Mehr Kontrolle im Straßenverkehr
Der diesjährige Verkehrsgerichtstag in Goslar hat sich vor allem mit zwei Themen befasst, die für alle Autofahrer von besonderer Bedeutung sind: dem automatisierten Geschwindigkeitserfassungs-system „Section-control“ und der Alkoholkontrolle.
Wie in jedem Jahr haben sich Ende Januar wieder Verkehrsjuristen und Verkehrsexperten in Goslar zum Verkehrsgerichtstag getroffen und aktuelle Themen aus dem Verkehrsrecht kontrovers diskutiert. Im Vordergrund des medialen Interesses stand zweifelsfrei das Thema „Section-control“.
Hierbei handelt es sich um ein Geschwindigkeitsüberwachungssystem, bei dem Fahrzeuge, die durch eine Messstelle fahren, automatisch eine Digitalkamera auslösen und ein digitales Standbild des Fahrzeugs erzeugen. Dieses wird gemeinsam mit den von Laserscannern erhobenen Daten nebst genauer Einfahrtzeit an einen Einfahrtsrechner übermittelt, der die Feststellung von Fahrzeugart und Kennzeichen übernimmt. Der gleiche Vorgang wiederholt sich am Ende der Messstrecke mittels eines Auswertungsrechners, der die Daten auf übereinstimmende Kennzeichen abgleicht. Aus der für jedes Fahrzeug dann einzeln festgestellten Differenz zwischen Ein- und Ausfahrtzeit werden die jeweiligen Durchfahrtszeiten und so gegebenenfalls die Überschreitung einer zuvor festgelegten Durchschnittsgeschwindigkeit errechnet.
Wird keine Geschwindigkeitsübertretung festgestellt, werden beide Datensätze binnen weniger Minuten vernichtet. Anderenfalls werden die Datensätze an die zuständige Verkehrsbehörde weitergeleitet.
Dieses Messverfahren wird derzeit nur im Ausland praktiziert, zum Beispiel in Österreich auf vier Streckenabschnitten, und soll auch in Deutschland nach Aussage des Bundesverkehrsministeriums nur an zuvor ausgewählten Unfallschwerpunkten zur Anwendung kommen.
Mit Section-control werden entgegen der bisherigen Praxis bei einzelnen Radargeräten nicht nur von den Fahrzeugen Fotos aufgenommen, deren Lenker bereits im Verdacht einer Ordnungswidrigkeit stehen, sondern von allen Fahrzeugen und damit auch von sich völlig vorschriftsmäßig verhaltenden Fahrzeugführern, die den ersten Messpunkt passieren.
Jeder Fahrer unter Generalverdacht
Wird mithilfe von Überwachungskameras errechnet, wie lange ein Fahrzeug für das Durchfahren einer bestimmten Strecke benötigt, um auf diese Weise festzustellen, ob der Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat, so wird auch bei diesem Verfahren – ähnlich wie beim Videoscanning – jeder Fahrer zunächst einmal unter Generalverdacht gestellt. Dieses Verfahren sieht sich im Ergebnis ähnlichen datenschutzrechtlichen Bedenken wie das Videoscanning ausgesetzt. Das elektronische Erfassen des Fahrzeugs am ersten Messpunkt und damit die Möglichkeit der Halteridentifizierung ist verfahrenstechnisch bereits der Beginn einer behördlichen Ermittlungstätigkeit. Damit wird prozessrechtlich der Verfahrensbeginn bereits vor den Augenblick des Tatverdachts vorverlagert, was nach bestehender Rechtslage unzulässig ist.
Sollte sich der Gesetzgeber zur Einführung von Section-control entscheiden, so wird er in der erforderlichen gesetzlichen Grundlage nicht nur detailliert den Zweck der Aufzeichnung festlegen müssen. Er wird insbesondere auch sicherzustellen haben, dass die erfassten Daten derjenigen Fahrzeuge sofort gelöscht werden, deren Fahrer sich korrekt verhalten haben. Ebenso wenig wie beim Videoscanning kann es bei Section-control angehen, dass wahre „Datenfriedhöfe“ angelegt werden, von denen kein Bürger oder Staatsbediensteter weiß, wer diese in welcher Absicht, zu welchem Zweck und zu welcher Zeit aufsucht.
