Unfall- oder Betriebsschaden?
Vollkasko | Muss der Versicherer für Schäden aufkommen, die zwischen Zugfahrzeug und Anhänger entstehen? Entscheidend ist hier, ob es sich um einen Betriebs- oder Unfallschaden handelt.
— Ein Verkehrsunfall, wie er fast täglich auf der Autobahn geschieht, mit allerdings weitreichenden Folgen in der Rechtsprechung: Ein Pkw mit Anhänger kommt auf der Autobahn aufgrund unerwartet starker Spurrillen ins Schleudern. Dabei kollidiert der Anhänger mit dem Pkw.
Ein klarer Fall, denkt der Autofahrer. Doch die Vollkasko-Versicherung lehnt den Ausgleich des Schadens ab. Ihre Begründung: Es sich handele sich um einen nicht versicherten Betriebsschaden. Wer weiß schon im Detail, wann ein Unfallschaden vorliegt, der erstattet wird, und wann es sich um einen Betriebsschaden handelt?
Definition | Betriebsschäden sind nach allgemeiner Definition Schäden, die durch normale Abnutzung, durch Material- oder Bedienungsfehler am Fahrzeug oder an seinen Teilen entstehen. Vom Versicherungsschutz nicht umfasst sind solche Schäden, die Ausfluss des normalen Betriebsrisikos sind, bei denen sich damit (nur) die Gefahren auswirken, denen das Fahrzeug im Rahmen seiner konkreten Verwendung üblicherweise ausgesetzt ist.
Leistungsausschluss wegen eines Betriebsschadens ist zum Beispiel gegeben
beim Aufspringen der Motorhaube während der Fahrt,
bei Beschädigung der Innenwand des Fahrzeugs bei Verrutschen der Ladung infolge einer Notbremsung,
bei Betanken mit falschem Kraftstoff (der „Klassiker“).
Eintrittspflicht der Versicherung besteht, wenn ein Unfall vorliegt, zum Beispiel bei
Umstürzen des Fahrzeugs bei einem Betriebsvorgang (etwa beim Abkippen von Ladegut),
einem Zusammenstoß von Zugmaschine und Auflieger nach einem Bremsdefekt,
einem Zusammenstoß von Fahrzeug und Anhänger (so bisher vom Bundesgerichtshof (BGH) entschieden auf der Grundlage der AKB 2004).
Gleich ob – je nach zur Anwendung kommender AKB-Version – von einem „Betriebsschaden“ oder von einem „Schaden aufgrund eines Betriebsvorganges“ ausgegangen wird: Da jeder Unfall zwangsläufig in ursächlichem Zusammenhang zu einem Betriebsvorgang steht, führt die Unterscheidung zu einem sinnwidrig weiten Ausschluss des Versicherungsschutzes und ist damit für den Laien zumindest unklar.
Während nach früheren AKB die Kollision zwischen Zugfahrzeug und dem gegen diesen schleudernden Anhänger keinen ausgeschlossenen Betriebsschaden, sondern einen Unfall darstellte, schließen demgegenüber die AKB 2008 Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ausdrücklich aus.
BGH-Urteil | Das Urteil des BGH vom 19. Dezember 2012 (Az. IV ZR 21/11, DAR 2013, 146) erging zu einem Versicherungsvertrag nach den AKB 2005. In dieser Entscheidung ging es um die Frage, was der Laie unter einem Betriebsschaden verstehen darf.
Danach soll kein Betriebsschaden vorliegen (sondern ein Unfall), wenn ein Pkw aufgrund von starken Spurrillen ins Schleudern gerät und der Wohnanhänger mit dem Zugfahrzeug kollidiert. Folglich wurde die Kaskoversicherung verurteilt, die am Pkw ihres Versicherungsnehmers entstandenen Schäden zu ersetzen.
Maßgebend für die Entscheidung des BGH war die Auslegung des § 12 Absatz 6 a der AKB 2005: In diesem werden „gegenseitige Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen“ als nicht versicherte Betriebsschäden definiert.
Die Vorschrift lautet: „Die Vollversicherung umfasst darüber hinaus (...) Schäden durch Unfall, d. h. durch ein unvorhergesehenes, unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden sind keine Unfallschäden. Nicht versichert sind insbesondere gegenseitige Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen ...“
Da bei der Auslegung auf den durchschnittlichen Versicherungsnehmer abzustellen ist, ist nach Meinung des Gerichts ein nicht versicherter Schaden ohne Einwirkung von außen nur bei Material- oder Bedienungsfehlern als Betriebsschaden im Sinne dieser Klausel anzusehen – eine sehr versicherungsnehmerfreundliche Positionierung des obersten Gerichts.
