"Schatz, schreibst Du bitte neuen Toner auf den Einkaufszettel, ich habe uns gerade ein Auto gedruckt." Ganz so weit wird es zwar nicht kommen, zumindest nicht so schnell. Doch wenn es nach John Rogers geht, können sie zumindest in Wolfsburg oder Detroit bald die haushohen Pressen mit ihren millionenschweren Formen ausmustern, die die Produktionsvorbereitung für ein neues Auto so langwierig und teuer machen. Und die endlosen Straßen der Schweißroboter gleich mit. Denn Rogers ist Chef des amerikanischen Startup-Unternehmens Local Motors und träumt vom Auto aus dem 3D-Drucker. Und vor ein paar Wochen ist er diesem Traum ein gutes Stück näher gekommen: In nur 44 Stunden hat sein Team auf einer Messe in Chicago den Strati gedruckt, weitere 15 Stunden wurde die Karosse computergesteuert geschliffen, gefräst und poliert und binnen zwei Tagen war die Antriebstechnik des Renault Twizzy eingebaut. Eine druckreife Leistung. Und eine technische Revolution. Denn statt aus tausenden einzelner Teile besteht der Strati nur noch aus 50 Komponenten. Und die Karosserie ist bis auf die vier aus Stylinggründen in Gegenrichtung gedruckten Kotflügel buchstäblich aus einem Guss.
Während VW oder Ford Monate im Voraus ihre Werkzeuge bestellen, für Wochen die Fabrik schließen und Millionen investieren müssen, wenn sie ein neues Modell auflegen, hat Local Motors nur eine Million Dollar in die Hand genommen und eine neue Software auf den 3D-Drucker gespielt. Schon spritzt er wie mit der Heißklebepistole aus seinen Kunststoff-Spaghettis jedes Auto, das man haben will, schwärmt der Chefingenieur Nestor Llanos: „Roadster, Geländewagen, selbst einen einzigartigen Bugatti Royale könnten wir über Nacht neu auflegen.“ Wenn das irgendwann einmal im großen Stil gelingt, könnte es den Automobilbau ähnlich verändern wie die Einführung des Fließbands oder die Erfindung der Plattform-Strategie, schätzen die Amerikaner.
Druck wegen Crashtest
Während der Showstar aus Chicago deshalb jetzt von einem PR-Termin zum anderen tingelt und sich Firmenchef Rogers für seinen Pioniergeist gebührend feiern lässt, ist Projektleiterin Allegra West längst wieder am Stammsitz in Phoenix, hat bereits einen zweiten Prototypen gedruckt und treibt die Entwicklung voran. Sie arbeitet an einem Drucker, der gleichzeitig auch fräsen kann, und macht sich Gedanken darüber, wie man den Kunststoff, aus dem der Strati gespritzt wird - übrigens der gleiche wie bei Legosteinen - so mit Karbon anreichern kann, dass er auch Crashtests besteht. Schließlich will ihr Chef so ein Auto schon in einem Jahr auf der Straße sehen. Für läppische 18.000 US-Dollar.
Viel Zeit hat Miss West also nicht. Doch zumindest kurz gibt sie ihren Strati aus der Hand - für eine ziemlich exklusive Probefahrt auf dem weitläufigen Firmengelände. Dass der Wagen noch die falschen Räder hat oder ihm ein paar Kabel aus dem Heck hängen darf dabei nicht stören. Und dass sogar die Sitze fehlen, ist auch kein Schaden. Im Gegenteil: So kann man viel besser die kilometerlangen Kunststoff-Wülste erkennen, aus denen der Strati gespritzt wurde: Eine Lage nach der anderen, schön gleichmäßig haben sie Minute für Minute einen hübschen kleinen Roadster geformt. Während diese Kunststofffäden bei gewöhnlichen 3D-Duckern für den Heimgebraucht haarfein sind, hat Local Motors das Auto mit 9 Millimeter starken Strängen gespritzt. Kein Wunder, dass pro Stunde über ein Zentner der Kunststoffmasse aus der Düse gepresst wurde. Kinder, packt sicherheitshalber mal die Legos weg. Oder hebt sie auf, bis ihr groß seid und euch euer eigenes Auto daraus drucken könnt.
Zwar sieht der offene Zweisitzer fragil aus als wäre er aus Pappmaschee, so dass man ganz, ganz vorsichtig über die Brüstung steigt und sich zaghaft auf die schwarze Bank niederlasst, auf der später mal rote Sitze montiert werden sollen. Doch das Material ist nicht weich oder gibt nach, sondern extrem fest und fühlt sich an wie Beton. "Der Kunststoff hat mit den 30 Prozent Karbonanteil, die wir hinein gemischt haben, die gleiche Festigkeit wie Aluminium", sagt die Projektleiterin.
Hinterlässt Eindruck
Kann also gar nichts passieren, wenn man irgendwo unter dem Lenkrad die frei herumbaumelnde "Schaltung" aus dem Twizzy findet, auf D drückt und der Strati mit seinen 60 PS langsam davon surrt. Weil an der Antriebstechnik nichts geändert wurde und der Strati mit gut einer Tonne mehr als doppelt so viel wiegt wie der Scheiblettensmart aus Frankreich, geht es zwar nur gemächlich voran. Außerdem hat er mit den händisch gespreizten Twizy-Achsen einen Wendekreis wie ein Pick-Up-Truck und mit den viel zu kleinen Rädern eine Bodenfreiheit wie ein tiefergelegter Porsche. Und bei knapp 100 km/h ist ohnehin schon wieder Schluss, schätzt West. Doch die wichtigste Mission hat der Zweistizer damit längst erfüllt: Er hat bewiesen, dass er fährt. Und zumindest unter der sengenden Sonne Arizonas auf einem riesigen Parkplatz macht das erste Auto aus dem 3D-Drucker sogar richtig Spaß – läuft doch wie gedruckt!
Als Fahrer fühlt man sich dabei wie Fred Feuerstein in seinem Auto aus der Steinzeit. Aber die Richtung ist eine ganz andere: Der Strati fährt auf direktem Weg in die Zukunft. Höchste Zeit, schon mal genügen Toner auf den Einkaufszettel zu schreiben. (Benjamin Bessinger/sp-x)