John Heller ist ein Profi. Im Bankwesen "aufgewachsen" und schon früh auf Makroökonomie spezialisiert, sind Zahlen sein Ding. Das Automobil aber auch - ein bisschen. Denn er benötigt es, wie viele andere, um von A nach B zu kommen. Er verschließt jedoch nicht die Augen vor den Alternativen, die die aktuelle Zeit, die Digitalisierung und die Alterung der Gesellschaft mit sich bringen. So hat der CEO der Louwman Group vielleicht auch den Blick dafür, was Mobilität heute ausmachen sollte - nämlich mehr als nur "das Auto".
Ungewöhnlich ist auch, dass bei einem Unternehmen der Größe der Louwman Group das Gespräch ohne PR-Unterstützung stattfindet. "Ich sage alles. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich etwas intern sage oder nach außen. Unsere Gesellschaft in den Niederlanden verlangt nach einer ehrlichen Offenheit." Schön, wenn jemand so geradeheraus agieren kann und es tut. Unterstrichen wird die Offenheit Hellers von seinem Linkedin-Profil: Kontaktdaten sind vorhanden und laden zum Vernetzen ein. So geht CEO eben auch.
Es begann 1923
Unser Besprechungsraum ist der imposanteste des neuen Louwman-Museums in Den Haag, das 2010 öffnete und derzeit nach eigenen Angaben die größte private Autosammlung weltweit darstellt. Angefangen mit der Sammelwut hat alles im Jahr 1934 - in kleinerem Rahmen. Denn 1923 verstanden die Freunde Piet Louwman und Arie Parqui beim Blick über den großen Teich, dass der Verkauf von Autos und deren Service ein gutes Geschäft sein müssten. Sie begannen mit dem Import der Marke Dodge."Bis 1964 hatten wir viele verschiedene Marken, Lamborghini-Traktoren und Motorräder waren auch dabei", erzählt Heller. Heute ist der Import von Toyota-Fahrzeugen, der 1964 startete, noch immer eines der Standbeine."Toyota hat unsere Firma aufgebaut", attestiert Heller und verweist beim Museumsrundgang auf den Toyota AA in der Sammlung, den ältesten Toyota weltweit. Dass die Geschäfte mit den Japanern noch laufen, belegen die Dataforce-Zahlen. So ist Toyota im Flottengeschäft in den ersten drei Monaten des Jahres die Nummer zwei hinter VW. "Aber der Blick auf die Absatzzahlen ist sehr traditionell und für uns nicht mehr die Messgröße. Für mich ist der Nutzen für unsere Kunden der wichtigere Aspekt", sagt Heller und meint damit nicht nur die Qualität im Verkauf, im Service und im Lebenszyklus des Fahrzeugs - etwa neun Millionen Autos sind in den Niederlanden angemeldet -, sondern vor allem das breite Portfolio, das die Louwman Group mittlerweile neben dem Automobil anbietet.
"Ich bin verantwortlich für etwa 1.700 Mitarbeiter, die im traditionellen Automobilgeschäft arbeiten. Also primär den ganzen Tag mit Autos verkaufen und dem Service derer zu tun haben. Und die sind alle sehr beschäftigt. Da fragen sich eben viele: Warum soll ich das ändern? Das läuft doch super. Aber dennoch besetzen wir viele Bereiche der Mobilität." Zwei Milliarden Euro Umsatz macht die Louwman Group etwa im Jahr, wobei der Umsatz nicht der entscheidende Faktor ist, wie Heller zugibt. Wichtiger sind ihm die Kennzahlen, die man in "New Mobility" findet. Mit auto.nl bietet Louwman ein Portal für Gebrauchtund Neufahrzeuge und das Leasing gleich mit an. Kunden können dort zudem Werkstattdienstleistungen und mehr buchen. "Wir wollen mit auto.nl den gesamten Lifecycle abdecken und echten Service für unsere Kunden bieten."
