Von Michael Gebhardt/SP-X
Dieselkrise und Energiewende, Fahrverbot und Carsharing, autonomes Fahren und Robo-Taxis: Die Automobilbranche ist am Vorabend ihrer bislang wohl größten Revolution angelangt. Jeder weiß, dass sich etwas ändern wird, ändern muss – wohin die Reise geht, ist allerdings noch nicht klar.
Sicher ist: Es wird neue Mitspieler geben. Die tradierten Hersteller werden sich künftig nicht nur mit ihresgleichen messen müssen, sondern mit jungen Playern, die plötzlich mit eigenen Konzepten einen Teil des Kuchens abgreifen wollen. Tesla hat es vorgemacht und Unternehmen wie Nio, Byton oder die wiederauferstandene Marke Borgward ziehen nach. Neben den vor allem aus dem Reich der Mitte auf den Markt strömenden, neuen Autobauern gewinnen IT-Unternehmen wie Apple und Google zusehends an Bedeutung – und Zulieferer.
Waren Conti, Bosch und Co. lange der verlängerte Arm der Hersteller-Entwicklungsabteilungen, drängen sie sich inzwischen mit eigenen Vorschlägen und Visionen in den Vordergrund. Auch der Leverkusener Kunststoffexperte Covestro hat zahlreiche Ideen im Kopf, wie die Mobilität von morgen aussehen könnte und behauptet selbstbewusst: Wir habend die Materialien der Zukunft.
Covestro, vor knapp drei Jahren aus Bayer hervorgegangen, macht schon heute 20 Prozent seines Umsatzes in der Automobilbranche. Allerdings beliefern die Rheinländer nicht direkt die Hersteller, sondern kümmern sich um Rohstoffe: Vor allem Polycarbonat und Polyurethan – ersteres ist ein Granulat, aus dem ein recht harter, stabiler Kunststoff gemacht wird, letzteres ein flüssiges Kunstharz, das zu Schaumstoff, Lacken, Klebern oder Beschichtungen verarbeitet werden kann.
Um davon künftig noch mehr unters Volk zu bringen, zäumen die Covestro-Entwickler das Pferd von hinten auf, und versuchen sich in die Autohersteller hinein zu denken. Das Ziel ist klar: Das Chemie-Unternehmen will begreifen, wie das Auto der Zukunft aussehen könnte, um dann die richtigen Rohstoffe dafür zu entwickeln. Ohne Frage spielen die beiden Megatrends dieser Zeit, autonomes Fahren und Elektromobilität, Covestro dabei in die Hände.
Fenster aus Kunststoff
Der Pferdefuß des E-Autos ist immer noch die Reichweite, die entweder durch stärkere Akkus oder weniger Gewicht erhöht werden kann. Das kommt dem Plastikhersteller gelegen, schließlich ist Polycarbonat um einiges leichter als Stahl. Der Kunststoff wiegt allerdings nicht nur weniger als Blech, sondern ist auch nur halb so schwer wie Glas – und kann komplett durchsichtig gefertigt werden.
Das heißt: Man kann auch Scheiben daraus machen. Das reduziert nicht nur das Gewicht, sondern hat noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Die heute übliche Rund-um-Verglasung ist eine Kältebrücke par excellence, die beim Verbrenner allerdings nicht ins Gewicht fällt, stellt der doch genügend Wärme zum Heizen bereit.
Beim E-Auto aber geht jedes Grad mehr Temperatur von der Reichweite ab. Da kommt die deutlich bessere Isoliereigenschaft von Polycarbonat gerade recht. Sogar der Gesetzgeber, den oft Sicherheitsbedenken plagen, hat inzwischen zugestimmt, dass sämtliche Autoscheiben aus Kunststoff gefertigt werden dürfen. Es ist also wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis Polycarbonat-Fenster im großen Stil Verwendung finden.
Bis auch selbstfahrende Autos in merklicher Stückzahl auf den Straßen unterwegs sind, dürfte es noch ein wenig dauern. Eine der Hürden ist unter anderem die Kommunikation der Fahrzeuge mit der Umwelt: Fußgänger beispielsweise gehen sicher entspannter über einen Zebrastreifen, wenn ihnen das Robo-Auto signalisiert, dass es sie erkannt hat, und wartet, bis sie auf der anderen Straßenseite angekommen sind. Funktionieren kann der Informationsaustausch über ein Display an der Front des Fahrzeugs. Ein Bildschirm auf dem Kühlergrill wird allerdings auch in Zukunft von keiner Designabteilung genehmigt werden, und hinter dem Blech nützt er nichts. Auch hier kann man sich durchsichtiges oder durchscheinendes Polycarbonat zu Nutze machen: Karosserieteile aus gläsernem Kunststoff bieten freie Sicht auf ein dahinter montiertes Display.
Durchsichtige Bauteile können aber noch mehr: In der Karosserie beispielsweise reduzieren sie den toten Winkel, und tragen so zur Unfallvermeidung bei; außerdem bieten sie den Designern neue Möglichkeiten der Beleuchtung und Individualisierung. Das Firmenlogo als Lichtsignatur auf der Tür? Kein Problem.
Die Ingenieure sprudeln gerade so vor Ideen: Mit den Hologramm-Folien kann auch eine ganz neue Generation von Head-up-Displays entwickelt werden, die deutlich kleiner sind. Autodächer könnten künftig in Sandwich-Bauweise aus stabilen Papierwaben mit Polyurethan-Überzug gefertigt werden, was schon heute an die Festigkeit eines Blechdachs herankommt, aber deutlich leichter ist und den Schwerpunkt des Wagens absenkt.
Die Liste könnte man lange fortsetzen. Was oft noch fehlt, sind Partner, die die Ideen umsetzen: Covestro will sich auch weiterhin auf die Bereitstellung der Grundmaterialien konzentrieren, die Weiterverarbeitung müssen also die etablierten Zulieferer oder die Hersteller übernehmen – oder es finden sich auch hier ganz neue Mitspieler auf dem Markt.