Von Michael Blumenstein und Rocco Swantusch
Dass die nachhaltige Mobilität Marc-Oliver Prinzing am Herzen liegt, weiß jeder, der den Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands Fuhrparkmanagement (BVF) einmal zum Thema Erdgas-Fahrzeuge in der Flotte befragt hat. Wenn Prinzing etwas für eine gute Sache hält, dann kämpft er auch dafür. Im Fall von CNG wohl leider vergebens. Dennoch erklärt er uns im Gespräch ein neues Projekt des BVF, das ihm ebenso eine Herzensangelegenheit ist.
Es geht um die nachhaltige Unternehmensmobilität von europäischen Flotten. Zusammen mit dem spanischen Kollegen im europäischen Zusammenschluss der Fuhrparkverbände dem Fleet and Mobility Management Federation Europe (FMFE) entwickelte Prinzing innerhalb eines Jahres einen Online-Fragenkatalog für Firmen, die hier aktiv werden wollen. In gut 60 Punkten aus vier Bereichen rund um die Mobilität eines Unternehmens wird zunächst der Status quo erfragt. Darauf aufbauend werden Verbesserungen im Sinne der Nachhaltigkeit angestrebt, die der lokale Vertreter des FMFE begleitend umsetzt.
Dieser Prozess ist auf vier Jahre angedacht und wird mit einem Zertifikat honoriert. Wie genau das von statten geht, erklärt Prinzing im Interview.
Autoflotte: Wie ist die Idee der "Europäischen Zertifizierung für nachhaltige Unternehmensmobilität" (ECSM) entstanden?
Marc-Oliver Prinzing: Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema. Wir haben das bezogen auf den Fuhrpark ja schon einige Jahre angeboten. Im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit haben wir den Impuls gegeben, dass eine internationale und übergreifende Lösung immens wichtig wäre, und zwar bezogen auf die komplette betriebliche Mobilität. Die Idee ist also im Rahmen der Fleet and Mobility Management Federation Europe (FMFE) weiterentwickelt worden. Ziel dieses Zusammenschlusses war es von Anfang an, eine international koordinierte Vertretung und Basis für eine gemeinsame Know-how-Entwicklung bei länderübergreifenden Themen zu schaffen. . In dieses Konzept passt auch die Zertifizierung, durch die eine Verbesserung in der Nachhaltigkeit und im Mobilitätsmanagement angestrebt wird.
Wie war der BVF daran involviert?
M.-O. Prinzing: Als aktives Mitglied der FMFE – wir stellen derzeit ja mit Axel Schäfer auch den Sprecher der Föderation – waren wir von Anfang an aktiv an der Planung und Entwicklung des Zertifikats beteiligt.
Wer gehört noch zu den Verbänden, die diese Zertifizierung anbieten?
M.-O. Prinzing: Anbieter dieses Zertifikats sind alle Mitglieder der FMFE, also Mobilitätsverbände aus Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich, Großbritannien, Österreich und der Schweiz. Es handelt sich somit um eine Zertifizierung auf internationaler Ebene mit europaweit einheitlich gültigen Standards.
Starten werden wir zunächst in Deutschland und in Spanien. Die anderen Länder werden ab Anfang Juni ebenfalls mit der Einführung starten. Interesse wurde bereits von mehreren Seiten bekundet.
Was sind die Vorteile für große Unternehmen, die eventuell sogar länderübergreifend Fahrzeuge im Einsatz haben?
M.-O. Prinzing: Durch die internationale Zertifizierung findet das ECSM auch europäische Anerkennung. Außerdem können Unternehmen mit europaweiter Tätigkeit sämtliche Bereiche des Fuhrpark- und Mobilitätsmanagements länderübergreifend nach einem gleichen Standard im Hinblick auf die nachhaltige Entwicklung zertifizieren lassen. Von großem Vorteil ist, dass dennoch die länderspezifischen Besonderheiten berücksichtigt werden und trotz Standardisierung nicht mit der Gießkanne gearbeitet wird.
An wen richtet sich das Angebot der Zertifizierung?
M.-O. Prinzing: Das Zertifikat ist ein Anreiz für alle Unternehmen, die die Verbesserung der Unternehmensmobilität hin zu mehr Nachhaltigkeit fördern wollen. Außerdem kann dadurch ein Beitrag zur langfristigen ökologischen Verbesserung geleistet werden.
Kann sich auch ein Fuhrpark mit vielleicht nur 20 Fahrzeugen zertifizieren lassen?
M.-O. Prinzing: Eine Zertifizierung findet unabhängig von der Firmengröße statt, weshalb auch kleine Unternehmen das Zertifikat beantragen können. Da jedes Unternehmen anders aufgestellt ist und somit andere Möglichkeiten im Hinblick auf die Nachhaltigkeit mitbringt, findet die Betrachtung individuell statt und ist an das jeweilige Unternehmen angepasst. Das Analysetool ist so aufgebaut, dass wir in der Lage sind nicht relevante Fragen entsprechend zu berücksichtigen, ohne den Gesamtkontext zu verlieren.
