Ach wie schön: Die Strecke an Stuttgart vorbei ist ausnahmsweise mal staufrei - Corona macht's möglich. Wir biegen ab auf die A81 gen Süden. Von EFA-S auf der Schwäbischen Alb bis zu unserem nächsten "Sicherheits-Ladestopp" am 50-kW-CCS-Lader in Waldshut-Tiengen sollten es 206 Kilometer sein. 233 wurden es. Warum? Wahrscheinlich, weil das ID.3-Navi Ladepunkte und Sonderziele eher weniger bis gar nicht kennt, wir auf GooglMaps ausgewichen sind, die Smartphones sich jedoch nach wie vor nicht mittels Apple Carplay und Andorid Auto mit dem VW verbinden. So verpasst man schon mal eine Ausfahrt. Im Mai soll angeblich das ID.3-Software-Update kommen - wir warten mal ab.
Gut also, wenn noch etwas Reserve im Akku ist, denn Unvorhergesehenes kommt ab und an doch. Das Erfreuliche: Nach 233 Kilometern "bergab" haben wir beim Ladestopp noch immer 103 Kilometer Restreichweite. Verbrauch: etwa 19 kWh. Erstaunlich gut für die Langstrecke. Insgesamt sind wir am ersten Tag ab München bis dato 416 Kilometer gefahren. Den Ladestopp versüßen wir uns mit einer Pizza-to-go vom Waldshut-Tiengener Industriegebiets-"Italiener". Lecker. Zumindest reden wir uns das ein. 33 Minuten hängt der ID.3 am Strom und saugt sich 27,33 kWh zu je 47,77 Eurocent rein. Macht 13,05 Euro. Voll ist er nicht. Doch unser nächster Besuch lautet Energiedienst GmbH in Rheinfelden. Strom sollte dort im Überfluss vorhanden sein - erzeugt aus Wasserenergie, komplett grün also. 42 Kilometer bis dorthin, wir liegen perfekt in der Zeit. Los geht's.
Öko, seit 125 Jahren
Rheinfelden gibt es zwei Mal. Einerseits nördlich des Rheins in Deutschland und andererseits südlich, in der Schweiz. Die Mitte des 1.234 Kilometer langen Flusses trennt hier die beiden Länder und die eine Stadt - seit Corona mehr denn je. Wir bleiben in Deutschland, denn auf der Seite befindet sich die Energiedienst GmbH, Teil der Energiedienst Holding AG mit Sitz im schweizerischen Laufenburg. 1894 begann die Geschichte des Energielieferanten, der ein Jahr später in Rheinfelden mit dem Bau des damals größten Flusskraftwerks in Europa starteten. 100 Jahre später wurde daraus einer der ersten echten Ökostromanbieter Deutschlands. Alleine das Wasserkraftwerk Rheinfelden produziert jedes Jahr rund 600 Millionen kWh Strom. Ein Traum für ID.3-Fahrer. Denn damit wären rund drei Milliarden emissionsfreie Kilometer im VW möglich. Tatsächlich liefert das bereits heute klimaneutral agierende Unternehmen Ökostrom für etwa 270.000 Kunden - sicherlich sind auch ein paar Elektroautos dabei. Dafür, dass es zusehends mehr werden, sorgt aber auch der Energiedienst selbst. My-e-car nennt sich die Carsharing-Sparte der Südbadener, der rund 100 Renault Zoe in 19 Städten im Umkreis (bis Freiburg) angehören und an 135 eigenen AC-Ladesäulen mit grünem Strom versorgt. Der Strom wird aber nicht nur aus Wasserkraft gewonnen. Die sonnige Region bietet sich auch für Photovoltaikanlagen an, die Energiedienst bereits auf eigenen Carports platziert hat, um einerseits die Mitarbeiterfahrzeuge mit Strom zu versorgen und andererseits einen Teil der mye-car-Flotte, die sich am Standort Rheinfelden befindet. Doch damit ist der Energiedienst noch nicht am Ende seines Lateins, wie uns Werner Zehetner und Nils Hoesch erzählen. Die Produktion von grünem Wasserstoff ist ein weiteres Feld, auf dem sie sich egangieren. