Kleiner City-König
Für sein Konzept erhielt der Nissan NV200 viel Vorschusslorbeeren. Wie macht sich der dCi 85 im Test?
Das NV200-Konzept klang vielversprechend. Allerdings hatten die Ingenieure etwas zu viel versprochen, wie sich zu Beginn unseres Tests herausstellte. Denn jedem Test voran steht die „Stunde der Wahrheit“ auf der Waage.
Die ursprünglich kommunizierten über 800 Kilo Nutzlast schmolzen auf 610 Kilo. Ein ordentlicher Wert, aber unter den Erwartungen. Auf dem Papier steht ein Leergewicht von 1.249 Kilo, auf das sich noch das Fahrergewicht addiert. Und wohl auch einige Extras schlagen ins Kontor. So ist der NV200 mit 550 Kilo Testballast bei zwei Tonnen Gesamtgewicht fast ausgeladen.
Eine harte Landung in der Realität: Ein VW Caddy, an dem sich der Nissan in dieser Klasse messen muss und dessen Länge er auf den Zentimeter imitiert, schafft 750 Kilo, der Citroën Berlingo liegt gleichauf, der Renault Kangoo zwar darunter, aber beide gibt es in aufgelasteten Varianten.
Spaß beim Beladen
Die zwei verstaubaren Europaletten sollten also nicht gerade aus Printprodukten bestehen. Voluminös dürfen sie aber sein. Dank niedriger Ladekante schafft man die Fracht auch leicht ins Heckabteil. Beladen macht so geradezu Spaß.
Und kleinere Güter kann man exakt platzieren: Dank üppiger Innenhöhe von 1,35 Metern steigt man durch den Laderaum, als wäre es ein Kompakttransporter eine Klasse höher. Beim exakten Fixieren der Ladung helfen zumindest in der Premium-Version neben den sechs Standardzurrösen die versetzbaren Ringe in den Seitenwänden. Simpel, aber praktisch: Warndreieck und Werkzeug sind in klettfixierten Filztaschen in dem schmalen Schacht unterhalb der Trennwand (Serie) verstaut. Auf deren anderer Seite sitzt man vor der Ladung gut geschützt. Selbst große Chauffeure finden dank weitem Verstellbereich der Sitze eine passende Position. Lediglich an den Knien ist es etwas enger.
Im Stand ist der Motor relativ leise, bei höherem Tempo und speziell auf der Autobahn rumort es dann vernehmlich aus dem kaum isolierten Motorraum. Überhaupt dreht der Common-Railer, gekoppelt an ein etwas knorpelig zu schaltendes, bei schnellen Wechseln knarzendes Fünfganggetriebe, auf der Autobahn hoch auf. Dafür ist der Fünfte dann auf der Landstraße quasi Universalgang. Die 200 Nm Drehmoment des Renault-Diesels genügen, um nach Ortsdurchfahrten in der Ebene durchzubeschleunigen. Störend ist eher, dass der dCi nur Euro 4 erfüllt und einstweilen auch ohne Partikelfilter auskommt.
Wendiger Zeitgenosse
Für Umweltzonen genügt es vorerst. Und dort schlägt die Stunde des NV200. Man schlängelt sich noch durch die schmalste Gasse, zwirbelt in die engste Parklücke, wendet rekordverdächtig und genießt gute Sicht aus dem Cockpit – abgesehen von der „uneinsichtigen“ Front.
Über Land vermittelt das Fahrwerk einen sicheren Eindruck, zur Not greift sanft ESP ein. Das kann der NV200 gut gebrauchen, denn die Traktion bei Nässe ist mäßig. Dafür bewegt sich der Neuling leichtfüßig, lässt sich leichtgängig und recht präzise dirigieren.
Etwas zu viel versprochen hat Nissan beim Verbrauch: Mit 6,4 Litern im Schnitt über die relativ anspruchsvolle, gemischte Testrunde reicht er nicht an die 5,2 Liter Werksangabe heran. Auf reiner Autobahn- und Citytour steigt der Verbrauch dann auf 7,4 Liter.
Unterm Strich bietet der NV200 mehr Platz und Praktikabilität als der Rest und fährt sich wendiger als mancher Konkurrent. Nissan sollte aber schnell einen Euro-5-Diesel nachlegen. 20.000 Kilometer Serviceintervall sind auch nicht mehr zeitgemäß. Und 800 Kilo Nutzlast wären vielversprechend. JOHANNES Reichel
Übersichtliche Aufpreisliste
Die Basis bietet neben ABS und Fahrerairbag einen Klappbeifahrersitz, eine Trennwand (Fenster) und eine Schiebetür rechts. Zum Aufwerten gibt es die Ausstattungen Comfort (+500 Euro) sowie Premium (+1.600 Euro). Nur in Letzterer ist ESP erhältlich sowie Sidebags und mobile Zurrpunkte. Auch empfehlenswert: die drehbare Gittertrennwand für 100 Euro, Radio + manuelle Klimaanlage für 950 Euro sowie die zweite Schiebetür für 290 Euro. Toll: Nissan gibt eine Dreijahresgarantie, allerdings auf 100.000 Kilometer beschränkt.
- Ausgabe 12/2009 Seite 59 (211.4 KB, PDF)