Sehen Sie eine unterschiedliche Geschwindigkeit der Umsetzung hin zur grünen Flotte abhängig von der Firmengröße, wie es das Arval-Barometer gerade wieder zeigt?
M.-O. Prinzing: Größere Unternehmen können tatsächlich oft schneller sein, weil sie mehr Ressourcen haben und mehr in das Thema investieren können.
Flugreisen haben den größten Negativ-Impact. Gibt es eine Prozent-Skala oder ähnliches, die besagt, dass beispielsweise ein Flug von München nach Zürich um XY Prozent umweltschädlicher ist als die Fahrt mit der Bahn oder dem Auto?
M.-O. Prinzing: Es geht nicht um konkrete Reisen und Vorgaben hierzu, sondern um die Regelungen in Bezug auf deren Ausgestaltung. Natürlich kann man solche Berechnungen im Einzelfall durchführen. Es gibt schließlich CO2-Werte je Kilometer für die unterschiedlichen Verkehrsträger. Aber viel wichtiger ist es, generelle Richtlinien zu schaffen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, sich innerhalb eines definierten Handlungsrahmens selbst zu bewegen und Entscheidungen im Sinne des Unternehmens selbst zu treffen.
Wo setzt das Konzept stärker an, beim Flotten- oder beim Travelmanagement?
M.-O. Prinzing: Die Gewichtung liegt bei zirka 45 Prozent auf der automobilen Mobilität. Die anderen Bereiche sind also ausreichend beleuchtet und einbezogen.
Das Ziel ist es also, die Unternehmen mittels „Europäischen Zertifizierung für nachhaltige Unternehmensmobilität“ komplett auf „Grün“ zu stellen?
M.-O. Prinzing: Das wäre vielleicht ein bisschen hoch gegriffen. Das Ziel ist es, Unternehmen aufzuzeigen, wo sie heute stehen und welchen Weg sie hin zu einer Verbesserung gehen können. Die Formulierung „komplett grün“ passt daher nicht ganz, „deutlich grüner“ trifft es besser.
Welche Preisstruktur gibt es für das Zertifikat? Richtet sich der Preis nach dem Aufwand für die einzelnen Phasen?
M.-O. Prinzing: Ja, die Größe hat natürlich Einfluss auf den Preis. Wir werden mit Standardpreisen bis zu einer bestimmten Größe arbeiten. Danach muss jedoch im Einzelfall genauer geschaut werden. Letztlich spielt auch die Anzahl der Betriebsstätten eine gewisse Rolle. Der größte Aufwand liegt natürlich bei der initialen Ist-Aufnahme, danach reduziert sich der Aufwand in den Folgejahren.
Was passiert, wenn das Ergebnis des Fragebogens sehr schlecht ausfällt?
M.-O. Prinzing: Dann wird das Zertifikat nicht erteilt. Es kann aber durchaus sein, dass die Ziele sehr sinnvoll sind und die Maßnahmen greifen, so dass nach einem Jahr die Lage wesentlich besser aussieht. Entscheidend ist am Ende nicht das Siegel, sondern die Dokumentation, die Optimierungspotentiale und Schwachstellen aufzeigt.
Was können die Unternehmen mit dem Zertifikat am Ende machen, außer damit werben?
M.-O. Prinzing: Es ist kein kurzfristiger Aktionismus, es ist eine Initialzündung und ein strukturierter Weg in eine nachhaltigere Mobilität. Eine Selbstverpflichtung, an deren Umsetzung wir über fünf Jahre mit unserer Expertise aktiv unterstützen. Das Unternehmen wird begleitet und Veränderungen sichtbar. Es werden durch das ECSM individuelle Möglichkeiten zur Kostenoptimierung und zum Beitrag von Emissionsminderungen herausgearbeitet. Außerdem können alternative Mobilitätslösungen aufgezeigt werden, die weitere Einsparungen mit sich führen können. Durch die mehrjährige Betreuung und Kontrolle ist die Zertifizierung als ein Prozess zu verstehen, der eine langfristige Veränderung und Verbesserung des Unternehmens in vielerlei Hinsicht vorsieht. Selbstverständlich ist auch die Außenwirkung ein Vorteil des Zertifikats. Ebenso wichtig ist aber auch die Innenwirkung. Unternehmen können vor ihren Mitarbeiterinnen ihre soziale Verantwortung zeigen und somit die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen.
Die 30 Dax-Unternehmen wollen dauerhaft die Dienstreisen stark senken, was vor allem die Bereiche Flug, Hotel und Mietwagen trifft. Mit welchen Annahmen blickt der BVF auf die Entwicklung der Dienstreisen, die einen erheblichen Einfluss auf die grüne Mobilität haben?
M.-O. Prinzing: Wir sind sicher, dass viele Unternehmen Ihre Mobilität aufgrund der Erfahrungen, die wir alle in den letzten Monaten machen konnten, überdenken werden. Dass dies am Ende zu einer nachhaltigeren Mobilität führen wird, steht außer Frage, allein schon aufgrund der zu erwartenden künftigen Vermeidung von Mobilität in bestimmten Bereichen. Am nachhaltigsten ist die Mobilität, die nicht stattfindet.
Herzlichen Dank, Herr Prinzing, für das Gespräch.