Anlässlich eines Spitzentreffens im Kanzleramt ist eine Diskussion um das Tempo der Umstellung auf Elektroautos aufgeflammt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der so genannten "Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft", die am Nachmittag zusammenkamen, bekräftigten nach Angaben der Bundesregierung das Ziel, bis 2030 mindestens 15 Millionen vollelektrische Autos auf die deutschen Straßen zu bringen. Zuvor hatte es Kritik am Tempo gegeben.
"Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, dass ein rascher Hochlauf der E-Mobilität erforderlich ist, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Dienstag nach dem Treffen in einer schriftlichen Mitteilung.
Die Bundesregierung verwies auf den bereits im Herbst vorgestellten "Masterplan" zum Ausbau des Ladenetzes für Elektroautos. "Beim Aufbau und Betrieb von Ladeinfrastruktur ist nun in erster Linie die Energie- und Automobilwirtschaft gefordert", so Hebestreit. Auch die Lkw-Ladeinfrastruktur soll vorankommen.
Kritik an starker Beteiligung der Autobranche
An der Gesprächsrunde hatten neben Kanzler Olaf Scholz (SPD) mehrere Minister sowie unter anderem Vertreter der Auto- und Mobilitätsbranche, Arbeitnehmern, Wissenschaft, Ländern und Kommunen teilgenommen. Erst nach der Zusammenkunft veröffentlichte die Bundesregierung die genaue Teilnehmerliste. Organisationen wie Lobbycontrol hatten die starke Beteiligung der Autobranche kritisiert. "Eine klimafreundliche Verkehrswende braucht mehr Bahn und weniger Autos. Damit sollte sich der nächste Mobilitätsgipfel befassen", forderte Marissa Reiserer von Greenpeace.
"Wir sind in allen wesentlichen Zielgrößen, die sich die Bundesregierung selber gesetzt hat, deutlich im Verzug", hatte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zuvor im Deutschlandfunk kritisiert. Bürgerinnen und Bürger seien noch vorsichtig bei der Anschaffung von Elektroautos. Dies liegt aus seiner Sicht vor allem an der nicht ausreichenden Ladeinfrastruktur, die ein großes Hemmnis darstelle. Ladeinfrastruktur müsse auch da entstehen, wo sie wirklich benötigt werde wie auf dem Land, und nicht nur dort, wo es sich lohne. Der IG-Metall-Vorsitzende sprach von Zögerlichkeit der Automobilindustrie und bei Plänen, die sich die Politik selbst gesetzt habe.
Der Umstieg auf E-Autos wird nach einer Verbraucherumfrage der Unternehmensberatung Deloitte von steigenden Kosten und fehlender Infrastruktur gebremst. Trotz wachsender Modellauswahl würden nur 16 Prozent der Befragten beim nächsten Autokauf einen reinen Stromer nehmen. Ende 2021 lag der Anteil demnach bei 15 Prozent. Niedrigere Betriebskosten und staatliche Kaufprämien seien wesentliche Argumente für den Kauf eines E-Autos. «Nun schießen die Stromkosten in die Höhe, während die Förderung sukzessive zurückgefahren wird und 2025 sogar ausläuft. Das wird dazu führen, dass künftig weniger Elektroautos verkauft werden», sagte Branchenexperte Harald Proff.
Größtes Bedenken bei E-Autos: Reichweite
Als größte Bedenken führten Verbraucher die Reichweite an: Mit 57 Prozent wurde sie am häufigsten genannt, gefolgt von einer fehlenden öffentlichen Ladeinfrastruktur (47 Prozent), der Ladezeit und der nicht vorhandenen Lademöglichkeit im eigenen Zuhause (je 45 Prozent). 75 Prozent der in Deutschland Befragten würden ihr E-Auto am häufigsten zu Hause laden. Dieser Wunsch sei im Vergleich zum Vorjahr (70 Prozent) gestiegen, obwohl Lademöglichkeiten gerade in dicht besiedelten Städten fehlten, teilte Deloitte weiter mit.
Aus Sicht des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sind Lademöglichkeiten jedoch nicht das Problem. Eine eigene Umfrage zeige, dass Nutzer die Entwicklung des Ladeangebots positiv beurteilten. "Die Auslastung der Ladesäulen liegt bei rund 15 Prozent, da ist ordentlich Luft nach oben", erklärte Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. "Das Henne-Ei-Problem im Markt existiert nicht mehr."
Die Nachfrage nach E-Autos übersteige bei Weitem das Angebot, so Andreae. Kunden warteten teils länger als ein Jahr auf ihren Wagen. Die Zulassungszahlen müssten deutlich schneller steigen, um bis 2030 insgesamt 15 Millionen vollelektrische Pkw auf den Straßen zu haben - dieses Ziel hat sich die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP im Koalitionsvertrag gesetzt. "Es reicht nicht, mit Kaufprämien und über einen vorauslaufenden Ausbau des Ladeangebots die Nachfrageseite anzukurbeln. Die Nachfrage und Akzeptanz sind bereits hoch, jetzt muss das Fahrzeugangebot gestärkt werden."