Es ist immer wieder schön, wie Geschäftsführer von Start-ups über ihre "agilen" Unternehmen philosophieren, die "disruptiv" die etablierten Anbieter ausstechen. Theorie und Wirklichkeit differieren hingegen oft. Ein Beispiel: Ladekarten.
Es gibt deutschlandweit unüberschaubar viele Anbieter von Ladekarten für elektrifizierte Fahrzeuge. Leider. Autoflotte hat für die folgende Übersicht 33 Anbieter angefragt. 20 Anbieter finden Sie in der Übersicht. Jedoch haben fünf Anbieter es nicht einmal geschafft, unsere Fragen zu beantworten. Unter Ihnen Branchengrößen wie Plugsurfing, Ionity und Fleetcor. Doch auch Greenpeace-Energy, die über den Partner GP Joule im (Öko-)Strom-Markt mitmischen möchten, antworteten nicht.
Kundenservice?
Auch bei Plugsurfing ging die erste Anfrage an die Pressestelle. Von dort kam keinerlei Rückmeldung, weshalb wir zusätzlich über den "Partner Support" sowie "Support" und "Service" anfragten. Antworten kamen von drei Damen, die entweder nochmals fragten, was unser Anliegen sei, oder schrieben, dass wir eine Antwort von der Pressestelle erhalten werden. Nach sieben Wochen und einem Dutzend Mails gab es noch immer keine Antwort. Auch der Versuch, telefonisch Kontakt zu knüpfen, scheiterte. Die einzig auffindbare Telefonnummer (im Impressum) führt, Sie ahnen es, ins Nirwana. Das ist ein Extrembeispiel, es zeigt jedoch, dass längst nicht alles Gold ist, was glänzt. Oder sich als Europas größtes Ladenetz" rühmt.
Die Poolfahrzeuge von Springer Fachmedien München wurden in den vergangenen Wochen auf Elektromodelle umgestellt - rein elektrisch. Intern gibt es in der Tiefgarage fünf abgesicherte 230-Volt-Steckdosen und drei 11-kW-Wallboxen. Natürlich mussten wir uns auch um externe Lademöglichkeiten kümmern. Denn die teils absoluten Elektro-Neulinge im Unternehmen sollen es so einfach wie möglich haben und an nahezu 100 Prozent der Stromsäulen tanken können. Daher besitzen wir drei Ladekarten/Token.
Auch bei der Beantragung der Lademöglichkeiten lief nicht bei allen Anbietern alles problemfrei oder, besser ausgedrückt: so einfach, wie man sich das im Jahr 2020 als fuhrparkmanagende Person vorstellt. Gewählt haben wir die Branchengrößen, somit sind wir Kunde bei Plugsurfing, Newmotion/Shell und EnBW. Die Empfehlung an unsere Kolleginnen und Kollegen, die sich auf die "Abenteuerreise mit dem Elektroauto" einlassen, lautet:"Bitte zuerst die EnBW-Karte nutzen." Warum? Das entnehmen Sie unserer Übersicht.
Mit der Ladekarte alleine ist es jedoch nicht getan. Mit den drei genannten Optionen sind Ladehemmungen zwar äußert selten, jedoch ist es einfach, sich die zugehörigen Apps auf dem Smartphone zu installieren. Denn dann ist sichtbar, wo sich die Ladesäulen befinden und auch, was das Laden dort kostet und ob es mit langsamem AC-Standard (Typ 2, maximal 22 kW) oder schnellem DC-Standard (das ist meist CCS) gelingt. Unsere Poolfahrzeuge können theoretisch mit 100 kW schnellladen, was jedoch nicht immer im Auto ankommt. Erklärungen dafür gibt es viele und wiederum keine. Entweder liegt es am Auto oder an der Säule - je nachdem, bei wem man sich beschwert.
Nun stellen sich Fuhrparkbetreibende, die auf E-Mobilität umstellen wollen, sicherlich auch die Frage: welche Ladekarte soll ich verwenden? Einfach lässt sich diese nicht beantworten. Das Fahrprofil ist ausschlaggebend und die Preissensibilität ebenfalls. Wer schnell und gesichert von A nach B kommen will, ist mit nur einer Karte zu knausrig ausgestattet. Zwei sollten es sein. Welche, das liegt im eigenen Ermessen und kann eventuell anhand unserer Übersicht abgeschätzt werden. Wirklich vergleichbar ist diese leider nicht. Denn die Angaben einiger Anbieter sind äußerst undurchsichtig.
