Die berühmteste Liebesgeschichte der Weltliteratur ist eine Tragödie. Shakespeare lässt die Beziehung zwischen Romeo und Julia bekanntlich schrecklich enden. Ein Schicksal, dass dem gleichnamigen automobilen Duo aus Mailand ebenso drohen könnte: Romeo mit Vornamen Alfa und seine Giulietta werden nicht so richtig warm mit ihrem Publikum. Der einzig verbliebene Golf-Konkurrent aus Italien steht sich bei den Händlern die Räder platt. Gerade mal 246 Alfas wurden im September neu zugelassen, davon gut zwei Drittel mit dem legendären Namen der Schönen aus Verona.
Zum 60. Geburtstag der Giulietta soll eine weitere Legende jetzt das aktuelle Modell beflügeln. Das 1954 noch vor der Limousine erschienene Coupé trug den Zusatz "Sprint". Diese Bezeichnung steht jetzt auch an den Kotflügeln der Giulietta-Limousine. Eigentlich lediglich ein Sonderserie, aber für die traditionsbewussten Alfisti auch so etwas wie ein Neuanfang für ihr wichtigstes Produkt. "Wer eine Zukunft haben will, muss sich auch zu seiner Vergangenheit bekennen", sagt Europa-Chef Louis-Carl Vignon und zieht Parallelen. Der historische Sprint hatte einen recht kleinen Motor (1,3 Liter, 65 PS). Das Herzstück des Ur-Enkels verfügt über gerade mal 100 ccm mehr, bringt aber 150 PS an die Vorderräder. "Beiden gemein ist die ausgeprägte Sportlichkeit, die damals wie heute die Alfa-Gene ausmacht", betont Vignon.
Der Sprint unterscheidet sich indes von den anderen Versionen des heutigen Giulietta nur optisch. Dunkel hinterlegte Scheinwerfer, Seitenschweller, eine im Diffusor-Stil gestaltete Heckschürze und zwei 92 Millimeter dicke Endrohre. Natürlich hat auch der Sprint die in der hinteren Dachsäule versteckten Griffe für die hinteren Türen. Innen fallen neue Sitze auf, die mit einem Mix aus Stoff und Alcantara bezogen sind. Armaturentafel und Türverkleidungen geben sich unterkühlt in Kohlefaser-Optik und das Sport-Lederlenkrad lässt knallrote Nähte blitzen. In Summe ein nettes Ambiente, das durchaus hochwertig anmutet und Wohlfühlklima aufkommen lässt.
Vom Turbo beflügelt
Die wichtigste Neuerung jedoch steckt unter der Haube. Der kleine Vierzylinder wird von einem Turbo beflügelt, vertraut auf die Fiat-eigene Multi-Air-Technik bei der Ventilsteuerung und erwies sich bei Ausfahrten rund um das riesige Testgelände in Balocco als putzmunter. Leider spendierte die deutsche Dependance in Frankfurt ihrem Neuling nicht die in anderen Ländern erhältliche Doppelkupplungsautomatik. Aber auch mit dem Sechs-Gang-Handschalter sind künftige "Sprinter" gut bedient. Der Turbo will zwar durch genügend Drehzahl bei Laune gehalten werden, lässt den Motor dann aber gut am Gas hängen. Wegen der reichlich montierten Radarfallen in orangefarbenen Blechhülsen blieb die versprochene Spitze von 210 km/h unerreicht. Aber schon der Sprint im „Sprint“ in knapp über acht Sekunden auf 100 km/h hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Der im Datenblatt vermerkte Verbrauch von 5,7 Litern/100 km wird im Alltagsverkehr wohl nur schwer erreichbar sein, wenn die Hatz auf deutschen Autobahnen ansteht. Auf Landstraßen oder in der Stadt kann bei behutsamem Umgang mit dem rechten Pedal aber durchaus eine „8“ vor dem Komma stehen.
Kriegt die Kurve
Wie schon die bisherigen Giuliettas fühlt sich auch der Hoffnungsträger auf kurvigen Landstraßen besonders wohl. Die Lenkung straff, aber gefühlvoll. Das Fahrwerk je nach Knopfdruck-Befehl des Kapitäns stramm oder komfortabel. Das Umrunden von Biegungen erleichtern zudem eine elektronische Differentialsperre und der schnell reagierende Schleuderschutz, der bei Alfa "VDC" heißt. Sicherheitshalber sind dann aber doch sechs Airbags serienmäßig an Bord.
Logisch, dass die 20.500 Euro (netto) teure Geburtstagsüberraschung Giulietta Sprint die berühmte Marke Alfa nicht aus der Krise fahren kann. Die Fiat-Tochter, angeblich von VW-Patriarch Ferdinand Piech umworben, ist augenfälliger Teil der aktuellen italienischen Misere. Die Testfahrt führte vorbei an zahllosen leerstehenden, abbruchreifen Fabrikhallen. Auf den Straßen jede Menge VW, Audi, Minis und viel anderes Nicht-Italienisches. Und wenn schon die eigenen Landsleute sich von einer ihrer Lieblingsmarken abwenden, sind die mageren, knapp 200 Verkäufe in Deutschland erklärbar. Vielleicht bringt ja ein ganz neues Modell die ersehnte Wende. Alfa entwickelt derzeit eine völlig neue Limousine im Mittelklasseformat. (Peter Maahn/sp-x)