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Beweisen statt Abstreiten

01.08.2017 06:00 Uhr

Grundsätzlich muss in einem Prozess derjenige einen Beweis bringen, für den die behauptete Tatsache günstig ist. Doch es gibt viele Fälle, wie den VW-Streit, wo der Beklagte Fakten liefern muss.

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_ Bei einem Mangel am Neuwagen landet die Streitfrage, ob der Verkäufer diesen zu vertreten hat, schnell vor Gericht. Dann gilt der Grundsatz, dass der Käufer als Kläger diejenigen Tatsachen vortragen und beweisen muss, die seinen Anspruch begründen. Die Beweislast liegt grundsätzlich jeweils bei der Partei, für die die behauptete Tatsache günstig ist. Dieser prozessrechtliche Grundsatz bringt den Käufer oft in erhebliche Schwierigkeiten, etwa dann, wenn der Verkäufer über Wissen verfügt, das er dem Käufer nicht zugänglich macht.

Derzeit beschäftigt eine derartige Fallkonstellation die deutsche Justiz und beherrscht seit Monaten die öffentliche Diskussion: der VW-Skandal. Die Käufer behaupten in ihrer Rolle als Kläger, dass ein Mangel vorliegt. Der Verkäufer streitet diesen schlicht ab. Problematisch für den Käufer ist der Umstand, dass nur der Verkäufer beziehungsweise der Hersteller die näheren Umstände, die zu dem Mangel geführt haben - die Konstruktion und Manipulation der Motorsteuerung -, im Detail kennt. Umstritten ist zudem auch die Frage der Zurechenbarkeit des Herstellerwissens auf Seiten der Händler.

Sekundäre Darlegungs- und Beweislast

Den Grundsätzen der Beweislast folgend, müsste der Käufer in einer solchen Prozesssituation verlieren. Ihm gelingt nicht der Beweis seiner Behauptung, weil ihm Detailkenntnisse fehlen, die nur der Verkäufer haben kann. In diesen Fällen, in denen es für die beweisbelastete Partei, hier dem Käufer (Kläger), typischerweise schwierig ist, alle Tatsachen vorzutragen, hält die Rechtsprechung Regeln zur Erleichterung bereit. Beispiele sind der Grundsatz der abgestuften Darlegungs- und Beweislast, die Umkehr der Darlegungslast und gesetzliche Vermutungen.

So kann der Verkäufer als Beklagter eine Behauptung des eigentlich darlegungspflichtigen Klägers über ein Geschehen nicht einfach bestreiten, wenn ihm alle wesentlichen Tatsachen bekannt sind - oder bekannt sein müssten - und nähere Angaben dazu zumutbar sind, dem Kläger hingegen nicht.

Den Beklagten trifft dann die sekundäre Darlegungs- und Beweislast und er muss die behauptete Tatsache substanziiert bestreiten, indem er die für das Gegenteil sprechenden Umstände und Tatsachen vorträgt.

Von sekundärer Darlegungslast spricht man bei der Pflicht einer Prozesspartei, trotz Beweisbelastung des Gegners Auskunft zu erteilen, wenn die nach den allgemeinen Grundsätzen beweisbelastete Partei "außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt", dem Gegner aber eine Auskunft möglich und zumutbar ist.

Nach Ansicht des BGH genügt in dieser Situation kein einfaches Bestreiten."Steht ein darlegungspflichtiger Kläger außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs und kennt der Beklagte alle wesentlichen Tatsachen, so genügt nach den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast sein einfaches Bestreiten nicht, sofern ihm nähere Angaben zuzumuten sind. In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substanziierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden" (BGH NJW 2008, 982, RdNr. 16). Nur VW weiß, wer manipuliert hat Im angesprochenen Fall von Volkswagen lässt sich dies auch anders formulieren.

Nur VW weiß, wer was manipuliert hat.

VW ist als Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, "welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat, trotz Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht einmal ansatzweise nachgekommen. Der Käufer (Kläger) hat naturgemäß keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen."

VW hingegen hat jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen. Der Vortrag des Herstellers, er "kläre gerade die Umstände auf", wie es zur Entwicklung und zum Einbau der Software gekommen sei, ist nach Auffassung des Gerichts gänzlich unzureichend und genügt dem § 138 Abs. 1 ZPO, wonach die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben, nicht. Soweit das LG Hildesheim, Urteil vom 17.1.2017, Az.3 O 139/16. Sicherlich ist diese weitgehende Entscheidung in Literatur und Rechtsprechung äußerst umstritten, wenn auch verbraucherfreundlich. Sie zeigt aber deutlich das grundsätzliche Dilemma von Situationen auf, in denen über den Grundsatz der sekundären Beweislast gestritten wird.

Urteile im Transport- und Reisegeschäft

Ein anderes Beispiel aus der Rechtsprechung: Bei der Haftung des Frachtführers muss der Geschädigte zunächst einmal Anhaltspunkte für dessen qualifiziertes Verschulden vortragen. Anschließend muss der Frachtführer dann detailliert zum Organisationsablauf in seinem Betrieb und seine Maßnahmen zum Schutz des Transportguts vortragen (BGH, Entscheidung vom 24.5.2000, Az. I ZR 84/98).

Auch im Reiserecht arbeitet die Rechtsprechung mit der sekundären Beweislast zugunsten der Verbraucher. Hier geht es um die Frage, wer für die verlorenen Koffer verantwortlich ist. Es ist Aufgabe des Reiseveranstalters, im Wege der sekundären Darlegungslast vorzutragen, was mit den Gepäckstücken geschehen ist und warum den Veranstalter gegebenenfalls keine Verantwortung für einen Verlust trifft, weil sich zum Beispiel ein allgemeines Diebstahlrisiko verwirklichte, für das auch der Veranstalter nicht einzustehen hat.