Als Einwirkungen von außen werden dagegen vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer alle Ursachen angesehen, die weder vom gezogenen noch vom ziehenden Fahrzeug ausgehen, also auch Ursachen, die in der Fahrbahnbeschaffenheit oder in den Witterungsverhältnissen liegen – wie vorliegend die starken Spurrillen.
Konsequenzen | Auch wenn es noch den einen oder anderen Vollkaskoversicherungsvertrag geben dürfte, dem, wie bei dieser Entscheidung, die AKB 2005 zugrunde liegen, dürften jedoch für die Vielzahl der aktuell bestehenden Verträge die inhaltlich neu gefassten AKB 2008 oder neuer gelten. Daher stellt sich die Frage, ob die Entscheidung zu den älteren AKB auf die Verträge nach den neuen AKB übertragbar sind.
Der neu gefasste A.2.3.2. AKB 2008 (GdV-Empfehlung, Stand: 21.01.2013) lautet: „Versichert sind Unfälle des Fahrzeugs. Als Unfall gilt ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. Nicht als Unfallschäden gelten insbesondere Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs oder reine Bruchschäden. Dazu zählen zum Beispiel Schäden am Fahrzeug durch rutschende Ladung oder durch Abnutzung, Verwindungsschäden, Schäden aufgrund Bedienungsfehler oder Überbeanspruchung des Fahrzeugs und Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen.“
Klausel unwirksam | In dieser Klausel ist somit nunmehr bezüglich eines Leistungsausschlusses nicht mehr von „Betriebsschaden“, sondern von „Schäden aufgrund eines Betriebsvorgangs“ die Rede.
Hierzu hatte bereits das Landgericht Stuttgart (Az. 22 O 503/11, NJW-RR 2012, 1500) entschieden, dass diese unklar formuliert und daher unwirksam sei.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auf seine Interessen an.
Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei – so das Gericht – nicht erkennbar, dass der „Betriebsschaden“ aus den alten AKB (zum Beispiel 2005) mit dem Umfang seiner Leistungsausschlüsse in den neuen „Schaden aufgrund eines Betriebsvorgangs“ übernommen werden sollte. Der Laie wisse nicht, was er sich unter einem ausgeschlossenen Betriebsvorgang vorzustellen habe. Daher konnte der Autofahrer im vom BGH entschiedenen Fall davon ausgehen, dass es sich nach seinem Verständnishorizont um einen Verkehrsunfall handelte, für den seine Vollkaskoversicherung eintritt. Davon ausgehend ist in den im Entscheidungsfall vorhandenen unerwartet starken Spurrillen, in die der Anhänger geriet, eine Einwirkung von außen zu sehen.
Es bleibt abzuwarten, ob aufgrund der zu den alten AKB ergangenen, versicherungsnehmerfreundlichen BGH-Entscheidung weitere Instanzgerichte dieser Rechtsauffassung auch zu den neuen und in der Praxis relevanteren AKB folgen. | Dr. Michael Ludovisy
Frachtführer abwesend | Bloßes Abstellen an der Laderampe reicht nicht
– Eine Übernahme einer Sendung durch den Frachtführer nach § 425 HGB liegt nicht vor, wenn die Ware an dem im Frachtausgabeschein angegebenen, öffentlich zugänglichen Ladeplatz ohne die Anwesenheit des Frachtführers einfach nur bereitgestellt wird.
Der Empfänger erhält mit dem bloßen Abstellen auf der Laderampe weder unmittelbaren noch mittelbaren Besitz an der Sendung.
OLG München, Az. 23 U 2553/12, TRANSPR 2013, 114
Quietschgeräusche | Rücktritt vom Kaufvertrag nach Nachbesserungen
– Der Käufer eines mit Benzin und Gas betriebenen Pkw ist zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, wenn mindestens zwei fehlgeschlagene Nachbesserungsversuche vorliegen.
Für die Beurteilung der Frage, ob die in der Lieferung eines mangelhaften Fahrzeugs liegende Pflichtverletzung unerheblich ist und deswegen das Rücktrittsrecht des Käufers ausschließt, kommt es auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung an.
War zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung die Ursache der Geräusche trotz mehrerer Nachbesserungsversuche noch nicht bekannt und deshalb nicht absehbar, ob und mit welchem Aufwand der Mangel beseitigt werden könnte, kann die Erheblichkeit der Pflichtverletzung nicht verneint werden.
Kommt es zu störenden Quietschgeräuschen, die allgemein nicht dem Stand der Technik entsprechen, liegt ein erheblicher Mangel des Fahrzeugs vor. Solche quietschenden Geräusche muss der Käufer eines Neufahrzeugs nicht hinnehmen.