Es geht um Mobilität
Firmeninhaber Eric Louwmans Leitspruch ist"Mobility is freedom. And the heart of this family business." Und damit schließt er explizit alle rund 17 Millionen Menschen mit ein, die in den Niederlanden leben. Denn derzeit ist die Louwman Group vor allem im Heimatmarkt aktiv und erfolgreich. "Ich würde sehr gern in Deutschland mit der Louwman Group durchstarten. Es gibt viele Parallelen zu den Niederlanden", sagt Heller. Derzeit ist die Carsharing-Plattform WeGo die "Louwman-Präsenz" in Deutschland. WeGo wurde vor gut elf Jahren in den Niederlanden gegründet. "Eric Louwman sagt schon immer, dass wir unsere Fahrzeuge intensiver nutzen müssten - gerade in Städten. Und das, obwohl wir ja vom Autoverkauf leben, also glücklich sein müssten, wenn jede Person ein Auto hätte. Aber ihm ist bewusst, dass Autos 96 Prozent der Zeit stehen - und zwar weltweit betrachtet."
Da ist ein krasses Ungleichgewicht zwischen Besitzen und Nutzen vorhanden. Und Heller fragt laut: "Wer fährt neue Leasingautos? Die Vertriebler und das Management, also rund zehn Prozent der Menschen bei uns. Aber fast alle Menschen benötigen Mobilität. Und ich denke, dass wir diesen Bereich weiter fassen müssen, als wir es bislang getan haben. Ich brauche keine Autos in Amsterdam oder München. Wenn man aber schaut, wie viele Autos dort rumstehen, muss man klar sagen: Wir müssen das ändern. Und genau deswegen liebe ich Carsharing", veranschaulicht Heller seine Gedanken.
Corporate Carsharing
"Wir wollen in den Niederlanden und auch in Deutschland mit WeGo Corporate Carsharing fördern. Wir nennen es 'warmes Carsharing'. Dabei hat man eine bekannte Gruppe von Menschen, die die Fahrzeuge nutzen." Meistens tun sie das sorgsamer als beim Freefloating Carsharing. Wer Share Now, Miles, Sixt Share oder WeShare genutzt hat, weiß, was Heller meinen könnte. Einen weiteren Kritikpunkt am Freefloating nennt Heller ebenfalls: "Wir packen erst einmal Tausende an Extraautos in die Städte und hoffen, dass Menschen dann ihren Fuhrpark reduzieren. Das passiert aber nicht. WeGo teilt aktuell rund 7.500 Autos, primär in den Niederlanden, und ersetzt damit im Firmenbereich schon heute persönliche Dienstwagen."
In Deutschland ist die WeGo-Zentrale in Kaiserslautern und Willem Schonewille der Ansprechpartner für alle, die firmenintern die Mobilität umstellen und Potenziale nutzen wollen. WeGo stellt vereinfacht dargestellt eine Plattform und die nötige Hardware zur Verfügung, die das Teilen von Poolfahrzeugen vereinfacht und effizienter macht. Nichts Neues, aber noch immer nutzen aus Sicht von Mobilitätsexperten zu wenige Firmen solche Digitalisierungselemente. Das möchte Willem Schonewille mit seinem Team ändern.
Fahrradmarkt Holland
Doch damit ist bei der Louwman Group der Zenit noch nicht erreicht. Denn die Mobilität geht bei den Holländern über das Automobil hinaus. Klar, die Niederlande sind ein Fahrradparadies. Auch kleinere Gemeinden tun viel, damit die Menschen aufs Zweirad umsteigen. So ist die Louwman Group aktiv im Vertrieb von Fahrrädern."Wir haben im Jahr 2021 rund 80.000 Fahrräder abgesetzt, was in etwa einem Marktanteil von 7,5 Prozent entspricht. Das Fahrradthema haben wir erst vor gut zwei Jahren in die Louwman Group integriert, aber es ist ein extrem wichtiges und lukratives Geschäft", sagt Heller.