Der vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Entscheidung zum Videoscanning hervorgehobene Grundsatz der Datenaskese muss auch bei der beabsichtigten Section-control Anwendung finden.
Befürworter in der Minderheit
Die Befürworter des Systems konnten sich auf dem Verkehrsgerichtstag nicht durchsetzen, sodass die Befürwortung einer Einführung auch in Deutschland keine Mehrheit fand. Zwar legten die Befürworter dar, dass Section-control nur an „ausgewählten Unfallschwerpunkten“ nach vorheriger Ankündigung zur Anwendung kommen solle und dass in einem eigens zu schaffenden Gesetz klare Voraussetzungen für die Anwendung sichergestellt werden müssten.
Der ADAC und vor allem die Anwaltschaft setzten sich jedoch mit ihren Bedenken durch, dass nicht absehbar sei, ob es nicht mit der Zeit doch zu einem „flächendeckenden“ und „verdeckten“ Einsatz eines neuen Überwachungssystems unter Aufgabe datenschutzrechtlicher und damit verfassungsrechtlicher Grundsätze kommen werde. Allein die Diskussion um das Videoscanning mit letztlicher Ablehnung durch das Bundesverfassungsgericht zeigt deutlich, welche Risiken einmal geschaffene Überwachungssysteme potenziell für die Grundrechte der Bürger bedeuten. Section-control ist auch überdies selbst für den Einsatz in Tunneln nicht erforderlich. Mit Schleifendetektoren und blendfreiem Infrarotblitz (sogenannter Schwarzblitz) ist – wie die Praxis zeigt – eine effiziente und sichere Überwachungstechnik für den Einsatz in Tunneln gegeben. Zudem sind diese Messmethoden in Bezug auf den Datenschutz unkritisch. Für die Einführung von Section-control besteht kein Handlungsbedarf.
Statt darüber nachzudenken, sollte man mit vertretbarem Einsatz und Personal sowie vorhandenem Material sicherstellen, dass bereits bestehende Messanlagen effizient arbeiten. Es kann nicht richtig sein, dass nach immer wiederkehrenden Darstellungen in den Medien bestehende Messanlagen nur an zwei von sieben Messtagen „scharf“ geschaltet sind, weil das Personal fehlt, um neue Filme einzulegen und die erfolgten Messungen auszuwerten. Ein neueres und vermutlich noch teureres Section-control wird kaum mehr Verkehrssicherheit bewirken, wenn bei bestehenden Anlagen das Geld zur Auswertung fehlt.
Die Teilnehmer des Verkehrsgerichtstages haben sich daher mit knapper Mehrheit zunächst für die Durchführung eines Versuchs in einem Bundesland entschlossen. Zu diesem Zweck wurde der Gesetzgeber aufgefordert, die hierzu erforderliche Rechtsgrundlage für einen Versuch zu schaffen.
Alkoholkontrolle ohne Blutentnahme?
Ein weiteres Thema war die Frage, ob man zukünftig bei Alkoholkontrollen im Straßenverkehr auf die Entnahme einer Blutprobe zur Feststellung der absoluten Fahruntauglichkeit verzichten solle.
Schon 2001 hat der BGH festgestellt, dass die Messung der Atemalkoholkonzentration ausreicht, um beispielsweise bei einer Alkoholkontrolle festzustellen, ob ein Fahrer zu tief ins Glas geschaut hat. Für den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit reicht dieses Verfahren nach Ansicht des Gerichts aus.
Anders liegt der Fall jedoch, wenn es darum geht, inwieweit Atemalkoholmessungen auch für die Feststellung der absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 Promille) und der strafrechtlichen Sanktionierung herangezogen werden können. Befürwortet wird dies bislang von der Konferenz der Innenminister, abgelehnt dagegen von ADAC und der Justizministerkonferenz. Letztere fordern für diesen Fall weiterhin, an der Blutprobe festzuhalten. Als problematisch wird vor allem angesehen, dass es bisher wissenschaftlich umstritten ist, ob die Atemmessung als alleiniges Beweismittel zur sicheren Feststellung der Fahruntüchtigkeit im Sinne des Strafrechts ausreicht.
