Von Michael Specht/SP-X
Bei Thema Autonomes Fahren schwebt den meisten Herstellern ein Zeithorizont von mindestens zehn Jahren vor. Dass man sein Robotaxi per Knopfdruck rufen und sich von ihm autonom von A nach B bringen lassen kann, könnte schon in drei Jahren für erste Testpersonen Realität werden. Dies zumindest verspricht Volkswagens Chief Digital Officer Johann Jungwirth, in der Szene kurz "JJ" genannt. Der Ex-Mercedes- und Ex-Apple-Mann will ab 2021 erste Level-5-Fahrzeuge in einer Art Großversuch auf der Straße haben.
Das fahrerlose Auto im urbanen Bereich ist die Königsdisziplin beim autonomen Fahren, da hier die höchsten Anforderungen an Systeme, Rechenleistungen und Künstliche Intelligenz gestellt werden. In welchen Städten Volkswagen unterwegs sein wird, ließ Jungwirth bei einem Gespräch im Rahmen der CES in Las Vegas noch offen. Deutschland dürfte nicht darunter sein, da hier die gesetzlichen Rahmenbedingungen vermutlich zeitnah nicht gegeben sind. Mehr Potenzial sieht Jungwirth in Regionen wie Dubai, Singapur und den USA. Auch China ist seiner Meinung nach noch nicht so weit.
Für den 44-jährigen Manager ist das Motto "Der frühe Vogel fängt den Wurm" entscheidend, wer sich in Zukunft als Mobilitätsdienstleister in den Städten das größte Stück Kuchen sichern kann. Deutlich im Vorteil ist, wer hier mit den örtlichen Regierungen früh Verträge abschließt und die Infrastruktur entsprechend aufbaut. Dazu gehören unter anderem Betriebshöfe, Service-Zentren und Ladestationen.
Zwei Super-Hirne
An der technischen Umsetzbarkeit in diesem relativ engen Zeitfenster bestehen laut Jungwirth keine Zweifel. "Wir entwickeln Level 4 und Level 5 parallel zu den heutigen teilautonomen Systemen." Zwei Super-Hirne hat sich Volkswagen dafür jüngst ins Boot geholt: Chris Urmson und Sterling Anderson, die mit ihren ehemaligen Teams laut Jungwirth "gut 300 Jahre Erfahrungen" mitbringen. Urmson war zuvor bei Google für die Roboterautos verantwortlich, Anderson kommt von Tesla, leitete dort die Autopilot-Systeme. Zusammen haben sie im Silicon Valley das Start-up Aurora geründet und kooperieren zukünftig mit Volkswagen, aber auch mit Hyundai. Probleme sieht der 34-jährige Jungunternehmer Anderson in der Zwei-Konzern-Strategie nicht. "Wir haben so gute Chancen, technische Standards zu setzen und das System weltweit in den Markt zu bringen."
Für Jungwirth bedeutet das autonome Fahren eine komplette Veränderung der Gesellschaft in Sachen Mobilität. "Blinde, Ältere, Kinder, Kranke, sie alle können diese Einrichtung nutzen – auf Knopfdruck", so der Manager. Würde eine Stadt vollständig auf "autonom" umstellen, bräuchte es seinen Berechnungen zur Folge nur noch ein Siebtel der Fahrzeuge auf den Straßen. Parkplätze könnten zu Parks rückgebaut werden, die Luft wird sauber, der Lärm geht zurück. Zudem wird den Insassen in den autonomen Autos Zeit geschenkt, da sie sich nicht auf den Verkehr konzentrieren müssen und andere Dinge tun können. Über 38.000 Stunden verbringt ein Autofahrer durchschnittlich hinter dem Lenkrad.
Unfalltote: "Ein Ende ist in Sicht"
Ein weiterer Aspekt ist die Sicherheit. Da über 90 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle auf menschliches Versagen basieren, könnten autonome Fahrzeuge jährlich rund eine Million Menschenleben retten. "Es ist ein Ende in Sicht, dass Menschen im Straßenverkehr sterben", schwärmt Jungwirth"das ist doch eine großartige Sache, dies auf den Weg zu bringen."
Dass in Zeiten von Robozaxis und Carsharing die Gefahr besteht, dass die Autohersteller künftig in geringerem Maße ihrem Kerngeschäft, dem Verkauf von Fahrzeugen, nachgehen werden, stimmt Jungwirth nur bedingt zu. "Die Mobilitätsdienstleistung wird hochprofitabel sein. Mit etwa zwölf Euro-Cent pro Kilometer liegen bei den autonomen Fahrzeugen die Unterhaltskosten deutlich unter denen konventioneller Autos."