OLG Koblenz, Urteil vom 08.03.2013, Az. 3 U 1498/12, MDR 2013, 587
Grobe Fahrlässigkeit | Arbeitnehmer haftet allein für den Schaden
– Verursacht ein Arbeitnehmer grob fahrlässig einen Schaden, so hat er grundsätzlich den gesamten Schaden zu ersetzen. Es können jedoch im Einzelfall Haftungserleichterungen in Betracht kommen. Eine allgemeine Haftungsbeschränkung auf drei Bruttomonatsverdienste des Arbeitnehmers besteht allerdings entgegen weit verbreiteter Ansicht nicht.
Bundesarbeitsgericht, Az. 8 AZR 705/11, ADAJUR-Newsletter vom 07.05.2013
Grob fahrlässig | Parken auf abschüssiger Straße ohne doppelte Sicherung
– Wird ein Kraftfahrzeug auf einer abschüssigen Straße abgestellt, ohne dass eine doppelte Sicherung gegen Wegrollen mittels Handbremse und Einlegen eines Ganges erfolgt, ist dies grundsätzlich grob fahrlässig.
Die gemäß § 14 II S.1 Straßenverkehrsordnung (StVO) erforderliche doppelte Sicherung des abgestellten Fahrzeugs mittels Handbremse und Einlegen eines Ganges hatte der Autofahrer im entschiedenen Fall nicht vorgenommen.
OVG Lüneburg, Az. 5 LA 50/12, ADAJUR-Newsletter vom 28.05.2013
Gleichzeitiger Fahrspurwechsel | Haftungsteilung der Fahrzeugführer
– Bei einer Kollision zweier Fahrzeuge aufgrund eines gleichzeitigen Fahrspurwechsels auf die mittlere Fahrspur ist anhand der Betriebsgefahr der Fahrzeuge eine Haftungsteilung vorzunehmen. Bei der diesbezüglichen Abwägung ist zugrunde zu legen, dass jeder Fahrzeugführer seinen Entschluss zum Fahrstreifenwechsel gefasst hat, als der jeweils andere Fahrstreifenwechsel noch nicht erkennbar war. Somit lässt sich ein Verschulden eines der beiden Fahrzeugführer nicht feststellen.
Die vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Anteile umfasst die jeweiligen Betriebsgefahren. Beide sind gleich groß. Eine Schadenteilung ist unter diesen Umständen geboten.
LG Dortmund, Az. 21 O 361/10, SP 2013, 100
Sachmangel | Unverzügliche Rügeobliegenheit des Neuwagenkäufers
– Eine mit der Regelung der Ziffer VII 2. a) S.1 Neuwagenverkaufsbedingungen (NWVB) inhaltsgleiche Bestimmung in den allgemeinen Verkaufsbedingungen für neue Fahrzeuge eines Kraftfahrzeughändlers beinhaltet weder das Abbedingen noch eine Modifikation der Verpflichtung des Käufers eines Neufahrzeugs zur rechtzeitigen kaufmännischen Rüge gegenüber dem Verkäufer, wenn der Wagen einen Sachmangel aufweist.
Die Regelung enthält auch nicht die Bevollmächtigung des anderen vom Hersteller für die Betreuung des Kaufgegenstandes anerkannten Betriebes, für den Fahrzeugverkäufer eine kaufmännische Rüge entgegenzunehmen.
OLG Hamm, Az. I-2 U 177/11, ADAJUR-Newsletter vom 28.05.2013
Haltereigenschaft | Handel mit Kurzzeitkennzeichen
– Bei einem Unternehmen, das gewerblich Kurzkennzeichen an Dritte weitergibt, ist keine Haltereigenschaft hinsichtlich der von den Dritten genutzten Fahrzeuge gegeben. Dies schließt den für Kurzzeitkennzeichen bestehenden Versicherungsschutz nicht aus.
OLG Hamm, Az. I-9 U 117/12, NJW 2013,1248
Internetwerbung | Verbrauch und CO2-Emissionen müssen ersichtlich sein
– Ein Fahrzeughändler muss die Werbung für einen Neuwagen im Internet derart gestalten, dass für den Kunden bei erstmaliger Anzeige der Ausstattung des Neu-Kfz, insbesondere hinsichtlich der Motorisierung, die Informationen über den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen i.S.d. § 5 I, II Pkw-EnVKV ersichtlich sind.
LG Gießen, Az. 4 O 285/12, ADAJUR-Newsletter vom 07.05.2013
- Ausgabe 7/2013 Seite 70 (4.9 MB, PDF)