Zudem erscheint es problematisch, im Strafverfahren allein eine Atemmessung ausreichen zu lassen, weil dann die Polizei als Ermittlungsorgan zugleich als Zeuge gegen den Angeklagten die alleinige „Herrin“ über das einzige Beweismittel – eben die Atemmessung – ist. Die Polizei steht auf der Seite des Anklägers und hat das Beweismittel in der Hand; rechtsstaatlich zumindest bedenklich. Insoweit wäre es wünschenswert, es bliebe zumindest für das Strafverfahren bei der bisherigen Praxis, dass unabhängige gerichtsmedizinische Institute das Beweismittel „Blutprobe“ untersuchen. Daher haben die Teilnehmer des Verkehrsgerichtstages auch entschieden, dass die Atemalkoholanalyse die Blutalkoholanalyse bei der strafrechtlichen Ahndung von Alkoholfahrten nicht ersetzen kann.
Dr. Michael Ludovisy
Der Verkehrsgerichtstag in Kürze
Der 47. Verkehrsgerichtstag in Goslar hat sich vor allem mit zwei Themen befasst, die für alle Autofahrer von besonderer Bedeutung sind. Mit der „Section-control“, einem automatisierten Geschwindigkeitserfassungssystem, sollen Fahrzeugdaten auf bestimmten Strecken erfasst werden, um festzustellen, ob die angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten wurde. Diese Daten sollen unabhängig davon erfasst werden, ob der Autofahrer tatsächlich eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Der Verkehrsgerichtstag sieht hier datenschutzrechtliche Bedenken und spricht sich zunächst für einen gesetzlich abgesicherten Pilotversuch aus. Des Weiteren wurde diskutiert, ob zur Feststellung der absoluten Fahruntüchtigkeit künftig eine Atemmessung ausreichen soll. Der Verkehrsgerichtstag vertritt die Auffassung, dass bei strafrechtlicher Ahndung einer Alkoholfahrt auch künftig eine Blutalkoholanalyse erforderlich ist.
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Lasermessung ohne Lichtbild-nachweis nicht verwertbar
Bei fehlender Fotodokumentation bei der Lasermessung kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass die Messbeamten bei der Anvisierung des jeweiligen Fahrzeugs Fehler gemacht haben, die zu einer fehlerhaften Messung geführt haben können. Das von der Polizei vorgelegte Beweisergebnis ist nicht ausreichend, um die angezeigte Verkehrsordnungswidrigkeit nachweisen zu können. Der Zeuge konnte keine Video- oder Fotoaufnahme von der konkreten Messsituation vorlegen. Die fehlende Fotodokumentation beim Laser-Messgerät ist eine erhebliche Schwachstelle. Ihretwegen mussten Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben werden, die in aller Regel keine verwertbaren Ergebnisse brachten, eben weil die konkrete Verkehrssituation nicht konstruiert werden konnte. Sämtliche Gutachten beruhten daher eher auf theoreti-schen Überlegungen.
AG Herford vom 12.09.2008, 11 OWI-53 JS 2782/07-980/07; DAR 2009, 97
Toleranzabzug beim Police-Pilot-System
Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Police-Pilot-System in der Betriebsart „MAN“ ist bei Geschwindigkeitswerten über 100 km/h ein Toleranzabzug von fünf Prozent im Regelfall erforderlich und ausreichend. Will das Gericht von dieser Höhe des Toleranzabzugs zugunsten des Betroffenen abweichen, muss es dies ausreichend begründen. Dem Urteil muss ausreichend zu entnehmen sein, dass das Amtsgericht die gefahrene Geschwindigkeit rechtsfehlerfrei ermittelt hat. In den Entscheidungsgründen führt das Gericht weiter aus: „Zwar handelt es sich bei der vorliegend angewandten Geschwindigkeitsermittlung mittels der Video-Verkehrsüberwachungsanlage ProVida um ein allgemein anerkanntes standardisiertes Messverfahren, bei dem es i. d. R. genügt, wenn sich die Verurteilung auf die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit stützt, wobei allerdings diese Angaben als Grundlage einer ausreichenden und nachvollziehbaren Beweiswürdigung erforderlich sind (…). Wird die Höhe des Toleranzabzuges nicht angegeben, so kann das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen, ob rechtsfehlerhaft zugunsten des Betroffenen ein zu hoher Toleranzabzug berücksichtigt worden ist (vgl. Senat VRS 101, 60). Dementsprechend ist es jedoch auch rechtsfehlerhaft, wenn das Abweichen von der Höhe des regelmäßig vorzunehmenden Toleranzabzugs zugunsten des Betroffenen nicht oder nicht ausreichend begründet wird.“
KG Berlin vom 26.05.2008,
2 SS 114/08 VD 2009, 18
Keine Haftung wegen herabfallenden Eicheln auf einem Parkplatz
Der Eigentümer des Parkplatzes eines Gebäudekomplexes kann nicht dafür haftbar gemacht werden, dass Eicheln von Bäumen auf parkende Fahrzeuge fallen und diese eventuell beschädigen. Dem Kläger steht nach Ansicht der Richter kein Anspruch aus Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gem. § 823 BGB zu. Der Beklagte hatte zwar auch dafür Sorge zu tragen, dass durch Gefahren, die von den Eichen ausgehen konnten, niemand geschädigt würde. Diese Pflicht besteht aber nur insoweit, als diese dem Verkehrssicherungspflichtigen zumutbar ist. Dies bedeutet, dass dieser dafür Sorge zu tragen hat, dass keine morschen Äste herabfallen, die Menschen verletzen oder Sachen beschädigen könnten. Gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln und Unterlassen entstehen, sondern auf Gegebenheiten der Natur beruhen, müssen als unvermeidbar und daher als eigenes Risiko hingenommen werden.