Warum? Es wächst rapide, auch durch Zusatzdienstleistungen wie dem Bikeleasing. "Es ist bislang noch nicht so schnell wachsend wie Autoleasing, aber das kommt", meint Heller. Kein Wunder, so gehen auch bei unseren westlichen Nachbarn die Cargobikes, die meist zwischen 5.000 und bis zu 15.000 Euro kosten, im Leasing einfacher über den Ladentisch als beim Barkauf. "Cargobikes werden in den nächsten Jahren eine entscheidende Rolle in der Mobilitätsentwicklung spielen. Im Fahrradgeschäft machen wir derzeit etwa 100 Millionen Euro Umsatz."
Damit all das schneller miteinander verschmilzt, können Zweiräder und Autos in der WeGo-Plattform vom Fuhrparkmanager administriert werden. Und der Mitarbeiter kann wählen, ob er ein Auto oder ein Fahrrad nutzen möchte."Das Angebot und die technische Basis haben wir. Aber die Nutzung macht den Unterschied. Mein Wunsch: Ich sehe einen Stau vor mir, parke dann das Auto und nehme die Bahn und am Ende vielleicht das Fahrrad, um am günstigsten, grünsten, entspanntesten und schnellsten ans Ziel zu kommen. Doch dieses Verständnis, geschweige denn den Wechsel beim Nutzer, sehe ich bislang noch nicht. Oft sind Dinge technisch längst möglich, aber sie werden dennoch nicht benutzt."
"Wir denken zehn Jahre voraus"
Das aktuell technisch Mögliche ist in der so genannten "Care Division" der Louwman Group oft der Antrieb. 150 Millionen Euro Umsatz machen die Niederländer derzeit bereits im Pflegebereich."Mobilitätseingeschränkte Personen werden oft vergessen - vor allem im öffentlichen Bereich. Doch da gibt es in unseren Breiten eine wachsende Zahl Menschen, die technische Unterstützung benötigen." Unter der Marke "Welzorg" vereint Louwman alles - vom behindertengerechten Umbau eines Automobils, Mikromobilität für bewegungseingeschränkte Menschen, Fahrtrainings mit elektrisch angetriebenen Rollstühlen und beispielsweise Dinge, die das Leben zuhause vereinfachen. "Denn all das bedeutet Freiheit für die Person", sagt Heller und strahlt dabei.
In der Care Division arbeiten etwa 600 Menschen. Und das ist nötig, "denn wir müssen dort besonderen Service bieten. Das fängt damit an, dass wir versuchen, immer denselben Ansprechpartner für unseren Kunden zu haben. Wenn irgendwo eine rote Flagge aufpoppt, weil etwas nicht perfekt geklappt hat, kümmern sich alle, bis nach oben, um die Lösung, damit dieses Problem nicht noch einmal entsteht. Unser Ziel ist es, mit außergewöhnlichem Service Kunden-Loyalität zu ernten."
Auf die Frage, ob er Respekt vor den derzeitigen Mobilitätsentwicklungen hat, sagt Heller trocken: "Es gibt noch genug Menschen, die Luxus, Geschwindigkeit und das Automobil lieben. Ich glaube, diese Menschen gab es, gibt es und wird es noch sehr lange Zeit geben. Wir wollen die Nutzung des Automobils dennoch verändern und das neu entstehende Mobilitätsgeflecht entzerren und vereinfachen."
The passion to move people
So lautet der Firmen-Claim seit 2018 "the passion to move people", den sich Eric Louwman überlegte. Er schließe laut Aussage Hellers Mitarbeiter, Kunden, Umwelt und Geschäftspartner gleichermaßen ein. Das Wort Auto ist übrigens in keinem der Entwürfe vorgekommen.
- Ausgabe 05/2022 S.47 (292.5 KB, PDF)