Von Annika Beyer (Sprit+) und Rocco Swantusch (Autoflotte)
Autoflotte: Das letzte Mal war ich im November 2015 für ein Interview bei Thinxnet. Um ehrlich zu sein: Nach dem Termin war ich skeptisch, ob sich das Angebot, damals noch unter dem Namen "Tanktaler", auf dem Markt durchsetzen wird. Sie haben mich eines Besseren belehrt. Was ist in den vergangenen viereinhalb Jahren passiert?
Johannes Martens: Unser Ziel war und ist es, eine offene Plattform zu bauen, die Fahrer und Fahrzeughalter unterstützt. Das Bezahlen an der Zapfsäule hatten wir dabei von Anfang an auf unserer Roadmap. Aber wir standen vor einer klassischen Henne-Ei-Situation: Nutzer fragten nach, wie viele Tankstellen sich an unserem System beteiligen. Und die Tankstellen fragten wiederum danach, wie viele Nutzer wir haben. Beide Parteien haben also wechselseitig aufeinander gewartet. Wie haben wir das gelöst? In der Anfangsphase haben wir uns erst einmal darum gekümmert, wie wir die Nutzerzahlen steigern.
Wie haben Sie das gemacht?
J. Martens: Wir haben uns Partner gesucht, die gemeinsam mit uns eine Lösung auf den Markt bringen wollten, die dem Nutzer einen Mehrwert bietet. Beispiele für diese Partner sind Versicherungen und Werkstattketten, deren Angebote wir in unsere Ryd-App integriert haben. So haben wir nach und nach die Endkundenseite aufgebaut. Nachdem wir eine kritische Masse erreicht hatten, konnten wir in einer zweiten Phase zu den Tankstellenunternehmen gehen und sagen: Guckt mal, wir haben die Nutzer und wir haben darüber hinaus spannende Informationen über deren Fahrzeuge für euch wie beispielsweise die Tankfüllstände, die wir über einen OBD-Stecker aus dem Auto rauslesen können. Damit wollten wir die Tankstellen davon überzeugen, dass das System im großen Stil funktioniert und dass sie dadurch zusätzlich Geschäft mit Neukunden generieren können.
War es schwer, die Mineralölunternehmen zu überzeugen?
Oliver Götz: Die Mineralölindustrie macht seit Jahrzehnten ihr Geschäft immer nach dem gleichen Muster und alles lief bisher sehr gut. Und dann kamen wir als Münchener Start-up mit dem neuen Ansatz, nicht mehr im Shop, sondern an der Zapfsäule zu zahlen. An dieser Stelle war unsere Idee schon ein bisschen disruptiv. Neu war auch, dass wir den Unternehmen Informationen bieten konnten, die sie nicht hatten: Die Tankstelle hat bisher darauf gewartet, dass ein Auto an die Tankstelle kommt, wenn es getankt werden musste. Über den OBD-Stecker, wissen wir nun, wann der Tank leer ist, und können den Fahrer gezielt über Push-Nachrichten in der App an die teilnehmenden Stationen schicken. Die Betreiber sind also nicht mehr die Fischer, die ein Netz auswerfen und hoffen, dass die Kunden hängen bleiben. Sie werden zum Angler, der gezielt die Kunden über die App anspricht, die tanken müssen. Daneben können sie in der Ryd-App Zusatzservices bewerben wie Aktionen im Shop oder bei der Autowäsche.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie noch in der Anfangsphase?
O. Götz: Wir kannten am Anfang die technischen Hürden nicht, die wir überwinden mussten, damit man mit dem Smartphone an der Zapfsäule bezahlen kann. Da haben wir Komplexität sicherlich etwas unterschätzt. Hier haben wir eng mit Kassensystemanbietern wie etwa Huth zusammengearbeitet, um das hinzubekommen. Inzwischen kooperieren wir mit allen namhaften Kassenherstellern in Deutschland: neben Huth mit Scheidt & Bachmann, Hectronic und neu mit Tokheim.
Sie haben das Henne-Ei-Problem angesprochen. Wie viele Leute sind aktuell bei Ryd angemeldet?
O. Götz: Wir wollen keine konkreten Zahlen ausplaudern. Aber so viel: In den vergangenen zwölf Monaten haben wir eine Explosion der Nutzerzahlen gesehen, auch deshalb, weil wir mit immer mehr Partnern zusammenarbeiten. Daher kann ich so viel verraten, dass wir mit unseren Partnern eine siebenstellige Zahl an Nutzern adressieren können. Das sind Leute, die die App wirklich regelmäßig öffnen, nicht nur fürs Tanken, sondern für alle Zwecke rund ums Auto.