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir müssen nämlich weiter und freuen uns, dass wir den ID.3 bei den Stromproduzenten mittels hauseigenem High-Power-CCS-Charger innerhalb des einstündigen Termins von 65 Prozent auf 100 bekommen haben. 21,28 kWh haben wir somit kosten- und emissionsfrei erhalten. Danke dafür und dass wir uns somit ruhigen Gewissens auf die letzten 360 Kilometer des Tages begeben können. Einen Ladestopp brauchen wir dennoch und irgendwann kommt auch der Hunger. Um genau zu sein: nach 250 Kilometern. Dem Tempo angemessen, pausieren und laden wir an der Raststätte Hockenheimring - das könnte ja mal wie beim Formel-1-Tankstopp richtig schnell gehen. 37 Minuten sind zwar nicht Formel-1- verdächtig, doch immerhin bekommen wir 38,4 kWh zum EnBW-Tarif rein, das reicht sogar bei ICE-Tempo (damit ist die Bahn gemeint oder aber das Fahrzeug mit Verbrennermotor ICE = Internal Combustion Engine) bis Frankfurt. Um 18:40 machen wir uns auf die letzten 111 Kilometer zum heutigen Nachtquartier am Main.
Willkommen Mainhattan
Unser Hotel befindet sich auf der Hanauer Landstraße, einen Katzensprung vom Polestar-Hub entfernt, wo wir morgen Rachid Ait Bouhou treffen werden. Zu dumm, dass wir aufgrund der Erfahrungen im Hotel nicht nach einer Ladesäule fragten, sondern uns zuvor bereits die der BMW-Niederlassung ausgesucht haben. Wirklich willkommen sind wir dort aber nicht, wie auf dem Foto unten zu erahnen ist. Egal. Wir lassen knapp 30 kWh zu 47 Eurocent pro Kilowattstunde via Plugsurfing reinfließen, ärgern uns, dass 100 Kilometer knapp elf Euro kosten und "freuen" uns, dass unsere Hotelladesäule mit einem Pauschalladepreis (so viel zur Eichrechtskonformität) von sieben Euro in Laufweite gewartet hätte. Gute Nacht.
Der Morgen grüßt uns grau und nass. Wir rollen fast ohne Energieverlust 400 Meter in Richtung Schwedlersee - ein Frankfurter Party-Magnet Anfang der 2000er-Jahre. Jetzt, im Corona-Winter, geht da nichts. Dafür aber genau davor. Die East-Garage zieht Autofans aufgrund der Retro-Fake-Tankstelle an und auch Polestar hat sich hier niedergelassen - oder besser die Hessengarage, die den Hub betreibt. Das Konzept riecht ein bisschen nach Tesla. Karger Industrial Style, wenig drin und dran, auch wenn die Fahrzeuge hochpreisig sind. Traditionelle Automobilkunden werden sich über die Aufmachung wundern, progressive Polestar-Interessierte nicht. Da passt das. Finden wir auch. Es kommt letztendlich auf den Service an - unter anderem.
Rachid Ait Bouhou ist bereits vor Ort und freut sich, uns zu treffen - und andersherum. Ait Bouhou ist der E-Mobilität seit mehr als zehn Jahren verfallen. Den Anfang machte er mit Citroën im Jahr 2010. Damals war der elektrische C-Zero neu, unbekannt und irgendwie seiner Zeit voraus - wie seine eineiigen Geschwister Mitsubishi i-Miev und Peugeot iOn. Jeder für sich war ein nur 1,48 Meter schmaler und 3,40 Meter kurzer E-City-Flitzer mit einer Batteriekapazität von 16 kWh. Also in etwa dem, was heute einige Plug-in-Hybride an Bord haben. Mit dem Unterschied, dass der in Japan entwickelte Drilling bei standesgemäßer Bewegung durchaus 130 Kilometer schaffen konnte und wenig Platz verbrauchte.
