Von Stefan Anker/SP-X
Das soll das Auto des 21. Jahrhunderts sein? Schwer zu glauben, denn eigentlich sieht es aus wie immer, das gute, alte London Taxi mit seinen kleinen Rädern und dem hohen Aufbau (1,82 Meter), in den man ohne Verrenkungen einsteigen kann. Doch "unter der Haut", wie der Aufsichtsratsvorsitzende Carl-Peter Forster sagt, ist alles anders: Das London Taxi gibt es heute nur noch mit Elektroantrieb und es soll bald auch in Deutschland Personen befördern.
Forster ist ein erfahrener Automanager. Er war Produktionsvorstand bei BMW, Opel-Chef, danach kurz bei Tata, und 2013 heuerte er bei Geely an, dem chinesischen Mutterkonzern von Volvo. Und von der London Electric Vehicle Company (LCEV), die nun die elektrisch angetriebenen London Taxis entwickelt, baut und vertreibt. Ein zartes Pflänzchen ist das Geschäft noch, denn von den 20.000 Taxen in London säuseln erst 300 mit E-Antrieb über die Straßen. Doch diese Menge genüge schon, sagt Forster, um Taxifahrer miteinander ins Gespräch kommen zu lassen und sich über die Vorteile des neuen Konzeptes auszutauschen. Die Zulassungszahlen würden sicher bald steigen – auch weil nun keine London Taxis mit reinem Dieselantrieb mehr gebaut werden.
"London geht in Richtung Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs", sagt Forster. "Seit Januar 2018 werden nur noch neue Taxis zugelassen, die mindestens 30 Meilen, also 50 Kilometer elektrische Reichweite haben." Bis Ende 2020 sollen 9.000 Londoner Taxen diesen Anspruch erfüllen und den Gesamt-Londoner Stickoxidausstoß um 3,5 Prozent senken, während die Feinstaubbelastung um 4,5 Prozent abnehmen soll. 50 Kilometer elektrische Reichweite – das ist mit der Plug-in-Hybridtechnik möglich, doch daran wollte sich Englands klassischer Taxiproduzent nicht beteiligen. Nachdem Geely die London Taxi Company übernommen hatte, sei intensiv über den richtigen Weg der Elektrifizierung nachgedacht worden. 300 Millionen Pfund flossen in die Neukonstruktion des Wagens und in eine neue Fabrik, und nun steht da – eigentlich eine alte Idee.
Tatsächlich wurde schon 2009 bei General Motors ein Elektro-Pkw mit sogenanntem "Range Extender" vorgestellt. Genau wie in den damaligen Schwestermodellen Chevrolet Volt und Opel Ampera ist auch im neuen London Taxi TX5 neben dem Elektromotor ein Benzinmotor untergebracht. Der 1,5 Liter große Dreizylinder von Volvo treibt nicht das Taxi selbst an, sondern einen Generator, der wiederum unterwegs die Batterien laden kann. Die Kraft für die Fahrt stellt allein der Elektromotor bereit, der mit 110 kW / 150 PS Höchstleistung und 255 Newtonmetern Drehmoment aufwartet.
London Taxi
Bildergalerie"Absolut langstreckentauglich"
"Auf diese Weise kann das Taxi unter voller Beladung 130 km/h schnell fahren und ist damit absolut langstreckentauglich", sagt Forster. Im Taxi-Alltag ist diese Eigenschaft wichtig, wenn man mal einen Fahrgast aus der City zum Flughafen Heathrow zu bringen hat. Je nach Strecke sind das 50 bis 80 Kilometer für Hin- und Rückweg, und dann wäre die Elektro-Reichweite von 130 Kilometern schon zu einem guten Teil aufgezehrt.