CPO und EMP. Bitte was?
Das liegt auch an den derzeit vorherrschenden Marktbedingungen. Es gibt auf der einen Seite den so genannten CPO, den C harge P oint O perator oder Charge Point Owner. Das ist in jedem Fall das Unternehmen, das unter anderem die Ladestation hat aufstellen lassen, diese betreibt, den Nutzungspreis festlegt und für die regelmäßige Wartung sorgt. In einigen Fällen ist der CPO auch der EMP. EMP bedeutet E- M obility P rovider, also oft die Kartenabieter. Sind CPO und EMP ein und dasselbe Unternehmen, ist das häufig eine gute Kombination. Beispiele dafür: EnBW, Eon, Entega, Maingau - also Stromanbieter im klassischen Sinne.
Der EMP ermöglicht seinen Kunden das Laden an vielen unterschiedlichen Ladesäulen von vielen CPO. Das ist komfortabel und schafft Flächenabdeckung. Das nennt sich auch Roaming und ist durchs Mobiltelefonieren im Ausland bekannt, wo es anfangs auch böse Überraschungen bei der Abrechnung gab. Ist es bei Handytelefonaten innerhalb der EU mittlerweile kostenfrei, nach Hause zu telefonieren, sind die Ladekartenanbieter davon noch meilenweit entfernt. "Die Abrechnungen zwischen CPO und EMP sind teils rechtlich zumindest bedenklich und wenig transparent. In der EMP-Welt wird die Preisangabenverordnung häufig noch immer ignoriert", konstatiert Stefan Pagenkopf-Martin. Der Kunde ist am Ende oft der Leidtragende, weil er im Vorfeld nicht immer genau weiß, was er für den Ladevorgang zahlen wird beziehungsweise wie viel Strom er für sein Geld bekommt. Der Parkstrom-Geschäftsführer meint, dass eine Ladesäule möglichst vielen E-Auto-Fahrern zur Verfügung stehen sollte. Eine wichtige Frage dabei lautet: Welche Bezahlkarte hat fast jeder im Portemonnaie? Klare Antwort: Es ist die Girokarte (ehemals EC-Karte, Anmerk. der Redaktion).Viele dieser Karten verfügen über die Funktion des kontaktlosen Bezahlens, was aus Sicht von Pagenkopf-Martin die beste und wahrscheinlich kostengünstigste Lösung für die einfache Nutzung von Ladesäulen ist.
"Wir versetzen uns in die Denke unseres Kunden, also beispielsweise des Parkplatz-Eigentümers. Dieser möchte sein Parkangebot veredeln und tätigt ein Invest, wenn er eine oder mehrere Ladesäulen kauft, installiert und betreibt bzw. betreiben lässt. Warum soll die EMP-Welt davon so unverhältnismäßig profitieren und das elektrische Fahren verteuern? Sie haben nichts anderes getan, als eine Schnittstelle zu programmieren." Dieses wirtschaftlich nicht tragbare Kostensystem, wie Pagenkopf-Martin es nennt, lässt sich durch ein Direktbezahlsystem korrigieren. Mit der kontaktlosen Girokarte kann der E-Auto-Fahrer direkt an der Ladesäule zahlen und - wie beim Einkaufen im Supermarkt - über die Bankverbindung abbuchen lassen. Der Validierungsvorgang ist dabei denkbar einfach. Ein erstes Dranhalten der Girokarte an das Terminal zeigt den Preis pro Kilowattstunde (kWh), ein abermaliges Davorhalten startet den Ladevorgang. Teure Roaming- und Providerkosten entfallen und davon profitiert der E-Auto-Fahrer genauso wie der Betreiber.