Mit seiner Firma e8energy ist Rachid Ait Bouhou bereits Treiber der E-Mobilität, als es gerade mal eine Handvoll Elektroautos gibt. Mit Nissan kümmerte er sich vor zehn Jahren um den Aufbau der Händler-Ladeinfrastruktur und ebnete den Weg für den Nissan Leaf und den e-NV200. In Hamburg ist er Partner für diverse "Stromprojekte" und nach wie vor Mitglied im Umweltausschuss der Handelskammer der Hansestadt und bis heute Berater einiger Leasinganbieter und weiterer Automotive-Unternehmen. Die Stunde vor Ort reicht selbstverständlich nicht aus, um in Details zu gehen. Denn die Themen sind aufgrund seiner Wissensfülle schier endlos. Schade, doch wir müssen weiter. Bochum wartet auf uns. Kurz zuvor müssen wir noch in die Hölle. Denn dort hat vor einigen Tagen Arals erste Tankstelle Deutschlands eröffnet, die neben flüssigem Kraftstoff auch Strom unter demselben Dach anbietet. Wenn das mal nicht heiß ist. Wo sich genau die Hölle befindet, interessiert sicherlich einige. Teil 3 der Deutschlandtour kommt in Autoflotte 4. Wir brennen schon mal los und checken die Temperatur.
Serie: Mit dem ID.3 zu den E-Pionieren
Teil 1: München - StuttgartTeil 2: Stuttgart - FrankfurtTeil 3: Frankfurt - BochumTeil 4: Bochum - EisenachTeil 5: Eisenach - München
Nils Hoesch, Teamleiter E-Mobility bei Energiedienst
Was bedeutet Elektromobilität für Sie?
Da gibt es für mich zwei Vorzüge. Einerseits ist es einfach toll, mit einem elektrisch betriebenen Kraftfahrzeug unterwegs zu sein. Ich schätze Fahrspaß und Komfort genauso wie Laufruhe und Beschleunigung. Andererseits ist es die gute Sache, sich mit regional erzeugtem Ökostrom aus Wasserkraft von Energiedienst fortzubewegen.
Ist Elektromobilität aus Ihrer Sicht die beste Antriebsform?
Sofern die Versorgung mit regenerativer Energie gesichert ist, halte ich Elektromobilität im Pkw-Bereich für ziemlich optimal. Im Transportsektor ist das schon schwieriger, auch wenn es dort gute Ansätze gibt, zum Beispiel mit E-Bussen im Linienverkehr. Beim Transport von Menschen und Gütern sehe ich aktuell den Antrieb mit grünem Wasserstoff im Vorteil.
Was könnte aus Ihrer Sicht bei der E-Mobilität besser gemacht werden?
In der Bevölkerung gibt es immer noch viele emotionale Ängste: Wie weit komme ich wirklich mit dem Elektroauto, womit fahre ich in den Urlaub, wo lade ich den Pkw? Diese Fragen müssen insbesondere im ländlichen Umfeld beantwortet werden, um ein großes Umdenken in der Mobilität zu erreichen. Dafür ist es außerdem immens wichtig, über den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland ein hohes Maß an Sicherheit zu vermitteln. Auch das Laden zu Hause spielt eine wichtige Rolle: Für Eigenbesitzer ist das in der Regel kein Problem, aber in Wohnquartieren sieht das schon wieder ganz anders aus. Letztlich sollten auch auf Fragen zu Regulierung und dem Roaming-Tarifdschungel schnell geklärt werden.
Welches Elektrofahrzeug ist Ihr Favorit?
Als "Nutzfahrzeug" im städtischen, aber auch ländlichen Bereich ist das ganz klar der Renault Zoe. Darüber hinaus freue ich mich bereits auf den Skoda Enyaq mit Anhängerkupplung, der Platz für die ganze Familie bietet.
Fahren wir 2030 alle elektrisch?
Alle ganz sicher nicht, aber wir werden einen sehr hohen Anteil an elektrisch betriebenen Autos haben. Ein Drittel würde ich mir wünschen - und darüber hinaus auch andere Antriebe auf der Basis von Ökostrom wie grünem Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe.
- Ausgabe 03/2021 Seite 57 (410.2 KB, PDF)