Ökopionier gegen Autoriese: Der Hamburger Stromversorger Lichtblick macht dem Energiepartner VW massive Vorwürfe und sucht die Konfrontation mit Europas Branchenprimus. Der Autobauer soll bei dem Gemeinschaftsprojekt für hochmoderne Mini-Kraftwerke "wesentliche wirtschaftliche Vertragsvereinbarungen" verletzt haben, hieß es am vorigen Mittwoch. Die Wolfsburger hätten die Kooperation angeblich mit einem realitätsfernen Preisdiktat vor die Wand gefahren. Nun sei fast jeder siebte Lichtblick-Job in Gefahr.
Auf der Gegenseite spricht VW nüchtern von Differenzen und bedauert das Aus des Projekts. Mit dem Streit David gegen Goliath endet auch ein Vorzeigevorhaben der Energiewende, in dessen letztem Kapitel sich beide Seiten womöglich noch vor Gericht wiedersehen: Lichtblick will Schadenersatz von VW. Die Auseinandersetzung könnte sich auch auf zwei weitere Projekte der beiden Partner auswirken, die noch laufen.
Die Ausgangslage: 2009 erklärten Volkswagen und Lichtblick in Salzgitter feierlich "eine weltweit exklusive Energie-Partnerschaft", in der VW kleine Blockheizkraftwerke (BHKW) baut. Deren Abwärme lässt sich gleich direkt am Ort nutzen, die Stromproduktion schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe. In den Mini-Kraftwerken laufen VW-Gasmotoren, die auch schon im Touran und Caddy zum Einsatz kamen.
Große Ziele
Lichtblick vertrieb die Anlagen als "Zuhause-Kraftwerke" und wollte mit ihnen ein System aufbauen, das ein neues Kapitel der dezentralen, flexiblen Stromerzeugung aufschlägt. 100.000 Mini-BHKW wolle man langfristig verkaufen und zu Deutschlands größtem virtuellen Gaskraftwerk vernetzen – so der Plan damals. Ganze zwei Atomkraftwerke sollten damit überflüssig werden, hieß es Ende 2010 nach den ersten Installationen bei Privat- und Gewerbekunden.
Bisher sind aber nur 1.500 Mini-Kraftwerke unters Volk gekommen. Dass es anfangs viele technische Probleme gab, ist längst kein Geheimnis mehr. "Diese konnten jedoch in intensiver Zusammenarbeit der Partner gelöst werden", erklärt Lichtblick und verweist dabei auf "erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen", die man investiert habe.
Offensichtlich rückten die hochgesteckten Ziele zusehends in weite Ferne, Nachverhandlungen wurden nötig. VW ist eher ein Partner für große Volumina, nicht für Kleinserien. "Wir haben fünf Jahre gemeinsam gesät. Doch jetzt, wenn die Ernte eingefahren werden soll, sind wir nicht mehr daran beteiligt", wetterte Lichtblick-Chef Heiko von Tschischwitz im "Hamburger Abendblatt", das als erstes über den Streit berichtete. Am Mittwoch legte Lichtblick mit einer Mitteilung nach, in der von Tschischwitz feststellte: "Letztendlich wollte VW uns Bedingungen diktieren, die vollkommen inakzeptabel sind."
Keine Basis mehr auf Augenhöhe
Spätestens damit scheint klar, dass der Juniorpartner keine Basis mehr auf Augenhöhe sah und den internen Streit mit einer Flucht nach vorn öffentlich machte. Die kritisierte Gegenseite, der immerhin Vertragsbruch unterstellt wird, sagte zu den Vorwürfen, dass es bei anstehenden Verhandlungen zur künftigen Zusammenarbeit bei den Mini-Kraftwerken "Vorstellungen" gegeben habe, die "weit auseinander" lägen: "Volkswagen hat daraufhin vor wenigen Wochen ein nachgebessertes Angebot vorgelegt, das Lichtblick nicht akzeptiert hat." Man bedauere das. Zum Inhalt der Offerte wurde nichts bekannt.
Nach dem Aus setzen die Wolfsburger nun auf "bestehende alternative Vertriebspartner". Lichtblick hätte nach eigener Darstellung nur zu gern weitergemacht, doch alle Rettungsversuche seien gescheitert.
Zwei weitere Projekte
Pikant ist, dass die Partner noch zwei weitere Projekte vorantreiben. Ob auch sie mit dem Streit in Gefahr geraten, war zunächst unklar. VW glaube weiter an den Erfolg der laufenden übrigen Vorhaben mit Lichtblick, sagte ein Sprecher. Lichtblick entgegnete: "Wir würden die Kooperationen gern fortführen." Die Zwei kooperieren auch bei Ökostromtarifen für Elektroautos der Pkw-Marken von VW, Audi und Porsche.
Zudem testen die Unternehmen in Berlin mit einem Feldversuch, inwieweit batteriebetriebene Wagen aus E-Autoflotten während der Standzeit als intelligente Stromspeicher taugen. Der Weg weg von den großen Atom- oder Kohlemeilern hin zu einer dezentral gesteuerten Versorgung über alternative Quellen wie Sonne und Wind gilt als eine der größten Herausforderungen bei der Energiewende. (dpa/kak))