Der Benzinmotor helfe zudem den Fahrern, die zu einem guten Teil außerhalb Londons wohnten, beim Pendeln, erklärt Taxi-Vorstandschef Chris Gubbey. "Sie büßen dann keine Reichweite ein auf dem Weg in ihr Einsatzgebiet." Gegen eine größere Batterie, wie sie heute alle Hersteller für ihre künftigen Elektro-Pkw vorsehen, spricht laut Forster außerdem die noch dünne Lade-Infrastruktur. "Wenn eine große Batterie leer ist, muss ich sie laden. Aber wo befinde ich mich dann als Taxifahrer?" So viele Ladestationen gebe es noch gar nicht, und deshalb habe man es der taxifahrenden Kundschaft ermöglichen wollen, per Schnellladung in der Mittagspause (ca. 30 Minuten) die Akkus wieder zu füllen. Denn mit 130 Kilometern, das weiß man auch in England, kommt kein Londoner Taxifahrer aus, der ein Geschäft machen will. Gubbey: "Sie fahren im Durchschnitt etwa 120 Meilen pro Tag, also knapp 200 Kilometer. In Berlin sind es etwa 180 Kilometer am Tag."
Volvo-Händler übernehmen Vertrieb und Service
Die englische Botschaft in der deutschen Hauptstadt war in dieser Woche Schauplatz der Premiere des London Taxis, das bald auch auf dem Kontinent zu haben sein soll, vertrieben und gewartet von den Volvo-Händlern. Noch sind die Verträge nicht unterschrieben, aber laut allen Beteiligten sei das nur eine Frage der Zeit. Das erste Export-Elektrotaxi wird demnächst in die Niederlande gehen, es gebe auch schon deutsche Interessenten. Zwar müssen sie mit 59.600 Euro plus Umsatzsteuer nicht wenig Geld investieren, doch können damit sowohl Taxi-Unternehmen als auch Shuttle-Fahrdienste allen nicht-englischen Kunden ein sehr originelles Fahrerlebnis bieten.
Nicht nur, weil es sonst kaum Taxen mit Elektroantrieb gibt, sondern auch, weil man in einem London Taxi einfach anders fährt. Hinten können sich insgesamt sechs Fahrgäste einfinden, die sich dann jeweils zu dritt gegenüber sitzen. Von ihnen per Plexiglasscheibe getrennt arbeitet der Fahrer und hält Kontakt über Sprechfunk. Der Boden des London Taxis ist topfeben, und über eine Rampe kann sehr schnell auch ein Rollstuhl an Bord genommen werden. Nicht zuletzt genießt nächtliches Partyvolk neben dem Ausblick durch ein Panoramadach den WiFi-Hotspot im Fahrgastraum – und zu sechst fährt man auch recht preisgünstig mit.
Über die Preise wollen Forster und Gubbey auch die Unternehmer überzeugen. Erstens muss das Elektrotaxi nicht alle 12.000 Kilometer zur Inspektion, sondern alle 25.000. Zweitens gibt es eine Fünfjahres-Garantie auf die Akkus, ohne Kilometerbegrenzung. Und drittens, so Gubbey, "spart man im Monat etwa 450 Euro Kraftstoffkosten". Das ist auf englische Strompreise bezogen, für Deutschland mit seiner vergleichsweise teuren Energiewende muss die Rechnung noch angestellt werden.
Ein weiterer Preis ist zu zahlen: Die Elektro-Taxis brauchen, sofern sie ihren Besitzern Freude machen sollen, ein dichtes Netz aus Schnellladestationen. Für London fordert der Taxi-Hersteller 150 solcher Ladepunkte bis Ende dieses Jahres und 300 bis 2020. "Nur eine solche Dichte", heißt es in einem LCEV-Prospekt, "würde es TX-Fahrern erlauben, den Elektroantrieb eine ganze Schicht lang zu nutzen." Außerdem verlangt LCEV noch einheitliche Ladegeräte sowie ein ebenso einheitliches Bezahlsystem. Beteiligen will sich der Hersteller am Aufbau dieser Infrastruktur allerdings nicht, das bleibt dann eine Aufgabe für die Stromkonzerne oder die öffentliche Hand.