Sind das vor allem Nutzer des Basispakets, also der kostenfreien Ryd-App, oder der Ryd Box mit dem OBD-Stecker?
J. Martens: Indem wir Ryd Pay kostenfrei anbieten, gewinnen wir Nutzer für unseren Service und wollen sie darüber für die kostenpflichtige Ryd Box interessieren. Die Transformation dauert manchmal ein bisschen. Aber die Nutzer haben einen einfachen Einstieg. Sie merken, dass es eine tolle App ist und abonnieren oder kaufen dann die Box beziehungsweise lassen sie sich von einem Versicherer sponsern. Dieses Upselling klappt insgesamt sehr gut, weil wir dem Kunden erklären können, was der Mehrwert der Ryd Box ist. So freuen wir uns inzwischen über eine sechsstellige Zahl an Nutzern, die den OBD- Stecker haben.
O. Götz: Der eine besorgt sich die Box wegen des Fahrtenbuchs, der andere wegen des Trackings, der dritte wegen der Fehlerauslese. Aber mit dem Bezahlen an der Zapfsäule können wir viele für unsere Lösung begeistern. Das ist der eine Killerservice, denn tanken muss jeder.
Gibt es denn einen typischen Ryd-Nutzer, beispielsweise junge, digitale Kunden?
J. Martens: Das war am Anfang unsere These. Aber die Realität ist komplett anders. Unsere Nutzer sind auf alle Altersgruppen verteilt und wir sehen keine Unterschiede beim Geschlecht. Und wir werden nicht häufiger in der Stadt als auf dem Land genutzt. Das bestärkt uns darin, dass Ryd ein massentauglicher Service ist.
Ist eine Ausweitung auf Flottenkunden geplant?
O. Götz: Ja, ab sofort haben wir drei Business Units: Neben Ryd Pay und der Ryd Box arbeiten wir an Ryd Fleet, also einem Angebot rund um die Flotte. Wir haben zum Beispiel für das Finanzamt ein finanzkonformes Fahrtenbuch entwickelt, das zertifiziert ist und alle rechtlichen Anforderungen wie beispielsweise die zehnjährige Aufbewahrungspflicht einhält. Das Paket werden wir im Rahmen von Ryd Fleet zu einem anderen Preis anbieten als die Ryd Box, weil es mehr Services enthält. Flottenkunden, die das Fahrtenbuch gar nicht brauchen, können sich aber auch weiterhin einfach nur für die Ryd-Box-Lösung oder sogar für die kostenfreie Variante entscheiden.
J. Martens: Entsprechend dieser neuen Strategie werden wir zudem den Costumer Support in die drei Segmente aufteilen: Für Kunden, die eine Frage zum Bezahlen an der Tankstelle haben, für Kunden, die etwas zu Themen rund um den Stecker wissen wollen, und für die Firmenkunden.
Wenn man es genau nimmt, ist Ryd Pay ja nichts anderes als eine digitale Tankkarte. Schließen Sie deshalb Kooperationen mit anderen Tankkartenanbietern aus?
J. Martens: Nein, wir sind offen für Kooperationen mit Tankkartenanbietern und haben Projekte mit großen Anbietern, denen wir helfen, ihre Tankkarte zu digitalisieren und weitere Mehrwertservices einzubinden. Wir kooperieren aber auch mit einigen Gesellschaften, die ihre eigenen Tankkarten haben. Wir sehen uns nicht als klassischer Wettbewerber, wir sind ein Enabler. Wie stellen eine API (Anm. d. Red.: Programmierschnittstelle) zwischen dem Kunden und unserem Service zur Verfügung, sodass das Bezahlen an der Zapfsäule möglich ist. Das haben wir beispielsweise bei der Bertha-App von Mercedes-Benz gemacht. Alle anderen Module in einer App wie ein Stationsfinder kommen vom Tankstellenunternehmen selbst. Wir bauen keine kompletten Apps, dafür gibt es genug Agenturen. Wir konzentrieren uns auf das, was wir am besten können.
Bei wie vielen Tankstellen-Anbietern funktioniert Ryd aktuell?
J. Martens: Die Zahl wachst ständig. Aktuell funktioniert Ryd an etwa 500 Stationen von mehr als zehn Gesellschaften. Aber es sind schon einige Verträge für noch mehr Standorte unterschrieben, bei denen der Roll-out ansteht.