Kommt der Reiseveranstalter dieser Darlegungslast nicht in ausreichendem Umfang nach, ist die Behauptung des Reisenden, dass der Gepäckverlust auf eine Sorgfaltspflichtverletzung des Veranstalters zurückzuführen ist, als zugestanden zu behandeln, ohne dass es darauf ankäme, was konkret mit dem Gepäck geschah, zum Beispiel Diebstahl, Vertauschen oder Vergessen (AG Köln, 18.04.2016, 142 C 114/14).

Die sekundäre Beweislast ist also gerade im Kaufrecht eine in der Regel den Käufer und damit insbesondere den Verbraucher schützende Rechtskonstruktion. Sie findet ganz allgemein in Situationen Anwendung, in denen die an sich beweisbelastete Partei anspruchsbegründende Tatsachen schlicht nicht kennt, weil sie notwendig außerhalb ihres Wahrnehmungskreises liegen, während sie der anderen Partei bekannt und ihr ergänzende Angaben zumutbar sind.

Die andere Partei, also der Prozessgegner, kann sich nicht darauf zurückziehen, einfach nur zu bestreiten.

Mit belegten Tatsachen bestreiten

Sehr öffentlichkeitswirksam wurde zuletzt darüber im Zusammenhang mit Tauschbörsen im Internet diskutiert. Seitdem wird die sekundäre Darlegungs- und Beweislast auch als eine Pflicht zum substanziierten Bestreiten im Sinne des § 138 Abs. 2 ZPO (Erklärungspflicht über Tatsachen, Wahrheitspflicht) bezeichnet. Danach hat sich jede Partei in einem Rechtsstreit über die von der Gegenseite behaupteten Tatsachen zu erklären.

Dabei darf in diesem Zusammenhang jedoch nicht der Maßstab der Zumutbarkeit außer Acht gelassen werden. Es gilt das Gebot von Treu und Glauben und der Grundsatz der Zumutbarkeit. Hierzu mag jeder eine eigene Vorstellung haben, insbesondere bei derart öffentlichkeitswirksamen Rechtsstreitigkeiten wie in Sachen VW.

Es kommt aber bei der Frage der Zumutbarkeit wie stets auf den bestimmten Einzelfall und damit besonders auf die Frage an, wie präzise und ausführlich die andere Seite (der Kläger respektive Käufer) vorgetragen hat. Eine gewisse Anstrengung und Bemühung ist hier durchaus zu fordern. Dies gilt insbesondere für die Versuche der klagenden Partei, ihrerseits durch bloße unbelegte Behauptungen eine Beweislastumkehr zu erreichen.

An dieser Stelle wird deutlich, dass nicht zuletzt durch die Einbeziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben die Frage der Verpflichtungen hinsichtlich einer sekundären Beweislast höchst kompliziert und im Einzelfall heftig umstritten sind. Auch zeigt sich dies eindringlich bei den Urteilen im VW-Skandal: Von einer eindeutigen Rechtsprechung ist man noch weit entfernt - zu Lasten des Verbrauchers, dem mit Ablauf der Fristen spätestens Ende 2018 im wahrsten Sinne des Wortes die Zeit davonläuft.

Weitere Beispiele

In der Praxis gibt es noch folgende weitere Beispiele:

- Fahrzeugschaden und Ansatz fiktiver Werkstattpreise: Zu der Frage, ob sich der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) vom Schädiger auf eine wirtschaftlich günstige(re) Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen lassen muss, muss der Schädiger darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und hat gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände zu widerlegen, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.

- Fiktive Reparaturkosten: Die sekundäre Darlegungslast des Geschädigten gilt bei der Frage nach der kostengünstigsten Reparaturmöglichkeit, wenn unstreitig ist oder sobald nachgewiesen ist, dass eine vom Qualitätsstandard her gleichwertige, aber wirtschaftlich günstigere Möglichkeit zur Reparatur ihm mühelos, ohne weiteres zugänglich ist; siehe näher unter Werkstattverweis.

- Mietwagenkosten: Der Geschädigte hat - im Rahmen der primären Darlegungslast - zur (objektiven) Erforderlichkeit eines vergleichsweise höheren, vom "Normaltarif" abweichenden "Unfallersatz-" Tarifs für einen Mietwagen im Sinne des § 249 BGB vorzutragen. Steht fest, dass der wirtschaftlich höhere (Unfallersatz-) Tarif betriebswirtschaftlich gerechtfertigt (gewesen) ist, ist dieser grundsätzlich als unfallbedingter Herstellungsaufwand zu ersetzen. Demgegenüber steht die Darlegungs- und Beweislast der anderen (Schädiger-, Haftpflichtversicherer-)Seite, den etwaigen Verstoß des Geschädigten gegen dessen Schadenminderungspflicht vereinzelt plausibel zu schildern und konkret nachvollziehbar zu machen.

Es lässt sich somit festhalten, dass der Grundsatz der sekundären Beweislast beiden Parteien in einem Rechtsstreit Pflichten auferlegt und dass es nach dem Willen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung nicht gewollt ist, dass sich eine Partei durch gezieltes, taktisch motiviertes Zurückhalten nur ihr bekannter Tatsachen unter Umständen treuwidrig einen Vorteil verschafft.

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