Vor der Entscheidung über teure Nachrüstungen für Diesel-Autos hat Finanzminister Olaf Scholz (SPD) klargemacht, dass die Autohersteller nicht auf Staatshilfe hoffen können. "Ich glaube nicht, dass das ein Thema ist für öffentliches Geld", sagte der Vizekanzler in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn es um Fahrverbote in Deutschland geht, reden wir über die Lebenssituation von Millionen Bürgerinnen und Bürger", betonte Scholz. "Die meisten von uns können sich ja gar keinen Neuwagen leisten, sondern die kaufen ein gebrauchtes Fahrzeug."
Es müsse sichergestellt sein, dass sie mit dem Auto auch künftig noch überall hinfahren können. "Daher wollen wir, dass es Möglichkeiten der Nachrüstung gibt." Das sei die Aufgabe von Politik, das sicherzustellen, betonte er mit Blick auf einen Koalitionsgipfel am 1. Oktober bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Ich glaube, dass wir eine große Verantwortung für die Bürgerinnen unf Bürger haben: Und dass die Industrie diese Verantwortung jetzt auch wahrnimmt, die sie hat: Sicherzustellen, dass man mit den Autos, mit denen man in Deutschland fährt, auch überall hinkommt."
Autohersteller in der Pflicht
Zuvor waren Überlegungen bekannt geworden, dass Autobauer für bestimmte Pkw bis zu einem Preis von 3.000 Euro bis zu 80 Prozent der Kosten von Motor-Umbauten tragen könnten. Autobesitzer müssten dann womöglich bis zu 600 Euro dazu zahlen. Die SPD verlangt eine Finanzierung durch die Hersteller. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, die Autobauer hätten das Problem mit zu hohem Stickoxidausstoß verursacht. Auch Scholz machte als zuständiger Finanzminister deutlich, dass die Autohersteller in der Pflicht seien, das Problem sei nicht mit Steuergeldern zu lösen.
Der Autofahrerclub ADAC begrüßte, dass endlich Bewegung in die Frage der Hardware-Nachrüstung komme. Die Hersteller seien nun gefordert, alles zu unternehmen, um Fahrverbote zu vermeiden, sagte ADAC-Vizepräsident Ulrich Klaus Becker der Deutschen Presse-Agentur. Verbraucher und Steuerzahler seien bereits hoch belastet. "Deswegen müssen Nachrüstungen nicht nur für Dienstwagenfahrer, sondern für alle Besitzer von Diesel-Pkw möglich sein, für die das sinnvoll ist." Letztlich gehe es für die Menschen um die Gewissheit, dass sie mit nachgerüsteten Diesel auch künftig in die Städte einfahren dürften.
Das jüngste Urteil zu Fahrverboten von 2019 an in Frankfurt am Main hatte neue Bewegung hin zu einer stärkeren Kostenübernahme der Hersteller gebracht. Merkel, die mehrfach gegen Umbauten an Motoren argumentiert hatte, öffnete sich angesichts dessen dafür. In Hessen wird am 28. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Im Gespräch ist nach Angaben aus Koalitionskreisen nun, dass - in begrenztem Umfang - neue Euro-5-Fahrzeuge technisch nachgerüstet werden könnten.
Auch Handel fordert Diesel-Nachrüstung auf Kosten der Hersteller
Auch der deutsche Einzelhandel drängt auf eine schnelle Nachrüstung von Diesel-Autos auf Kosten der Hersteller, um Fahrverbote in den Städten zu verhindern. Der Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Josef Sanktjohanser, appellierte in einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), "die Fahrzeugindustrie in die Pflicht zu nehmen und umfangreiche Nachrüstungsmaßnahmen zu fordern".
Fahrverbote müssten verhindert werden, denn sie gefährdeten die Zukunft der Innenstädte, betonte Sankthojanser. "Der innerstädtische Handel ist angewiesen auf eine uneingeschränkte Erreichbarkeit der Geschäfte." Nach einer Umfrage des HDE befürchten 70 Prozent der betroffenen Handelsunternehmen erhebliche Umsatzverluste durch mögliche Fahrverbote, fast drei Viertel erwarten eine beschleunigte Abwanderung der Kunden in den E-Commerce.
Innenstadthändler und Verbraucher dürften nicht die Zeche für die Versäumnisse der Automobilindustrie bezahlen, mahnte Sanktjohanser. "Der HDE tritt daher für eine Verpflichtung der Fahrzeugindustrie ein, Diesel-Pkw technisch so nachzurüsten, dass es den Kommunen möglich ist, auch ohne Fahrverbote entsprechende Luftreinhaltepläne einzuhalten." Eine Finanzierung von Umrüstungen aus Steuergeldern oder staatliche Zuschüsse zur Anschaffung von neuen Fahrzeugen seien dabei nicht angemessen. (dpa)