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Mehr Freiheit: Mercedes startet Verkauf seines Systems zum automatisierten Fahren

06.05.2022 09:12 Uhr | Lesezeit: 5 min
Automatisiertes Fahren Daimler
Mercedes bekam in Deutschland als erster Autohersteller eine Zulassung für den Betrieb eines Systems, bei dem der Fahrer in bestimmten Situationen die Kontrolle abgeben und zum Beispiel fernsehen darf.
© Foto: Daimler

Fahrassistenz-Systeme haben viele Autos. Doch verantwortlich dabei ist am Ende immer noch der Mensch. Mercedes bringt nun als erster Hersteller in Deutschland Technik auf den Markt, die komplett die Kontrolle übernehmen darf - aber nur in wenigen Fahrsituationen.

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Im Stau auf deutschen Autobahnen könnte man bald erstmals ein Auto neben sich haben, bei dem das Fahrzeug und nicht der Mensch am Steuer die Verantwortung trägt. Mercedes startet als erster Hersteller den Verkauf eines Systems zum hochautomatisierten Fahren, das komplett die Kontrolle übernehmen darf.

Für die S-Klasse kostet die Technik 5.000 Euro plus Mehrwertsteuer. Beim Elektromodell EQS werden gut 7.400 Euro vor Mehrwertsteuer fällig, weil noch ein Fahrassistenzpaket dazugebucht werden muss. Während die Bestellungen am 17. Mai anlaufen, dürften erste Fahrzeuge mit dem System laut Mercedes im Sommer ausgeliefert werden.

Bisher sind in Autos Fahrassistenzsysteme üblich, die dem Fahrer zwar verschiedene Aufgaben wie das Halten der Spur oder des Abstands abnehmen können. Der Mensch bleibt dabei aber in der Verantwortung und muss die Hände am Steuer lassen. Das gilt zum Beispiel für Teslas Assistenzsystem "Autopilot" - selbst wenn die Software sich wie aktuell in den USA am Stadtverkehr versucht.

Zulassung als erster Autohersteller in Deutschland

Mercedes bekam in Deutschland dagegen als erster Autohersteller die Zulassung für den Betrieb eines Systems, bei dem der Fahrer in bestimmten Situationen offiziell die Kontrolle an das Fahrzeug abgeben und zum Beispiel fernsehen darf. Selbst ein Handy kann man dann im Fahrersitz ganz legal nutzen - auch wenn Mercedes-Manager darauf verweisen, dass es keine gute Idee sei, ein Gerät zwischen den Airbag und sein Gesicht zu bringen. Der Fahrer muss zugleich jederzeit bereit sein, wieder die Steuerung zu übernehmen.

Der Einsatz des Systems mit dem Namen "Drive Pilot" ist auch durch rechtliche Vorgaben auf sehr konkrete Situationen beschränkt. So funktioniert es nur auf Autobahnen, bei Geschwindigkeiten bis zu 60 Kilometern pro Stunde und nur im stockenden Verkehr solange der Abstand zum davor fahrenden Fahrzeug nicht zu groß wird. Erkennt das System, dass die Voraussetzungen da sind, lässt es sich vom Fahrer per Knopfdruck am Lenkrad aktivieren.

Das System ist geschult, sich als ein umsichtiger Autofahrer zu verhalten. An Auffahrten lässt es genügend Abstand, damit sich Fahrzeuge von rechts einfädeln können - und ein Sattelschlepper bekommt mehr Platz als ein Auto. Bei niedrigem Tempo hält es sich am Rand der Spur, um wie vorgeschrieben Platz für eine Rettungsgasse zu lassen. Eine Kamera an der Heckscheibe soll das Blaulicht von Rettungsfahrzeugen oder Polizei erkennen.

"Drive Pilot" steuert das Auto

Während "Drive Pilot" das Auto steuert, liegt die Verantwortung bei Mercedes. Wenn das System den Fahrer auffordert, wieder die Kontrolle zu übernehmen, muss er das so schnell wie möglich tun - hat aber bis zu zehn Sekunden Zeit dafür. Lässt der Mensch am Steuer diese Zeit verstreichen, bringt das System den Wagen vorsichtig zum Stehen. Die Übergabe wurde vielfach unter anderem mit Probanden durchgespielt, heißt es bei Mercedes.

Es gibt auch weitere Einschränkungen. In Baustellen dürfte Drive Pilot zwar fahren, Mercedes verzichtet aber angesichts der zusätzlichen Komplexität zunächst darauf. Gemäß den rechtlichen Vorgaben muss ein Auto im automatischen Betrieb in seiner Spur bleiben. Wenn also etwa ein Spurwechsel an einem Autobahnkreuz notwendig wird, muss der Wagen dafür die Kontrolle dem Fahrer übergeben. Der zuständige Mercedes-Vizepräsident Georges Massing geht davon aus, dass der rechtliche Spielraum ausgeweitet wird, wenn sich die Systeme im Alltag bewähren und Vertrauen schaffen: "Da wird aus dem Markt und aus allen Ecken Druck auf das System kommen, so dass man mehr Freiheit kriegt."

Die Fahrzeuge erfassen ihre Umgebung mit einer Kombination aus Kameras, Radarsensoren und einem Laserradar im Kühlergrill. Das hat seinen Preis: Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erwartet, dass es dank Assistenzsystemen und automatisiertem Fahren weniger Unfälle geben wird - und zugleich Reparaturen teurer werden. "Unter dem Strich werden durch die neuen Systeme bis 2040 die Unfallzahlen um 13 bis 19 Prozent, die Entschädigungsleistungen der Kfz-Versicherer nur um rund zwölf Prozent sinken", sagte die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach zur Verkaufsankündigung von Mercedes am Freitag.

Zugleich wird in der Branche an selbstfahrenden Autos gearbeitet, die komplett ohne einen Menschen am Steuer sowie ohne Lenkrad und Pedale auskommen sollen. So sind die Google-Schwesterfirma Waymo und die General-Motors-Tochter Cruise dabei, Robotaxi-Dienste in den USA zu starten. Verglichen damit wirkt das Einsatzszenario von "Drive Pilot" noch sehr eingeschränkt. Massing sieht jedoch "zwei Welten", die sich aufeinanderzubewegen. Die Mercedes-Fahrzeuge mit "Drive Pilot" seien für Privatkunden gedacht, betont er.

Für die Branche sind automatisierte Fahrfunktionen eine willkommene neue Erlösquelle. So schließen Mercedes-Manager nicht aus, größere Verbesserungen des Systems - wie das Fahren durch Autobahn-Baustellen - kostenpflichtig zu machen. Hersteller gehen auch dazu über, die dafür nötigen Fahrcomputer in ihre komplette Modellpalette zu verbauen. Mit dem Zugang dazu lässt sich dann zusätzlich Geld verdienen. "Auch bei einem Einstiegsmodell kann der Besitzer mit der Zeit neue Funktionen aktivieren, und das verändert das Geschäft des Herstellers", sagt etwa Danny Shapiro, Auto-Chef des Chipkonzerns Nvidia, dessen Computer in alle künftigen Mercedes-Autos kommen werden.

 

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