Ökobank an Bord
Damit das auch fair funktioniert, haben sich die Berliner die Ökobank GLS-Gemeinschaftsbank als Transaktionspartner ins Boot geholt. Denn Uwe Nehrkorn von der GLS-Bank ist der Erfinder von Giro-e."2012 haben wir die ersten E-Autos in der Bank bekommen und wir haben mit der Ruhr-Uni-Bochum ein Forschungsprojekt zum Thema Langstrecken-E-Mobilität durchgeführt. Damals kamen gerade erst die Schnellladesäulen auf. Wir sind mit sechs Fahrzeugen mehrere 100.000 Kilometer gefahren. Als nach fünf Jahren noch immer keiner ein vernünftiges Bezahlsystem hatte, habe ich zu unserem Vorstand gesagt: Sollten wir nicht mal loslegen?" So ist 2017 die Marke Giro-e der GLS Bank entstanden.
Daher sagt Nehrkorn auch:"Wir sind die einzige Bank in Deutschland, die E-Mobilität kann. Oder andersherum: Wir sind die einzigen E-Mobilisten, die Bank können. Und wir achten auf das Kurzhalten von Prozessketten, um den Service so günstig wie möglich anbieten zu können. Das bedeutet auch, Zwischenhändler raushalten, die keinen Mehrwert bieten." Also genau das Gegenteil vom Roaming. Pagenkopf-Martin fügt hinzu:"Klar, auch bei uns muss eine Leistung bezahlt werden. Aktuell berechnen wir pro Ladevorgang eine Servicegebühr in Höhe von 40 Eurocent (brutto). Der überwiegende Teil davon sind Bankgebühren. Wir erledigen die Abrechnung mit der GLS-Bank." Und Nehrkorn ergänzt "ein Bankkonto bei der GLS-Bank ist somit nicht nötig. GLS-Kunden profitieren jedoch von geringeren Ladegebühren".
Das passende Modell für Unternehmen nennt sich Giro-e-Work. Das bedeutet, dass der Ladepunkt im Unternehmen installiert wird und bestmögliche Nutzung gewährleistet ist, um dem anfangs erwähnten Sharing-Gedanken Rechnung zu tragen. "Dienstwagennutzer können einfach und ohne Aufwand laden und der Fuhrparkleiter bekommt alles übersichtlich dargestellt. Das kostet pro Session vier Cent Servicegebühr, inklusive Webanwendung, Excel-Export-Möglichkeit und weiteren Informationen." Zusätzlich können Nachbarn des Unternehmens nachts laden, wenn die Dienstwagen zuhause sind. Und das wird dann einfach mit der Girokarte abgerechnet. Aber auch Mitarbeiter, die mit dem privaten E-Auto kommen, erhalten so ebenfalls eine einfache und kostengünstige Lademöglichkeit. Damit ist eine Ladesäule ganz anders ausgelastet.
Auch im Retailbereich eröffnen sich neue Möglichkeiten. Supermarktkunden können beim Einkauf einen Laderabatt erhalten, der automatisch beim Bezahlen mit der Girokarte angerechnet wird. Das liegt im Ermessen des Ladesäulenbetreibers, also der Supermarkt-Geschäftsführung."Die monatlichen Betriebskosten für den Betreiber liegen bei unter zehn Euro. Alles andere sind Endkundenkosten und auch diese sind gering." Wer eine Ladesäule über Parkstrom bezieht und die Giro-e-Lösung integriert, muss mit mindestens 2.200 Euro pro Ladepunkt kalkulieren. Die Mehrkosten gegenüber einem konventionellen Ladepunkt ohne Giro-e-Bezahlmöglichkeit liegen derzeit damit bei maximal 400 Euro.
Laut Bundesnetzagentur gab es im August 2020 exakt 15.034 Ladesäulen in Deutschland, meist mit zwei Ladepunkten. Rund 500 Ladepunkte steuert derzeit Parkstrom bei. Für viele Neuinstallationen, gerade auch auf dem eigenen Gelände, ist das eine komfortable und faire Lösung für den Betreiber (CPO) und den Kunden. Den EMP gibt es in dieser Welt nicht mehr. Das Problem des einfachen Außer-Haus-Ladens wird damit zwar nicht eliminiert, aber zumindest minimiert. Und Pagenkopf-Martin ist sich bereits sicher: Roaming wird es in Zukunft nicht mehr geben.
- Ausgabe 10/2020 Seite 20 (305.8 KB, PDF)