O. Götz: Die Zahl der Tankstellen wird ebenso wie die Zahl der Nutzer exponentiell steigen. Wir gehen davon aus, dass wir in Deutschland bis Ende des Jahres bei 1.000 und in Europa bei 9.000 Stationen sind. Uns ist dabei aber nicht wichtig, alle Tankstellen mit Ryd zu vernetzen. Wenn man in Deutschland an etwa 4.000 Tankstellen mit Ryd zahlen kann, sprechen wir von einer guten Marktabdeckung für unsere Nutzer.
J. Martens: Es ist wenig hilfreich in der Kommunikation mit unseren Partnern, wenn wir sagen, dass jede Tankstelle mit unserem System arbeiten kann. Deswegen sind die, die jetzt mit uns im Boot sind, im Vorteil, denn aufgrund der Exklusivität entscheiden sich die Kunden für ihre Station und nicht für den Wettbewerb, an dem Ryd Pay nicht funktioniert. Dann ändern wir nicht einfach nur bei den Bestandskunden das bestehende Zahlungsmittel, sondern bringen unseren Partnern neue Kunden.
Also liegt der Fokus auf der Internationalisierung?
O. Götz: Mit dem Einstieg von Daimler und Mastercard als Investoren mit einem Millionenbetrag im zweistelligen Bereich ist Ryd nicht mehr nur eine deutsche Lösung, sondern eine europäische. Das sind Weltkonzerne, die nicht nur ein bisschen Deutschland, ein bisschen Österreich und ein bisschen Schweiz machen wollen. Neben der DACH-Region wollen wir deshalb in diesem Jahr noch nach Belgien und die Niederlande, aber auch in Spanien und Portugal starten. Die Partnerlandschaft in diesen Ländern passt sehr gut zu unserer Lösung, weil die Nutzer digitaler denken als in Deutschland.
Bedeutet die Kooperation mit den beiden Partnern, dass sie nicht mit anderen Kreditkartenanbietern oder Autoherstellern zusammenarbeiten dürfen?
J. Martens: Nein, als wir die Zusammenarbeit mit Mastercard angekündigt haben, haben wir ja parallel die Kooperation mit Paypal verkündet. Wir dürfen also weiterhin mit jedem Bezahlmedium und Hersteller zusammenarbeiten und werden das tun, weil wir uns als neutrale Plattform verstehen.
O. Götz: Und diese Markenunabhängigkeit gilt eben auch für die Partnerschaften mit Tankstellenunternehmen. Keiner will auf seinem Handy 20 Apps von Mineralölgesellschaften installieren. Da hat es inzwischen ein Umdenken in der Branche gegeben, die erkannt hat, dass eine Plattformlösung mehr Sinn ergibt als zahlreiche Einzellösungen.
Kommen wir nochmal kurz zurück an die Tankstelle. Befürchten Sie, dass die Umsätze im Shop sinken, wenn an der Zapfsäule gezahlt wird?
J. Martens: Nein. Wir sehen an den Zahlen, dass manche Kunden mit unserem Service sogar länger an der Tankstelle verweilen, obwohl man das Gegenteil erwarten würde. Aber die Kunden tanken, bezahlen an der Säule und fahren dann auf den Parkplatz, um sich in Ruhe etwas im Shop zu kaufen. Früher hat der Kunde vielleicht nur schnell einen Coffee-to-go mitgenommen, wenn er an der Kasse gezahlt hat, weil er wusste, dass hinter ihm schon der nächste hupt. Jetzt kann er in Ruhe einen Kaffee und ein Croissant oder Brötchen bestellen und vielleicht sogar in der Tankstelle essen. Und das macht den Betreiber glücklich, weil seine Mitarbeiter genug Zeit haben für ein Upselling.
Und womit verdient Thinxnet Geld bei diesem Service?
J. Martens: Wir sind zum einen Zahlungsmittel und stellen sicher, dass die Tankstelle ihr Geld bekommt, auch wenn mal eine Lastschrift platzt. Dafür verlangen wir wie jeder Zahlungsdienstleister eine fixe Gebühr pro Transaktion. Außerdem ist Ryd ja eine Art Marketinginstrument und bringt unseren Partnern neue Kunden an die Tankstelle, sodass wir zudem eine nach Menge gestaffelte Gebühr auf die verkauften Liter nehmen.
O. Götz: Für die technische Implementierung entstehen jedoch keine Kosten für den Tankstellenunternehmer: Wir machen die Tankstelle Ryd Ready, wenn die Stationen ein aktuelles Kassensystem unsere Partner hat, und die Kosten übernehmen wir. Wir verdienen also erst ab der ersten Tankfüllung.
Herr Martens, Herr Götz, vielen Dank für das Gespräch