Elektromobilität macht’s möglich: Die Hürden sämtlicher Abgasvorschriften, die bei Verbrennern immer höher gesetzt werden, spielen bei der E-Mobilität keine Rolle. Es kommt ja nichts mehr hinten raus. Crashtechnisch und unter Cyber-Security-Aspekten sind die Unterschiede gering, bzw. die Anforderungen in den Ländern mit einer globalen Entwicklung zu meistern – den Rest erledigt die Software. Die Welt heißt überall neue Elektroautos willkommen – auch und gerade die aus den USA. Tesla machte den Anfang, Rivian versucht es noch, Lucid ist am Start und nun auch (wieder) Cadillac.
Cadillac Lyriq
BildergalerieDer Cadillac Lyriq verkauft sich in den USA gut
Cadillac ist seit 1902 bekannt für ausufernde Straßenkreuzer und den „American Way of Drive“. Gibt es im Heimatmarkt noch immer das SUV-Portfolio, bestehend aus Escalade, XT6, XT5 und XT4 (den gab es bis zuletzt auch noch zaghaft bei uns), bieten die US-Amerikaner fortan in Europa nur noch E-Versionen an. Doch Obacht, diese gibt es auch in den USA und deren Absatz darf für diesen Markt als „bemerkenswert“ gelten. So hat sich der Cadillac Lyriq im ersten Halbjahr 2024 in den USA 13.094 Mal verkauft – dort gibt es ihn seit zwei Jahren. Diese Zahlen werden in Deutschland freilich nie erreichbar sein. Zu speziell ist die Marke Cadillac und der Lyriq und zu viel Konkurrenz gibt es in Form eines BMW iX, Mercedes EQE SUV, Volvo EX 90 oder auch von asiatischen Anbietern.
Was den Lyriq auszeichnet? Exklusivität und sein Preisvorteil. Er sticht aus der Masse der Einerlei-SUV hervor. Die Front ist speziell, die Silhouette besonders und das Heck keck. So kann es was werden, denn Design ist noch immer Geschmacksache und damit subjektiv, Punkt. Objektiv betrachtet, ist es nicht ganz so einfach, an einen Cadillac Lyriq heranzukommen. In Deutschland gibt es ein knappes Dutzend Service-Partner. Bis Frühjahr 2025 können sich Interessenten an deren „nahegelegene“ Motorworld wenden, dort poppen Kurzzeit-Ausstellungsflächen der US-Amerikaner auf und dort können auch Probefahrten unternommen werden.
Deutlich mehr Auto beim Cadillac Lyriq
Genau diese machen wir jetzt in München beim „ersten Kennenlernen“. Also reinsetzen und umschauen. Wir sitzen im „Sport“, den es zum gleichen Preis gibt, wie den „Luxury“. 80.500 Euro werden dafür aufgerufen – brutto. Zum Vergleich: Ein BMW iX startet knapp darunter – ohne Allradantrieb (vielleicht wichtig), mit fast 30 kWh weniger Akkukapazität (wichtig), mit einem PS-Minus von 200 PS (unwichtig) und weniger Ladeleistung (wichtig) sowie weniger Ausstattung (vielleicht wichtig).
Luxury und Sport unterscheiden sich beim Lyriq durch andere Felgen (in identischem 21-Zoll-Format), differenzierte Frontmaske (die in der EU unbeleuchtet ist) und chromglänzende Fensterzierleisten anstelle der dunkel anodisierten. Das ist ein bisschen wenig. Die Nappaledersitze – sie gibt es hüben wie drüben in beige und schwarz – justiert man wie bei Mercedes mittels Sitz-Mimik in der Türverkleidung. Super. Weniger super: Es gibt weder eine Möglichkeit, die sehr kurzen Schenkelauflagen zu verlängern, noch die sehr breit ausgeführten Lehnen an den Körper anzuschmiegen – zudem fehlt eine Vierfach-Verstellung der Kopfstütze, in die dafür ein Teil des AKG-Soundsystems integriert wurde (dazu später mehr). In diesem Segment darf man bei den Sitzen mehr erwarten – und sei es optional. Immerhin, gemütlich sind die Fauteuils – „Ami-Style“ eben.
Wenig Kopffreiheit im Cadillac Lyriq
Auch hinten sitzt es sich luftig. Drei Schmale können komfortabel auch weite Strecken nebeneinander fahren – kein Wunder, der Cadillac Lyriq ist fast zwei Meter breit – gemessen ohne Spiegel (BMW iX hat identische Abmessungen). Hinten wird es eher eng am Schopf, denn Sitzriesen machen schnell Bekanntschaft mit dem (vorn zu öffnenden) Glasdach, das serienmäßig installiert wird. Mit der Kopffreiheit hapert es interessanterweise auch an der Heckklappe. Ab 1,85 Metern macht es schnell mal „bong“. Ins Heck passen Abmessungs-adäquate 588 Liter. Einen Frunk gibt es nicht.
Generell ist im Lyriq alles serienmäßig. Lediglich der Lack und die erwähnte Farbe des Leders kann gewählt werden, erstes kostet zwischen 950–1.950 Euro brutto. Mehr ist nicht zu haben, auch kein Head-up-Display und Apple Carplay läuft nur mittels Kabelverbindung.
An den verwendeten Materialien kann kaum gemeckert werden. Der Haltegriff an der A-Säule ist cool und hilfreich. Den elektronischen Rückspiegel gab es übrigens zuerst bei Cadillac (im Jahr 2016) – und im Lyriq immer noch. Weniger nach Premium fühlen sich hingegen die Sonnenblenden an, mit denen man häufig „interagiert“ und dann merkt: das passt nicht. Ein ebenso haptisches Desaster ist der Plastik-Knubbel an den B-Säulen zum Jacke aufhängen. Ansonsten wirkt der Lyriq aber eher aus den Vollen geschnitzt. Kein Wunder, Stichwort 2.774 Kilogramm.
So besticht aus qualitativer Sicht auch der Digitaltacho mit einer exzellenten Auflösung, was jedoch nichts daran ändert, dass je nach Lenkradstellung einige Informationen verdeckt werden. Sehr clever gelöst ist das Touch-Feld links neben dem Digitaltacho. Dort kann man zwischen Bordcomputer-Inhalten und dem manuellen Aktivieren des Abblendlichts und anderen Funktionen umschalten.
An der Bedienung kann man generell wenig kritisieren. Eine Taste links über dem Knie zum Deaktivieren des Spurhalte-Assistenten ist ebenso sinnvoll, wie ein dort angebrachtes Drehrädchen zum Justieren der Instrumentenbeleuchtung. Ebenso erstklassig gelöst: Die Frontkollisionswarnung meldet sich rot blitzend in der Windschutzscheibe und lässt den Sitz vibrieren. Dezent und dennoch für jeden hinter dem Steuer spür- und sichtbar. Ebenfalls ideal: Es kann nicht nur getoucht werden, denn zusätzlich steht ein Dreh-Drück-Steller zur Verfügung – ganz nach eigenem Geschmack – das ist schön und zeichnet Premiumfahrzeuge aus.