AG Gütersloh vom 23.01.2008, Aktenzeichen 10 C 1549/07; MDR 2008 1102
Anspruch auf Stundensätze einer markengebunden Fachwerkstatt
Der bei einem Verkehrsunfall Geschädigte muss sich auch bei abstrakter Abrechnung nicht auf die Stundensätze einer günstigeren, nicht markengebundenen Werkstatt verweisen lassen. Nach dem Grundsatz der subjektiven Schadenbetrachtung sei bei der Schadensabrechnung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen, insbesondere auf seine individuellen Einfluss- und Erkenntnismöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten. Auch muss das Grundanliegen des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB berücksichtigt werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll. Maßgebend ist im Ergebnis, was der Geschädigte zur Schadenbeseitigung für erforderlich halten durfte. Dies sind auch bei einem älteren Fahrzeug (im verhandelten Fall ein sieben Jahre alter VW T4 mit 186.000 km), für das das Sachverständigengutachten mit rund 16.000 Euro noch einen erheblichen Marktwert festgestellt hat, die Reparaturkosten in einer markengebundenen Fachwerkstatt.
LG Hamburg vom 19.07.2008, 306 S 11/08; ZFS 2008; 684
Klage gegen gegnerische Versicherung im eigenen Land
Bei einem Verkehrsunfall, den der Kunde einer Kfz-Haftpflichtversicherung aus einem EU-Mitgliedstaat verursacht hat, kann der Geschädigte an seinem Sitz Klage gegen die Versicherung erheben. Dies gilt auch für juristische Personen, denn auch sie gelten gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung als unterlegene Partei. Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle ist als schwächere Partei im Verhältnis zu einem Versicherungsunternehmen auch eine geschädigte juristische Person anzusehen.
OLG Celle vom 27.02.2008, 14 U 211/06; VersR 2008, 61
Keine Verpflichtung zum Erwerb eines regelbesteuerten Fahrzeugs
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein vorsteuerabzugsberechtigter Geschädigter bei Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs nicht verpflichtet ist, ein regelbesteuertes Fahrzeug zu erwerben. Im entschiedenen Fall haftete die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Schädigers in vollem Umfang aus einem Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug der Klägerin einen Totalschaden erlitten hat. Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin erwarb ein gleichartiges, differenzbesteuertes Ersatzfahrzeug. Das beschädigte Fahrzeug veräußerte sie an ein Autohaus. Die Klägerin ist für das angeschaffte differenzbesteuerte Fahrzeug nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Zudem werden auf dem maßgeblichen Markt vergleichbare Fahrzeuge nur zu 30 Prozent regelbesteuert angeboten. Unter diesen Umständen ist es nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs einem Geschädigten nicht zumutbar, sich ausschließlich nach einem regelbesteuerten Fahrzeug umzusehen und ein solches zu erwerben, um zur Entlastung des Schädigers die Vorsteuerabzugsberechtigung geltend machen zu können.
BGH vom 25.11.2008,
VI ZR 245/07 DB 2009, Heft 3
- Ausgabe 3/2009 Seite 62 (354.8 KB, PDF)