, Aktenzeichen VI ZR 192/05, NJW 2006, 2179).

"Der Geschädigte kann zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen, wenn er das Fahrzeug - gegebenenfalls unrepariert - mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt."

Sechsmonatige Weiternutzung

Diese Entscheidung zeigt den Unterschied zu den zuvor genannten Fällen auf, in denen es um den Integritätszuschlag geht. Bei der Frage der Weiternutzung geht es dort um den vorzunehmenden Abzug des Restwertes. Es wird deutlich, dass es einen Widerspruch in der Wertung und Behandlung der Fälle bedeutet, wenn der Geschädigte im Falle einer fiktiven Abrechnung bei Schäden bis zum Wiederbeschaffungswert den Restwert bei entsprechender Weiterbenutzung behalten darf, dagegen aber bei Reparaturen bis zu 30 Prozent über dem Wiederbeschaffungswert für das Integritätsinteresse eine fach- und sachgerechte Reparatur zu verlangen.

Daher wird man heutzutage einheitlich auf eine mindestens sechsmonatige Weiterbenutzung abstellen müssen.

Das bedeutet, dass bei der Geltendmachung der fiktiven Reparaturkosten nach Maßgabe eines Sachverständigengutachtens der etwaige Verkauf des Unfallfahrzeugs dem Geschädigten nicht die Möglichkeit nimmt, die Reparaturkosten zu verlangen. Allerdings verlangt der BGH (NJW 2006, 2179), dass der Geschädigte, der Kosten über dem Wiederbeschaffungswert auf Gutachterbasis (fiktiv) einfordert, sein Integritätsinteresse besonders nachweist. Kosten zwischen 100 und 130 Prozent werden nur noch ersetzt, wenn eine Weiterbenutzung von sechs Monaten gegeben ist (BGH, Entscheidung vom 23.11.2010, Aktenzeichen VI ZR 35/10, NJW 2011, 667).

In der Zwischenzeit hat der BGH auch klargestellt, dass der dem Geschädigten im Zuge der Reparatur seines Fahrzeugs zuzugestehende Integritätszuschlag von 30 Prozent auch für gewerblich genutzte Fahrzeuge besteht.

Geteilte Schadensabrechnung?

Wie wird die 130-Prozent-Grenze nun berechnet? Fest steht, dass im Falle einer erfolgten Reparatur der Restwert des Fahrzeugs außer Betracht bleibt. Es werden die Reparaturkosten (und der verbleibende Minderwert) zum einen und der Wiederbeschaffungswert (ohne Restwertabzug) zum anderen ins Verhältnis gesetzt.

Die Rechtsprechung des BGH kann dazu führen, dass es bei Schadensabrechnungen zu Verzögerungen kommt - eventuell bis zu sechs Monaten. Die Versicherer haben das Recht, zuvor eine Schadensabwicklung zu verweigern; jedenfalls dann, wenn der Geschädigte fiktiv abrechnet und das Integritätsinteresse nicht nachgewiesen ist. Denkbar ist auch eine geteilte Schadensabrechnung, zuerst ohne den ermittelten Restwert und dann später - nach sechs Monaten und entsprechendem Nachweis der Weiternutzung (eventuell durch weiterbestehende Zulassung des Fahrzeugs nachgewiesen) - den restlichen Betrag.

Wesentliche Punkte

Zulässige Reparatur nach der 130-Prozent-Grenze

- Die Reparaturkosten des Fahrzeugs dürfen maximal 30 Prozent über den Wiederbeschaffungskosten liegen.- Als Nachweis für das Integritätsinteresse muss das Auto mindestens über einen Zeitraum von sechs Monaten ab dem Zeitraum des Schadensereignisses weiter genutzt und versichert beziehungsweise zugelassen werden.- Die Reparatur muss im Rahmen der Vorgaben eines Kfz-Sachverständigengutachtens ausgeführt werden.- Als Nachweis über eine dem Gutachten entsprechende Reparatur muss eine Rechnung über die Reparaturkosten vorgelegt werden, aus der die ordnungsgemäße Reparatur hervorgeht.- Eine Eigenreparatur ist zulässig und möglich - allerdings sollte im Idealfall eine Reparaturbescheinigung durch einen Sachverständigen erfolgen. Dadurch wird bestätigt, dass die Reparatur nach Vorgabe des Gutachtens erfolgte.- Billigreparaturen mit nur unvollständiger Wiederherstellung des Fahrzeugs werden von den Versicherern nicht über die 130-Prozent-Regelung abgewickelt, sondern allenfalls auf Totalschadenbasis reguliert.

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